Standpunkte

Wie wächst Courage?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:

„Eine große Motivation ist die Liebe“

Mir ist die Unterscheidung zwischen sinnlosen Mutproben und Courage wichtig. Zweitere verstehe ich nach Brechts „Mutter Courage“ als widerständigen Mut. Wir sprechen hier von äußerst schwierigen Situationen, in denen man mitunter sein Leben oder das seiner Kinder riskiert. Courage bedeutet für mich, Nein zu sagen oder etwas trotzdem zu tun, selbst wenn schwere Strafen drohen.

Aus zahlreichen historischen Beispielen wissen wir: Eine große Motivation, widerständigen Mut zu entwickeln, ist die Liebe. Dorothea Neff hat zum Beispiel ihre Freundin vor den Nazis versteckt. Ein anderer wichtiger Antrieb ist auch, den Nachkommen eine Welt in Freiheit und Demokratie zu hinterlassen. Die Ärztin Ella Lingens hat, obwohl ihr Sohn erst drei Jahre alt war, Verfolgte aufgenommen und kam deshalb nach Auschwitz, wo sie nur knapp überlebte. Wie sie sagte, wollte sie ihrem Sohn später in die Augen schauen können. Für manche war ihr Glaube die Quelle ihres Wider­stands.

Aber auch kleine Widerständigkeiten sind wichtig und mutig. Das kann ein Lächeln über die Straße für eine Freundin sein, mit der man nicht mehr sprechen darf, oder, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, bei fremdenfeindlichen Bemerkungen in der U-Bahn etwas zu sagen, anstatt durch Schweigen zuzustimmen. Ich glaube, der Mut für solch ein Verhalten wächst schon in Kindern heran, deren Eltern ihnen vorleben, gegen den Mainstream zu sprechen – und natürlich durch ein politisches Umfeld, das couragiertes Verhalten gutheißt und zum Beispiel durch Auszeichnungen belohnt.

„Kriegsreporterin war mein Traumberuf"

Die Courage, in Kriegsgebiete zu reisen, kam mit dem Interesse, genau hinzuschauen. Kriegsreporterin war mein Traumberuf, und ich war sehr damit beschäftigt, dass mir jemand diese Arbeit zutraut und Aufträge gibt – so fragte ich mich nie, ob ich mich das traue. Für den Preis von Präzision und ehrlichem Journalismus habe ich Gefahren in Kauf genommen.

Ich geriet bei meiner Arbeit mehrmals selbst in Schusswechsel und erlebte unvorstellbare Angst. Deshalb habe ich größten Respekt, wenn in der Ukraine sogar ein Balletttänzer zur Waffe greift, um sein Land zu verteidigen. In Kriegsgebieten erlebte ich wie nirgends sonst, wie Menschen über sich hi­naus­wachsen und zusammenhalten. Besonders couragiert fand ich zum Beispiel, wie die jesidische Community mit dem Überfall des IS und der Verschleppung der Frauen umgegangen ist. Ich wollte weltweit darauf aufmerksam machen, zu welch unglaublicher Stärke einige von ihnen gefunden haben.

Aber es beeindruckt mich auch wahnsinnig, wenn ein syrischer Folterer vor dem Koblenzer Kriegsverbrechertribunal ein Tabu bricht, indem er mit vollem Namen auftritt und über die sexuelle Gewalt spricht, die er selbst erfahren hat. Courage hat viele Gesichter und kann auch bedeuten, sich seinen eigenen Traumata zu stellen. Weil ich andere dabei unterstützen will, mache ich jetzt eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. Jetzt sehe ich, was von mir übrig ist, wenn ich nicht mehr jüngste Ressortleiterin oder Kriegsreporterin bin – und das ist vielleicht sogar der couragierteste Schritt, den ich je gemacht habe.

„Es gilt, Räume zu öffnen"

Der Religionsphilosoph Romano Guardini sagte einmal, die größte aller menschlichen Tugenden ist die Annahme seiner selbst. Und da wir noch immer in einer heteronormierten Welt leben, brauchen Menschen, die sich anders erleben als es dieser Norm entspricht, Mut, sich so anzunehmen, wie sie sind. Als Beratungsstelle Courage unterstützen und begleiten wir LGBTIQ mit Beratung und Psychotherapie, damit sie lernen, sich anzunehmen, wie sie in die Welt hineingeboren wurden und tragfähige und zufriedene Lebensperspektiven entwickeln können.

Damit unsere Klient:innen diese Courage entwickeln können, brauchen sie ein offenes Ohr, denn oft haben sie Abweisung, Ausgrenzung und Mobbing erlebt, weil sie so sind, wie sie sind. Weiters gilt es, Räume zu öffnen. Ein Beispiel: Einmal kam ein Mann in meine Psychotherapie-Praxis, der schon sechs Jahre Psychotherapie hinter sich hatte. Ich fragte ihn, ob er gerne in einer Beziehung leben würde und wenn ja, ob mit einem Mann oder einer Frau. Er meinte, er habe sechs Jahre gewartet, dass ihm jemand diese Frage stellt. Und es braucht Empathie – denn oft sind die Ängste groß, nach einem Coming-out von Familie, Freunden und im Beruf abgelehnt zu werden.

Wir machen auch Öffentlichkeits-, Aufklärungs- und Bildungsarbeit, weil es wichtig ist, dass die Gesellschaft den Menschenrechten gerecht wird. Dass es unsere Beratungsstelle gibt, sehe ich daher mit einem lachenden und einem weinenden Auge – mit einem weinenden, weil es uns überhaupt braucht und angesichts von rechtsgerichteten Entwicklungen sicher auch noch länger brauchen wird.