© Rupert Pessl
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Dominik Heher

„Oft nur ein Lippenbekenntnis"


In einer Welt voller Verantwortung und Komplexität erweist sich die Kindheit für viele Erwachsene in der Rückschau als Oase ungezähmter Fantasie, grenzenloser Neugier und ungefilterter Freude. Die Kindheit webt einen Teppich aus Erinnerungen, die unser Wesen prägen. Aber ist als Kind wirklich alles eitel Sonnenschein? Die Ausstellung „Kind Sein“ stellt grundlegende Fragen zu dieser wichtigen Lebensphase. Mit ihrem Kurator Dominik Heher sprach morgen über verklärte Kindheitsbilder, klischeehafte Darstellungen und die Herausforderung, eine Ausstellung zu gestalten, die ein Publikum vom Kind bis zur Greisin anspricht.

Können Sie mir etwas über die Inspiration zur Ausstellung „Kind Sein“ erzählen? Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem speziellen Thema auseinander zu setzen?

Dominik Heher

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Seit Längerem ist das Thema herumgeschwirrt. Gerade durch die Pandemie hatte jede:r mehr Kontakt zu Kindern, waren die Lebenswelten der Kinder und Eltern plötzlich massiv miteinander verschränkt. Gleichzeitig bemerkten wir, dass die Wertschätzung der Gesellschaft Kindern gegenüber oft nicht mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Viele Maßnahmen, die getroffen werden, auch die während der Pandemie, haben oft nicht viel mit dem Kindeswohl zu tun: Kinder haben keine Lobby. Es ist kein Zufall, dass es bisher keine vergleichbare Ausstellung dazu gab – der gesamtheitliche und multiperspektivische Zugang jedenfalls ist neu.

Wie bestimmen Erwachsene, wer überhaupt Kind sein darf?

Was verrät die Ausstellung über den universellen Charakter und die Erfahrung des Kindseins?

Heher

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Die Ausstellung spielt mit dem Konzept der Zeitlosigkeit, das das Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern prägte. Im Subtext der Ausstellung kommt auch das asymmetrische Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern vor. Wie bestimmen Erwachsene, wer überhaupt Kind sein darf? Als Historiker hat mich überrascht, wie sehr man über das Bild des Kindes verhandelt und wie uneinig man in den einzelnen Epochen über die Phase des Kindseins ist. Es unterscheidet sich von Familie zu Familie je nach sozialem und ökonomischem Umfeld, den Erfahrungen der Eltern und dem gesellschaftlichen Druck. Während des Übergangs von der Aufklärung zur Romantik entsteht ein Kinderbild, das sehr verklärend ist. Kinder sind rein und unschuldig geboren und erst durch die Erwachsenen wird ihnen „das Böse“ beigebracht. Man darf hier nur nicht philosophische Bilder mit der Realität verwechseln, denn während Kinder des Bürgertums zum freien Denken erzogen wurden, schufteten Kinder der unteren sozialen Schichten in den Fabriken. Da versuchten wir als Kurationsteam, in der Kindheit diesen Punkt Null zu erwischen: Was prägt uns? Welche Einflüsse wirken auf uns seit Beginn unserer eigenen Existenz? Sind wir wirklich unverdorben geboren? Das waren Fragen, die uns beschäftigten.

Wie kann Kunst diese universelle Erfahrung transportieren?

Schwierige Frage! Es ist interessant, wie sich die Darstellung des Kindes im Laufe der Geschichte entwickelt hat. Wir haben in der griechischen und römischen Antike sehr wenige Darstellungen von Kindern. Aus der römischen Zeit zeigen wir etwa einen prächtigen Kindersarkophag des Kunsthistorischen Museums. Auf Sarkophagen wie diesem sind Kinder oft beim Spiel mit Nüssen abgebildet. Es ist eine sehr klischeehafte Darstellung. In der christlichen Kunst tragen Heilige oft schon im Kindesalter Züge von Erwachsenen. Es gab in der Vormoderne keine vergleichbare Würdigung der Kindheit als wertvolle Lebensphase. Erst im 18. Jahrhundert rückte das Kind in den Blick von Wissenschaft, Philosophie und auch in jenen der Kunst. Plötzlich wurden Kinder für die Künstler:innen interessant. Erst im 19. Jahrhundert porträtierte man wirklich das Kind als Kind – nicht nur in naturnahen Abbildungen, sondern man wollte auch das Wesen der Kinder einfangen.

Was waren Ihre Überlegungen zum Ausstellungsdesign?

Wir haben uns gefragt, wie eine solche Ausstellung Erwachsene wie Kinder gleichermaßen ansprechen kann. Man muss darauf achten, so manche Vitrine und so manches Gemälde ein gutes Stück niedriger zu positionieren. Das mag für Erwachsene am Anfang ungewohnt sein, aber es war uns wichtig, Kindern als Besucher:innen auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist definitiv eine Illusion, zu glauben, dass man alle Inhalte für alle Besucher:innen gleichermaßen aufbereiten kann. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, bestimmte Botschaften zu vermitteln – und das kann auf ganz verschiedenen Kanälen passieren. Die unmittelbarsten Emotionen werden durch die Räumlichkeit und die Farben, Grafik, Typografie, vielleicht sogar Texte und Raumaufteilung hervorgerufen. Die Gestaltung fällt durch einen sehr lebhaften und skizzenhaften Stil auf – sehr passend für ein Thema rund ums Wachsen, ums Ausprobieren und ums Verschwimmen von Grenzen. In diesem Setting werden hochkarätige Exponate gleich viel nahbarer. Nicht das Kunstwerk als solches soll zelebriert werden, sondern das, was es bei den Besucher:innen evoziert.● ○