© Carolina Frank
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Gesellschaft • Schilling

„Kritisch, mutig und goschert“


Lena Schilling ist Österreichs aktuell einflussreichste Aktivistin der jungen Generation. Mit morgen sprach sie über die zerrissene Generation Z, ihre Definition von sich als bloßes „Werkzeug“ der Bewegung und die Ansicht ihrer Seele dazu.

Business-Blazer, professionelles Lächeln, Rücken durchgestreckt. Sie setzt sich mir gegenüber und ist kampfbereit. Kann noch nicht wissen, dass es nichts zu kämpfen gibt. Ausnahmsweise nichts zu kämpfen. Lena Schilling ist 22 Jahre jung. Und jagt dieser Tage von einer TV-Konfrontation zur nächsten. Gerade vorhin hat sie sich auf Krone TV mit dem ehemaligen Chefredakteur der Presse gematcht, später werden ihr bei „Wild umstritten“ auf Puls24 neue Gegner aufgetischt. Die meisten Formate, zu denen die Klima- und Gerechtigkeitsaktivistin geladen wird, tragen das quotentaugliche Wort „Duell“ im Titel. Und sollte tatsächlich einmal „Gespräch“ darin vorkommen, steht das Substantiv „Streit“ davor. „Am Schlimmsten war es bisher gegen H. C. Strache und Ursula Stenzel“, sagt sie. „Das war wild. Wirklich wild. Manchmal frage ich mich schon, ob’s sinnvoll ist.“

Lena Schilling gehört der Generation Z an, den „Zoomers“, jenen jungen Menschen, die nach der Generation Y geboren wurden, zwischen 1997 und 2012 (und die mit dem Videodienst Zoom aufwuchsen). Dass das Z zudem das Alphabet abschließt und die Genration Z für das Ende schlechthin stehen könnte, ist eine nihilistische Deutungsmöglichkeit; nicht von ungefähr nennt sich eine Aktivistengruppe Letzte Generation. Eine andere Deutungsmöglichkeit aber ist, das Z positiv zu lesen: wie Zukunft.

Dank Ihnen lernte ich schon beim Vereinbaren unseres Termins etwas Neues. Am Telefon sagten Sie, derzeit sei es bei Ihnen etwas „arktisch“ – der Stress der Arktis führte also zu einem neuen Adjektiv im Jargon der Klimaszene. Arktisch scheint es aber Ihrer gesamten Generation zu gehen: Zum generellen Aufwachs-, Schul-, Studium- und Jobeinsteigerstress kamen Corona samt Lockdowns und Isolierung, kamen Terrorangst, Klimakrise, Russlands Krieg, Rechtsruck, Inflation, Social-Media-Gehässigkeiten. Wie geht es Ihnen und Ihrer Generation?

Zum Verarbeiten großer gesellschaftlicher Umwälzungen brauchte es meistens drei Generationen. Wir Jungen heute müssen ganz, ganz viel in einer einzigen Generation verdauen und tragen und lösen. Ich würde sagen, das ist manchmal zu viel für uns. Dafür braucht es viel mehr Aufmerksamkeit, Verständnis und Information.

Es ist jetzt klar: Das System an sich ist defekt.

Sie und die meisten Ihrer Generation sind gezwungen, viel rascher erwachsen zu werden, als die Generationen davor.

Die Ernüchterung stellt sich rascher ein. Wir lesen unseren Kindern Kinderbücher vor und versuchen, ihnen Werte mitzugeben. In allen guten Kinderbüchern wird immer dasselbe vermittelt: Achtet auf die Natur, achtet aufeinander, nehmt einander nichts weg, teilt. Und dann wachsen wir auf, und mit jedem Jahr wird uns deutlicher, dass die Realität gegenteilig ist. Dass nämlich nicht jene, die aufeinander und die Natur schauen, das Sagen haben, sondern dass die Egoisten Politik und Wirtschaft regieren.

So ist es seit Menschengedenken. Und fast immer hat die Jugend den Systemfehler erkannt und ihn bekämpft. Etwa die 68er-Generation. Doch die meisten Hippies und Revoluzzer von damals sind heute biedere Durchschnittsmenschen, die brav den Status quo aufrechterhalten. Ist es ein menschliches Gesetz, dass die Alten ihre jugendlichen Erkenntnisse verraten?

Das will ich so nicht gelten lassen, denn das nähme allen Erwachsenen den Druck, richtig zu handeln. Und es bedeutete Ausweglosigkeit. Das ist für so viele Junge ja gerade das Schlimme – wenn man das Gefühl hat, in der Welt passiert unglaublich viel Falsches, ich bin nur ein Spielstein und kann nicht agieren. Das ist ein Auftrag, den wir als Gesellschaft haben: den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, etwas zu tun, sich aktiv einzubringen.

Ältere kritisieren Junge mitunter dafür, dass sie beim Klimaschutz nur plakativ agieren. Wir, sagen sie, verbrauchten in unserer Jugend keinen Strom für E-Scooter, wir hatten nicht zig verschiedene hippe Trinkbecher aus Plastik.

Ja, auch wir Klimaaktivistinnen gönnen uns hin und wieder eine kleine Sünde. Jahrzehntelang haben wir gehört, wenn du verantwortungsvoll konsumierst mit deinem Jutesackerl, wird alles gut. Aber es wurde nicht alles gut. Es ist jetzt klar: Das System an sich ist defekt. Es braucht also beides: klimafreundlich konsumieren und politisch das kapitalistische System ändern.

Wie soll das konkret vor sich gehen?

Zuallererst geht es um eine Demokratisierung. Eine große Gruppe bei Wahlen sind die Nichtwähle­rInnen, eine andere Menschen, die nicht wählen dürfen. Als zweites brauchen wir eine Veränderung auf Gesetzgebungsebene: Die Entscheidungen von Klimaräten etwa müssen verbindlich umgesetzt werden. Verbindlich!

Sie engagieren sich für die Schwachen der Gesellschaft und für Umweltschutz, seit Sie 15 sind. Wie kam es dazu?

Das begann mit meiner Familie. Meine Mama hat mich mit drei oder vier das erste Mal mit auf eine Demo genommen. Prägend war 2015 auch die Fluchtbewegung. Ich war damals 14, habe jede freie Minute dort verbracht und mein Möglichstes versucht, etwas für die Menschen zu tun. Das vielleicht entscheidende Erlebnis hatte ich noch früher: Meine Mama hat als Sozialarbeiterin auch Obdachlosenbetreuung gemacht. Damals war ich sechs Jahre alt, und mir war nicht klar, warum so viele Menschen so viel haben und manche so wenig. Diese Frage begleitet mich bis heute.

Haben Sie die Befürchtung, einmal zu werden wie die meisten Erwachsenen, pragmatisch, abgeklärt und angepasst?

Nein! (Lena Schilling schüttelt sich, als hätte sie von Ungenießbarem gekostet.) Ich komme aus einer sehr sozialen Familie, und meine Mama geht bis heute an ihre Grenzen. Auch ich will mir das niemals nehmen lassen. Mit dem Glauben, die Dinge verändern zu können, gehen eine extrem hohe Frustrationstoleranz und Resilienz einher sowie das Bewusstsein, wie man professionell und zielgerichtet agieren kann.

Ist Ihre Mutter Ihr wichtigstes Vorbild?

Meine Mama ist sicher eines meiner Vorbilder. Meine Eltern haben mir ganz viel von dem mitgegeben, was ich brauche. Vor Situationen und Aufgaben, die mir Angst machen, rufe ich meine Mama an, um das Herz in die Hand zu bekommen und meinen Papa, um den Kopf kühl zu bewahren. Es gibt einen Maßstab, den man an sich setzen muss als Sprecherin. Ich bin das Werkzeug einer Bewegung. Ich muss dem Zweck dienlich sein.

Von wem haben Sie das mitgegeben bekommen, diesen Aufopferungswillen auf Ihre Kosten?

Das ist mein Bewegungsverständnis.

Woher kommt das?

Aus der Bewegung selbst. Dort gibt es unglaublich viele tolle Menschen, aber die wenigsten werden sichtbar gemacht. Und jene wenigen, die sichtbar sind, wie ich, haben ein Privileg, aber auch eine Pflicht, die damit einhergeht.

Ihr Vater hilft Ihnen, den Kopf kühl zu bewahren. Wie sieht er Ihr Engagement?

Eigentlich sehr positiv. Er macht sich nur wahnsinnig viele Sorgen, mehr als Mama, die sich ja selbst Gefahren aussetzt und das Risiko kennt. Sie hat wohl mehr Verständnis dafür, dass ich eine erwachsene Frau bin und mir der Konsequenzen bewusst bin. Für meinen Papa aber bin ich noch immer die kleine Lena. Das kriegen Väter vielleicht weniger raus.

Das kann ich bestätigen.

(Lena Schilling lacht herzhaft.) Nach dem Brandanschlag der Rechten auf unser Protest-Camp in der Lobau hatte ich 18 Anrufe in Abwesenheit.

17 davon vermutlich von Papa.

Genau! Ich verstehe, dass er sich Sorgen macht. Und das ist sein Vorbehalt. Aber ich habe letztens ein Kinderfoto gefunden. Papa war immer schon begeisterter Fußballfan. Es gibt ein Foto von mir, da bin ich vier, und er hat mir die Haare rauffrisiert zu einem Punk-Baby. Er meinte damals, irgendwann wirst du ein richtiger großer Punk. Heute lachen wir drüber.

Die Prognose ist ja eingetroffen. Sie sind ein Punk. Nicht äußerlich, aber offenbar tief drinnen – und agierend nach außen.

Ja.

Bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch ließ ich mich von meiner Tochter und meinem Sohn beraten. Meine Tochter, sie ist 15, will von Ihnen wissen, ich zitiere wortwörtlich: „Wie geht es deiner Seele?“

Das ist eine extrem schöne Frage. Es ist auch eine extrem schwere Frage. Schwierig … schwierig geht es meiner Seele. Belastet ist sie, bestimmt. Und so im Tun, dass es wenig Zeit gibt, die Dinge und Gefühle zurückzudenken. Ich bin dankbar für die Position, in der ich sein kann, dass ich genau weiß, wofür ich kämpfe, dass ich in meinem Leben so eine klare Richtung habe, und gleichzeitig, gerade nach dem Brandanschlag – es gibt sehr viel rechte Hetze, Hass und Übergriffe. Das hinterlässt Spuren.

Viele, die noch jünger sind, haben Sie als Vorbild – sowohl was Ihr politisches Engagement angeht, als auch Ihr Privatleben. Was raten Sie Mädchen und Burschen? Wie achten Sie auf Ihre Seele?

Man muss sich nicht als alleinstehend sehen. Sondern als jemand, der Mitstreiter hat, Gleichgesinnte, Freundinnen. Da denke ich an Hunderte, Tausende, mit denen man das in der Bewegung teilen kann.

Aber im Privaten? Weint ihr euch buchstäblich miteinander aus, wenn es euch schlecht geht?

Viel zu wenig eigentlich. Aber schon. Lernen, Grenzen zu ziehen, ist die größte Herausforderung. Persönliche Grenzen. Und dass man sich Pausen gönnt. Pausen, die man braucht, um dann die Kraft zu haben weiterzukämpfen. Ich mache das schlecht, darum kann ich nicht so gut drüber reden … Ich muss zum Beispiel daheim schlafen und konnte nicht über mehrere Nächte im Protestcamp bleiben, weil ich zwei Katzen habe, die mich brauchen.

Das ist auch Verantwortung.

Ja, aber Verantwortung, die mich zu Pausen zwingt. Im Protestcamp zum Beispiel kann man die ganze Zeit sein. Es braucht ja Leute, die das permanent besetzen. Dann hat es dort drei Grad, man wird angegriffen von Rechten, man ist in einem Zelt, draußen schneit es, man weiß: Gefahr, Gewalt, Räumungsgefahr, Polizei. In dieser Situation nach Hause zu fahren, das war eine wichtige Grenze. Ohne die wäre es nicht mehr gegangen.

Die Frage meines 17-jährigen Sohns an Sie lautet: „Wegen der Corona-Isolierung und unserer Kommunikation via sozialen Medien habe ich oft das Gefühl, zu wenig analoge Kommunikationskompetenz zu haben. Das nervt. Geht’s dir auch so?“

Auf jeden Fall! In privaten Beziehungen habe ich das ganz genauso. Beruflich ist das anders, da hilft es, dass ich aus meiner Rolle agiere. Da ist eine Maske drüber, ein Filter, und da weiß ich, was meine Aufgabe ist. Aber das ist privat etwas ganz anderes. Wir haben die Pandemie für beendet erklärt, aber die zwei Jahre Leidensdruck zeigen ihre Wirkung, belasten uns nach wie vor. Wir haben Corona als Gesellschaft noch nicht aufgearbeitet.

Was ist das Wichtigste für Kinder beim Aufwachsen? Worauf sollten Eltern achten?

Ihnen viel zuhören, sie mitreden lassen. Selbstbewusste kleine BürgerInnen hervorzubringen, die selbstkritisch sind, kritisch, mutig und goschert, die keine Angst haben, am System anzuecken, sondern die wissen, dass sie verändern können. Du kannst sein, wie du bist. Und es ist okay. ● ○