Gertrude Eigelsreiter-Jashari
Rita Newman
Gertrude Eigelsreiter-Jashari

Eigelreiter-Jashari

„Wir sollten nicht mutlos werden“


Das zerstörte „Henderl-Geld“ in Kamerun. Streikende Frauen in Äthiopien. Ein Klopfen an der Schlafzimmertür um vier Uhr morgens während der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking. Es sind Erzählungen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Und doch schafft es Gertrude Eigelsreiter-Jashari, diese Geschichten im Gespräch mit morgen zu verknüpfen. Die Soziologin und Kultur- und Sozialanthropologin bringt dabei ihre Begeisterung für feministische Frauenbewegungen genauso zum Ausdruck wie ihren Groll gegenüber unfairen Wirtschaftsbeziehungen.

morgen: Ich möchte mit der Weltfrauenkonferenz beginnen, die 1995 in Peking stattfand. Damals trafen sich rund 47.000 Menschen, um über Maßnahmen zur Stärkung der Frauenrechte zu verhandeln. Können Sie ein wenig von der Stimmung damals erzählen?

Gertrude Eigelsreiter-Jashari

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Es gab eine enorme Aufbruchsstimmung, und das bereits zwei Jahre vor der Konferenz. Weltweit fanden nämlich regionale und nationale Vorbereitungen statt. In Österreich organisierte die damalige Frauenministerin Johanna Dohnal ein Programm, bei dem sich Frauenorganisationen aus allen Bundesländern vernetzten und geschult wurden. Allein durch diese zweijährige Vorbereitungszeit lernte ich unglaublich viel. Am Ende dieses Prozesses wurden demokratisch vier NGOs ausgewählt, die in die Regierungsdelegation durften.

Und Sie wurden damals als Vertreterin der entwicklungspolitischen Organisationen ausgewählt.

Genau. Die Konferenz dauerte drei sehr intensive Wochen mit vielen Workshops, langen Verhandlungen, die oft bis in die Morgenstunden liefen, mit einem enorm wichtigen Austausch zwischen Frauen aus der ganzen Welt. Man verstand Gleichberechtigung damals als etwas, das ohne globale Entwicklung und Friedensbemühungen nicht möglich ist. Allerdings schlugen sich die unterschiedlichen Ressourcen der Länder in den Verhandlungen nieder. Ich kann mich erinnern, als einmal um vier Uhr in der Früh eine Delegation, eine Gruppe indigener Frauen und Männer, vor meinem Zimmer stand. Sie baten mich darum, mich gegen Landraub und Abholzungen auszusprechen. Der Klimawandel wirkte sich damals bereits negativ aus, insbesondere auf Frauen und auf Inselstaaten. Natürlich brachte ich am nächsten Tag diese Punkte bei der Delegationsbesprechung mit der österreichischen Frauenministerin ein. Aber ich wusste, dass diese Themen nicht in das Abschlussdokument kommen werden und behielt leider recht. Das hat mich enorm mitgenommen. So wichtig diese Konferenz für die Frauenrechte war, die Maßnahmen im wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Bereich enttäuschten mich zutiefst. Maßnahmen, die den Neoliberalismus oder das Wirtschaftssystem in Frage stellen, waren zwar nicht zu erwarten, aber ich war wohl noch ein bisschen naiv.

Man erkannte, dass der Staat die Geschlechterperspektive mitdenken muss.

Das heißt, Ihr Arbeitsfokus, die Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik, wurde eher randständig behandelt. Wie sah es in anderen Bereichen aus?

Mit einigen anderen Frauen organisierten wir am Ende der Konferenz sogar eine kleine Demonstration, um gegen diese Versäumnisse zu protestieren. Trotzdem sind die zwei Abschlussdokumente der Weltfrauenkonferenz, die Erklärung von Peking und die Pekinger Aktionsplattform, bis heute die wohl umfassendsten Dokumente zum Thema Gleichberechtigung. Sie wirkten sich konkret auf das Leben von Frauen aus: Österreich richtete zum Beispiel Interventionsstellen für Überlebende häuslicher Gewalt ein. Der Fokus auf Gender-Mainstreaming war ebenfalls ein wichtiges Ergebnis. Endlich erkannte man, dass der Staat die Geschlechterperspektive auf allen Ebenen mitdenken muss. Auch unbezahlte Arbeit wurde erstmals benannt und gemessen. Das war und ist wichtig, da in unserem Wirtschaftssystem nur das sichtbar ist, was messbar ist. Heute wissen wir, dass Frauen etwa dreimal so viel unbezahlte Arbeit leisten wie Männer. Nur durch dieses Wissen können wir dagegen vorgehen. Ich könnte noch viele weitere Punkte aufzählen. Das würde aber den Rahmen sprengen.

Was bleibt heute, 26 Jahre später, davon übrig?

Natürlich machten wir in einzelnen Bereichen Fortschritte, in vielen ändert sich aber nur sehr langsam etwas. Zum Beispiel ist die Müttersterblichkeit gesunken, aber in vielen Regionen immer noch sehr hoch. Mehr Mädchen gehen heute in die Schule. Doch Frauen verdienen global rund 20 Prozent weniger als Männer. Nach wie vor ist nur eine von vier Personen im Management weiblich. Das gleiche Verhältnis sehen wir in Parlamenten weltweit. Das sind nur einige wenige Punkte, die zeigen, dass es noch viel zu tun gibt. Wie die Finanzkrise 2008 wäre auch die Coronakrise ein Fenster, um diese Ungleichheiten zu beseitigen. Die prekären Arbeitsverhältnisse im Pflegebereich werden sichtbar. Die Zunahme unbezahlter Arbeit betrifft vor allem Frauen. Anstatt dagegen zu steuern, werden Entscheidungen getroffen, die wie so oft die unteren Einkommensschichten und Frauen am stärksten belasten. 

Obwohl es nach wie vor diese Ungleichheiten gibt, war die Weltfrauenkonferenz 1995 die letzte. 

Eigentlich sollten diese Konferenzen alle fünf Jahre stattfinden. Bis 1985 war dem auch so, die nächste fand erst 1995 statt, und seitdem gab es keine mehr. Weder die NGOs noch die Staaten wollen eine UN-Weltfrauenkonferenz. Frauenorganisationen sehen die Gefahr eines Backlashs. Sie befürchten, dass bereits Erarbeitetes zurückgenommen wird. Eine solche Tendenz beobachte ich auch bei den Frauenstatuskommissionen der Vereinten Nationen, die jährlich in New York stattfinden. Seit einigen Jahren nimmt der Einfluss von Rechtspopulismus, Traditionalismus, konservativen Religionen, aber auch von autoritären Regimen zu. Das erschwert die Verhandlungen. Es ist mühsam, immer wieder von vorne zu beginnen und erklären zu müssen. Und natürlich wirkt sich das neoliberale Wirtschaftssystem – wie schon 1995 – negativ auf solche Verhandlungen aus.

70 Prozent der in Armut lebenden Menschen sind Frauen.

Können Sie das genauer erklären? 

Unser Wirtschaftssystem produziert Armut, da es auf unfairen Austauschbeziehungen, auf Ausbeutung und ungleichen Machtverhältnissen basiert. In Kamerun gab es zum Beispiel ein Projekt, bei dem Frauen durch den Besitz eigener Hühner ihr Geld verdienten. Dieses „Henderl-Geld“ war ihr einziges Einkommen. Zerstört wurde das Projekt von der EU-Außenlandwirtschaftspolitik. Die Teile vom Huhn, die wir nicht essen wollen, werden in den globalen Süden verscherbelt. Lokale Bäuerinnen und Bauern können preislich nicht mithalten. Ihre Lebensgrundlage wird vernichtet – das „Henderl-Geld“ gibt es nicht mehr. Ein anderes Beispiel zeigt, dass unser Wirtschaftssystem selbst durch die Entsorgung von Müll Existenzen vernichtet. Eigentlich verbieten Gesetze den Export von Müll in den globalen Süden. Und doch existiert in Ghana die Müllhalde Agbogbloshie. Dort landen jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott aus Europa. Das zerstört die Umwelt, wirkt sich auf das Klima, auf die Gesundheit der Menschen aus und führt zu Armut. So lange wir diese unfairen Wirtschaftsbeziehungen aufrechterhalten, vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich. Und Armut ist weiblich. 70 Prozent der in Armut lebenden Menschen weltweit sind Frauen. 

Was sind die Alternativen? 

Wir sollten trotz dieser globalen Ungleichheit nicht mutlos werden. Es gibt viele Initiativen, die dagegen ankämpfen. Feministische Bewegungen, die sich lokal selbst organisieren, müssen gestärkt, die Rahmenbedingungen verändert werden. Um ein Beispiel zu nennen: Die NGO Sisters Namibia organisiert Workshops für Mädchen, unter anderem zum Thema Finanzbildung. Sie lernen dort, wie sie Geld verdienen können. Fehlen vor Ort Beschäftigungsprojekte, stirbt das Projekt. Es ist also eine Gesellschaft notwendig, die global Chancengleichheit ermöglicht. Es benötigt endlich einen politischen Willen, der wirtschaftliche Austauschbeziehungen so verändert, dass sie für alle fair sind. 

Bei vielen Bemühungen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit besteht aber die Gefahr, dass die wahren Bedürfnisse von Frauen weltweit nicht erkannt werden. 

Natürlich benötigt es einen Austausch auf Augenhöhe. Dazu fällt mir ein lehrreiches Beispiel ein: In einem äthiopischen Dorf erhält jede Frau bei ihrer Hochzeit einen Stock. Behandelt ein Mann seine Ehefrau schlecht, schnappt diese sich ihren Stock, geht damit auf den Dorfplatz und klopft, bis die anderen verheirateten Frauen ebenfalls mit ihrem Stock kommen und mitmachen. Die Frauen solidarisieren sich, sie streiken. Die „verlassenen“ Männer wirken auf den Mann, der seine Frau schlecht behandelt, ein, damit dieser sein Verhalten ändert. Der Austausch muss jedenfalls in alle Richtungen gehen. Wenn Frauen voneinander lernen, ermöglicht das Solidarität. Gleichzeitig müssen wir Unterschiede anerkennen und Feminismus intersektional denken: Nicht nur das Geschlecht, und da wiederum nicht nur Mann und Frau, sondern auch Herkunft, Sexualität, Hautfarbe, Religion und vieles mehr, können Diskriminierungsgründe sein. Dennoch haben strukturelle Ungleichheiten eines gemein: Das Private ist politisch. Wenn eine Frau den Großteil der unbezahlten Kinderbetreuung oder der Hausarbeit leistet, ist das politisch. Wenn eine Frau schlecht von ihrem Mann behandelt wird, ist das politisch. Es sind Normen, die sich massiv auf das Leben vieler Frauen auswirken. Ist individuelles Verhalten dominant in einer Gesellschaft, ist es politisch und muss jeden Tag thematisiert werden, um irgendwann die Strukturen dahinter ändern zu können. ● ○