Round Table

„Wir wollen Kunst machen, die eine Zumutung ist“


Wie viel Mut zum Risiko gibt es, wenn die Kunstbudgets knapper werden? Kommen Quote und künstlerisches Wagnis einander in die Quere? Volkstheater-Direktor Kay Voges, Filmproduzentin Sabine Moser und Albert Hosp, Ö1-Journalist und Leiter des Kremser Musikfestivals Glatt & Verkehrt, sprachen mit morgen darüber, wie man Neugierde beim Publikum wecken kann, ob sich Erfolg planen lässt und

warum man wieder gern gemeinsam schwitzt.

Mit dem Ernst-Jandl-Abend „humanistää!“ feiert das Volkstheater gerade einen riesigen Erfolg. Wussten Sie schon vorher, dass dieses Projekt einschlagen wird, Herr Voges?

Kay Voges

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Kunst ist ein unberechenbares Ding. Man kann nur die richtigen Weichen stellen, ein Team zusammenbringen, das Lust hat, miteinander zu arbeiten. Wenn das Ergebnis dann der Regie, den Schauspielenden, dem Publikum und der Kritik gefällt, geht ein Traum in Erfüllung. Das sind vier verschiedene Blickwinkel. Oft erreicht man nur zwei von vier.

„Diese alten Tanten und schrägen Onkel wird es immer geben."

Frau Moser, wie sehen Sie das als Filmproduzentin?

Sabine Moser

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Ein Risiko bleibt immer, da gebe ich Kay Voges völlig recht. Man weiß im Vorhinein nie, was gelingen wird. Beim Film gibt es ja oft diese Diskussion, ob man publikumsaffine oder künstlerisch anspruchsvolle Filme macht. Die beiden Kategorien werden gern gegeneinander ausgespielt. Ich finde allerdings nicht, dass es sich um einen Widerspruch handeln muss. Bei all unseren Projekten steht am Anfang die große Überzeugung, dass ein Drehbuch gut und wichtig ist. Die Kreativen bringen viel Risikobereitschaft und einen langen Atem mit. Bei dem schwulen Gefängnis-Liebesfilm „Große Freiheit“, der heuer auf der Shortlist für die Oscars stand, ist das schön aufgegangen. Drehbuchautor Thomas Reider und Regisseur Sebastian Meise haben sich nicht korrumpieren lassen, sondern konsequent an ihren Ideen gearbeitet.

Apropos Unberechenbarkeit: Herr Hosp, Sie arbeiten beim Sender Ö1. Wurde Radio nicht schon lange totgesagt?

Albert Hosp

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Absurderweise fällt mir da ein Satz von Frank Zappa ein: „Jazz is not dead, it just smells funny.“ Vielleicht riecht Radio ein bisschen komisch – das gibt es ja auch schon seit 100 Jahren –, aber es ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte. Wir haben ein sehr interessiertes, offenes Publikum, das nicht nur eine Playlist für die Sauna oder das Fitnesscenter sucht. Die BBC wurde jahrzehntelang als die alte Tante verlacht, aber sie ist gewaltig unterwegs. Ich glaube, dass das bei einem Sender wie Ö1 genauso ist. Diese alten Tanten und schrägen Onkel wird es immer geben.

Gleichzeitig stellt sich nach der Pandemie in vielen Kunstsparten die Frage, wie man sein Publikum zurückholt.

Moser

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Das Kino steht ja schon länger vor dieser Frage. Durch Online-Anbieter und durchs Streamen ist der Markt inzwischen riesig geworden, die Möglichkeiten, Filme und Serien daheim zu schauen sind gewachsen. Ich glaube aber, dass durch diese unübersichtliche Überfülle auch der Wunsch nach etwas Kuratiertem wächst. Danach, dass jemand für Qualität steht, der man vertraut.

Voges

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Durch die Inflation wird das Geld knapp, wir haben zwei Jahre einen anderen Alltag gelebt. Ich denke aber, dass das ständige Wiederholen des Wortes Publikumsschwund die Sache nicht besser macht. Vielleicht sollten wir beschreiben, was funktioniert. Die Neugierde nach Kultur ist absolut da. Die Menschen wollen etwas erleben. Da ist es gar nicht mutig, innovative Formate voranzutreiben. Es ist einfach notwendig. Wenn wir auf der Stelle stehen bleiben, verlieren wir unsere Relevanz.

Hosp

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Man sollte sich nicht auf faule Kompromisse einlassen. Es gibt weniger Geld, trotzdem muss man darauf beharren, nur unter bestimmten Umständen produzieren zu können. Man muss eine gewisse Sturheit an den Tag legen. Beim Festival Glatt & Verkehrt machen wir derzeit ein bisschen weniger Programm, allein schon, damit die Teilnehmenden eine angemessene Gage bekommen. Es ist zentral, an diesen scheinbar kleinen Schrauben zu drehen. Als Veranstalter hat man die Pflicht, seine Künstlerinnen und Künstler anständig zu entlohnen.

Im Moment werden hierarchische Arbeitsstrukturen hinterfragt, warum Frauen kleinere Budgets bekommen und was Kunst inhaltlich erzählen soll. Herrscht nicht auch eine große Aufbruchstimmung?

Moser

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Film ist aus der Tradition heraus ein sehr männliches Kunstschaffen, es ist wichtig, diese Strukturen aufzubrechen. Klar ist das ein schmerzhafter Prozess, der aber notwendig ist, um Kunst und Kultur am Leben zu halten. Wir müssen reflektieren, was hinter den Kulissen passiert. Es braucht eine Quote, um diese Ungleichheiten aufzuheben. Ich denke, dann wird sich auch inhaltlich etwas verändern.

Hosp

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Man könnte sagen, es sei anachronistisch heutzutage, in ein Theater zu gehen und sich drei Stunden lang ein Stück anzusehen. Wo die Aufmerksamkeitsspanne angeblich auf ein Minimum gesunken ist. Aber es besteht diese Faszination für eine andere Art von Erfahrung. Im arabischen Raum gibt es ein Sprichwort: „Kunst hat die Aufgabe, das Leben zu verlangsamen.“ Sie kann wie unter der Lupe etwas deutlich machen. Das bedeutet aber auch: Man darf sich Zeit nehmen, Kunst zu produzieren. Wer das Geld gibt, muss akzeptieren, dass künstlerische Prozesse einfach dauern.

In der Pandemie hat man oft gehört, Kunst sei ein Lebensmittel. Ist das nicht ein wenig großspurig?

Voges

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Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass Kunst und Kultur friedensstiftende Maßnahmen sind. Die Menschen haben ein kollektives Erleben, kommen weg vom Ich, gehen hin zum Wir. Theater ist ein Ort der Reflexion über sich. Das ist so wichtig wie ein Stadtpark, wo man Grünflächen hat, um durchzuatmen, wie Schulen, Universitäten und Krankenhäuser. Ich glaube nicht an politisches Theater, in dem Sinn, dass ich da etwas gelehrt bekomme und dann klüger hinausgehe. Es geht um ein gemeinsames Erleben und Einfühlen in andere Lebenswelten, die den Horizont öffnen.

Hosp

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Theater war nicht immer elitär. Diese Entwicklung ist rund 150 Jahre alt. Früher haben sich die Leute laut unterhalten, während gespielt wurde. Bollywood-Filme dauern mitunter acht Stunden. Da gehen die Leute raus, um etwas zu essen. Grundsätzlich finde ich wichtig zu betonen, dass jede Aussage, die eine Künstlerin oder ein Künstler trifft, politisch ist. Das kann so deutlich sein wie die Kyjiwer Band Dakha Brakha, die nach jedem Konzert sagt: „Peace and love. Stop Putin. Good night.“ Als der Krieg in der Ukraine begann, stellten wir das auf unsere Website.

Moser

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Kunst spricht eine andere Sprache. Die Politik ist beherrscht von Message Control, da ist es wichtig, den Mut zu haben, sich ausführlich mit einem Thema auseinanderzusetzen, und nicht nur Schlagworte und Klischees abzusondern. Den Menschen zu ermöglichen, sich mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft, aber auch mit der Position von anderen zu konfrontieren. Unser Film „Joy“ von Sudabeh Mortezai beschäftigt sich etwa mit dem Leben nigerianischer Prostituierter in Wien. Kunst schafft es, eine breite Öffentlichkeit für Lebenswelten zu interessieren, über die man sonst nichts mitbekommen würde. Weil sie in konkreten Geschichten verankert sind, die uns sehr direkt ansprechen. Deshalb müssen wir aufhören, darüber zu diskutieren, ob Kunst zu hoch subventioniert wird.

Voges

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Allein dieses Wort: subventionieren. Wir sollten es aus unserem Wortschatz streichen. Wir subventionieren ja auch nicht den Stadtpark. Die Idee dahinter ist doch immer: Wir helfen euch jetzt mal, bis ihr es selbst auf die Reihe bekommt. Das ist eine neoliberale Denkweise, die wir Kulturschaffenden nicht mitmachen dürfen. Wir brauchen keine Überbrückungshilfe! Wir sind Teil einer Gesellschaft, die eine Vereinbarung getroffen hat, dass Kultur, Bildung, Gesundheitswesen und Verkehr wichtige Bereiche des Lebens sind, die angeboten werden müssen.

Moser

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Das sehe ich genauso: Man kann gar nicht genug Geld zur Verfügung stellen, um diese Form der Reflexion zu ermöglichen. Weil sie für die Gesellschaft essenziell ist. Kunstschaffende investieren viel, um diese Geschichten zu erzählen, das ist ja kein Selbstzweck, sondern absolut wichtig, um über eine pluralistische Welt zu berichten, in der wir leben. Um uns zu helfen, diese besser zu verstehen. Kunst ist doch auch unser kulturelles Gedächtnis.

„Wir sind an diesen Störenfrieden gewachsen."

Es braucht also auch ein neues Selbstbewusstsein der Kunstschaffenden?

Voges

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Deutschland nennt sich das Land der Dichter und Denker. Österreich hat mit einem Zehntel an Bevölkerung weitaus mehr große Autorinnen und Autoren. Der Auswurf an guten Filmen ist gigantisch. Wien ist der Geburtsort von so viel fantastischer Musik und Malerei. Die Identität dieses Landes wurde über die Jahrhunderte von Kunstschaffenden geprägt. Wir sind an diesen Störenfrieden, die uns immer wieder verwirrt haben, gewachsen. Da muss man gar nicht mutig sein, sondern nur tun, was zu tun ist. Wenn sich eine Nation wie Österreich dazu entscheidet, diesen Kulturschatz lebendig und gegenwärtig zu halten, dann müssen wir auch nicht um Geld bitten. Sondern es ist der Auftrag, den wir haben.

Wie ist das in der Weltmusik, Herr Hosp?

Hosp

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Die einzigen, die wirklich eindeutig sagen, worum es geht, sind immer die Künstlerinnen und Künstler. Zum Beispiel: „Der Planet stirbt. Tun wir endlich was.“ Weil sich die Politik nie traut. Allein deswegen braucht man die Kunst. Bei der Musik ist das noch komplexer. Sie dringt in andere Schichten vor – und kann gerade dadurch Menschen bewegen. Wenn wir ein österreichisches Jazzduo mit Kollegen aus La Réunion zusammenbringen, dann sagt das doch aus: Begegnungen über Kulturen und politische Grenzen hinweg sind möglich. Da kann so viel Botschaft entstehen, ohne dass ein Wort gesagt wird. Auch da haben wir wieder dieses Friedenserhaltende, das meiner Meinung nach eine zentrale Sache ist.

Ist die aktuelle Krise eine Chance, nicht automatisch alte Erfolgsrezepte zu verlängern, sondern etwas Neues zu wagen?

Voges

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Wir sollten nicht jammern, sondern schauen, was die Menschen brauchen. Wir haben Besucherschlangen, wenn wir eine Clubnacht machen. Weil es ein Bedürfnis ist, sich aneinander zu quetschen. Vielleicht ist es gerade nicht so aufregend, den „Rosenkavalier“ zum fünften Mal zu sehen. Vielleicht sehnt man sich nach dem Schweiß vom Gegenüber, mit dem man gerade tanzt.

Hosp

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Ich sehe in dieser Haltung „Krise als Chance“ aber auch eine Gefahr: Schaut, was ihr in der Pandemie alles geschafft habt! Ihr braucht doch gar keine großen Budgets. Wir müssen jetzt sehr deutlich formulieren, dass wir keine Sparschiene weiterfahren können. Balkonkonzerte waren wichtig und schön, aber jetzt brauchen wir wieder die nötige Infrastruktur.

Voges

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Gegenwartskunst darf zu keinem Museum werden. Es gibt so viele Geschichten, die erzählt werden müssen. Wir brauchen nicht nur mutige Kunstschaffende, sondern auch mutige Zuschauerinnen und Zuschauer. Und ich glaube, da kann ich nach diesem Gespräch für uns alle sprechen: Wir wollen Kunst machen, die eine Zumutung ist.● ○