Ott

Pionierin an der Trompete


Hier kommt die Zukunft: An dieser Stelle präsentieren wir in jeder Ausgabe Kunstschaffende in und aus Niederösterreich, die jünger als 35 Jahre sind. Diesmal: Selina Ott.

Selina Ott liebt ihre Trompete – und Pferde. Hätte sie nicht die Musik zum Beruf gemacht, wäre sie Pferdewirtin geworden. Beim Zoom-Interview ist Ott in ihrem Zuhause in der Nähe von St. Pölten. Der Bob ist glatt, die Brille ein hippes Metallgestell. Selina Ott ist erwachsen geworden. Seit dem ARD-Musikwettbewerb in München sind vier Jahre vergangen.

Mit gerade einmal 20 Jahren war Ott dort nicht nur eine der jüngsten Teilnehmerinnen; sondern sie gewann auch als erste Frau an der Trompete in der Geschichte des Wettbewerbs, unter anderem mit einer 18-minütigen Solo-Performance von Luciano Berios „Sequenza X“. „Ich hatte mir vorgenommen, zumindest die erste Runde zu überstehen, damit die Reise nicht ganz umsonst war“, erinnert sie sich. „Dass ich gewinne, hätte ich nie gedacht.“

Das Arbeitspensum beim Wettbewerb in München ist enorm und nur mit viel Adre­nalin zu bewältigen: sieben Solostücke in nur zehn Tagen, dazu die Proben mit dem Bayerischen Rundfunkorchester. Für Ott, die mit der Trompete bis dahin nur solo unterwegs gewesen war, unbekanntes Terrain. Zurück in Wien, wird sie mit Anfragen von Konzertveranstaltern und Agenturen überhäuft. Ott, die gerade erst ihr Studium begonnen hat, beschließt zunächst, nichts zu unterschreiben. „Ich wollte herausfinden, was ich wirklich will. Außerdem hatte ich keine Lust, mich verheizen zu lassen.“

Selina Ott ist fünf, als sie beginnt, Klavier zu spielen. Mit sechs bekommt sie eine Pocket-Trompete; kurze Zeit später wechselt sie zum Kornett, weil es für Kinder handlicher ist. Erst mit elf greift sie zur „normalen“ Trompete. Unterrichtet wird sie von ihrem Vater Erich Ott, der Trompetenlehrer ist. „Am Anfang ist Trompetenspielen sehr intuitiv. Mein Vater hat mir vorgespielt, und ich habe versucht, es ihm nachzumachen.“

Otts frühe Begabung bleibt von ihren Eltern – die Mutter ist ebenfalls Musikerin – nicht unbemerkt. Im Alter von 13 Jahren wird sie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien in den Kreis der Hochbegabten aufgenommen. Von ihrem damaligen Lehrer Martin Mühlfellner bekommt sie das notwendige technische und mentale Fundament, auf dem sie bis heute baut. Mit 14 geht Ott ans Musikgymnasium und pendelt jeden Tag mit dem Zug zwischen St. Pölten und Wien. Acht Mal gewinnt sie den Prima-la-musica-Jugendmusikwettbewerb. Sie besucht Meisterkurse, studiert nach der Matura an der Musikhochschule Karlsruhe und an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, wo sie 2022 mit dem Master of Arts abschließt. Im selben Jahr veröffentlicht sie ein fulminantes Debütalbum mit selten gespieltem Repertoire des 20. Jahrhunderts.

Otts Spiel ist voller Farben und Gesang, Spielwitz und Virtuosität. Vergangenes Jahr hob sie beim Festival Wien Modern Thomas Wallys Trompetenkonzert aus der Taufe – ein atemberaubend schnelles Stück voll vertrackter Rhythmen, komplizierter Fingertechniken und Tonverschiebungen. Bei der diesjährigen Sommernachtsgala in Grafenegg begeisterte sie das Publikum mit einem Trompetenkonzert des Russen Wladimir Peskin. Bis Ende des Jahres ist der Kalender gut gefüllt, mit Auftritten im KKL Luzern und im Tokyo Metro­politan Theatre.

Jede freie Minute verbringt Selina Ott mit ihren Pferden, die ganz in ihrer Nähe leben. Und wie finden die Vierbeiner die Trompete? „Viel zu laut“, lacht Ott. „Ich habe einmal versucht, ihnen ganz sanft vorzuspielen. Sie wollten sofort die Flucht ergreifen.“ ● ○