© Katharina Fröschl-Roßboth
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Round Table

„Das Grundgefühl von Reichtum"


Sprachen erschließen uns die Welt und öffnen den Blick auf die Vielfältigkeit unserer Wirklichkeit. Literatur trägt wesentlich zu einem Diskurs bei, der Identität, Wahrnehmung und gesellschaftliches Miteinander unter der Perspektive von Mehrsprachigkeit gewinnbringend miteinander verbinden kann. Die Autorinnen Milena Michiko Flašar und Ljuba Arnautović, beide zweisprachig aufgewachsen, unterhielten sich mit morgen über Kindheit, Bilingualität und die Möglichkeiten der Kunst, für den Facettenreichtum des Österreichischen zu sensibilisieren.

Wir sind mit einem Klima konfrontiert, in dem gelebte Zwei- und Mehrsprachigkeit kritisch oder gar negativ eingeschätzt wird. In Ihre Biografien sind Fragen der Zweisprachigkeit eingeschrieben. Welche Einflüsse hat der Faktor Sprache auf Ihre Kindheit, Ihr Aufwachsen gehabt?

Milena Michiko Flašar

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Ich bin mit Zweisprachigkeit geboren und aufgewachsen. Mein Vater war Österreicher mit tschechischen Wurzeln, meine Mutter ist Japanerin. Diese Tatsache spiegelt sich in meinem Nachnamen wider, und mit dem Umstand verbindet sich auch ein nettes Stück Familienhistorie. Der Há­ček in meinem Namen war eigentlich schon weggefallen, da meine Großeltern ihn nicht mehr benutzt hatten. Es war mein Vater, der den Há­ček dann wieder zurückgeholt hat. Er meinte, er würde eine Geschichte erzählen, nämlich die Geschichte über unsere Herkunft. Seitdem werden wir eben nicht mehr „Flasar“, sondern „Flaschar“ ausgesprochen. Diesen Gedanken von ihm habe ich bis heute weitergetragen. Deshalb führe ich als Autorin auch meinen japanischen Mittelnamen, Michiko, um damit zu zeigen, dass er – wie der Há­ček über dem „s“ in Flašar – ein Teil von mir ist.

Ljuba Arnautović

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Auch wir haben uns unseren Accent zurückgeholt, wenn auch aus anderen Gründen. Es war so, dass die österreichischen Behörden eine Zeit lang Sonderzeichen gar nicht berücksichtigt haben. Das heißt, in Pässen oder auch in den Geburtsurkunden meiner Kinder. Meine Schwester, die dahingehend immer die größere Kämpferin war, hat sich diesen Bestandteil unseres Namens dann bei den Behörden wieder zurückgeholt – dass das so auch amtlich ist. Ich habe das übernommen und bestehe immer auf eine korrekte Schreibweise. Es gibt mittlerweile keine Ausreden, nur ganz wenige Schreibprogramme haben diese Sonderzeichen nicht.

Eine Möglichkeit der Verhandlung dieser gesellschaftlich relevanten Fragen ist die künstlerische Auseinandersetzung mit den Themenfeldern der Kindheit und der Elternschaft. Gleichzeitig, dazu leitet auch die neuere Forschungsliteratur an, wird ein breiteres Verständnis von Sprache oder auch sprachlicher Kompetenz betont. Wie haben sich diese Erfahrungen zweisprachigen Aufwachsens gezeigt?

Flašar

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Für mich war meine Zweisprachigkeit etwas absolut Natürliches. Dass wir uns mal so, mal so miteinander verständigten, war einfach normal in unserem Haushalt. Mit meiner Mutter haben wir Kinder japanisch gesprochen, mit meinem Vater deutsch. Das war eine ganz selbstverständliche Sache, und es wäre mir auch gar nicht weiter aufgefallen, dass das etwas Besonderes gewesen wäre. Es ist mir erst durch bestimmte Zuschreibungen von außen aufgefallen. „Was redet ihr da?“, hieß es etwa, „das klingt komisch.“ Oder auch: „Tsching, tschang, tschung“, mit Verweis auf die gelbe Hautfarbe oder die „Schlitzaugen“, die ich angeblich hatte. Dass es ein Unterschied ist, ob man in einem rein deutschsprachigen Haushalt aufwächst oder in einem mehrsprachigen, war für mich infolge solcher Zuschreibungen in Form von negativer Aufmerksamkeit stark spürbar. Zweisprachigkeit wurde meist nicht als etwas Bereicherndes, sondern als etwas Trennendes wahrgenommen. Dieses Gefühl, anders zu sein und dadurch aufzufallen, ist rückblickend betrachtet schon eine prägende Erfahrung gewesen. Strategien des Umgangs damit habe ich zweierlei erlernt. Einerseits war da eine Form des Tonio-Kröger-Syndroms: Ich versuchte mich anzupassen und noch „normaler“ als „normal“ zu sein. Andererseits entwickelte ich mit der Zeit auch einen gesunden Stolz, den Stolz darauf, dass man durch Zweisprachigkeit einen gewissen Reichtum besitzt. Man tut sich leicht mit dem Switchen zwischen den Kulturen, man ist überall und gleichzeitig nirgendwo zu Hause, man hat die Freiheit, sich mit hier und dort zu identifizieren oder eben auch nicht. Dieses Grundgefühl von Reichtum wurde bei mir stetig stärker.

Arnautović

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Ich machte ganz ähnliche Erfahrungen. Ich war sechs Jahre alt und meine Schwester vier, als wir nach Österreich kamen. Wir lernten sehr schnell Deutsch. Ich war noch ein paar Wochen im Kindergarten, bevor ich eingeschult wurde. Am ersten Tag verstand ich gar nichts, das war eigenartig, aber da zeigte sich auch, wie Kinder mit solchen Situationen umgehen: Das ist jetzt die Realität, das ist einfach so, ich habe nicht darunter gelitten. Als ich zehn Jahre alt war, sind wir in einen Gemeindebau gezogen, und die anderen Kinder haben uns immer „Russenkinder“ nachgerufen. Meine Schwester wollte das nicht, sie legte sich dann mit den anderen Kindern an, weil sie das als Schimpfwort empfand. Ich löste das für mich so, dass das etwas Anderes, Besonderes und geradezu Exotisches ist, so zu sein. Etwas, das mich von den anderen Kindern eben abhebt – wobei ich heute nicht mehr sagen kann, ob das meine Strategie des Umgangs mit der Situation war oder ob ich es tatsächlich so empfand.

Am ersten Tag verstand ich gar nichts.

Welchen Einfluss hat das auf Ihre Rollen als Mütter gehabt? Wie wirken sich diese Erfahrungen auf literarisches Schreiben und das Wirken als Autorinnen aus?

Flašar

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Als ich selbst Mutter wurde, war der Wunsch da, weiterzugeben, was ich von meiner Mutter vermittelt bekommen hatte. Ich will ihre Sprache und die Kultur, die der Sprache innewohnt, weitergeben, mit allen Unsicherheiten, die ich in dieser Hinsicht habe. Ich beherrsche das Japanische ja nicht perfekt. Da ich in Österreich aufgewachsen bin, hinkt es dem Deutschen etwas hinterher. Aus meiner Sicht ist es jedoch besser, mein Sohn spricht „hinterherhinkendes“ Japanisch als gar keines.

Arnautović

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Meine Kinder wuchsen auch zweisprachig auf, ich sprach mit ihnen zu Hause russisch. Mit fünf Jahren hat meine Tochter das verweigert, sie wollte „normal“ sein. Sie hat sich über ihren Nachnamen bei mir beklagt: „Warum haben wir so einen komischen Namen, ich möchte auch normal heißen.“ Ich sprach sie weiterhin auf Russisch an, sie antwortete dann eine Zeit lang auf Deutsch. Aber mit ihrem kleinen Bruder sprach sie weiterhin russisch, weil sie glaubte, er versteht sie sonst nicht. Lustigerweise wiederholte sich die Situation mit ihm, als er auch fünf Jahre alt war. Nur mit der Großmutter wurde dann noch russisch gesprochen.

Flašar

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Ich sprach mit meinem Bruder durchgehend, also bis ins Erwachsenenalter, immer japanisch. Ich glaube, bei zweisprachigen Familien passiert es ganz oft, dass sich eine eigene Form der Familiensprache herausbildet. Also ein ganz eigener, privater Kauderwelsch, in den Elemente der jeweils zweiten Sprache eingeflochten werden. Wir haben durch die Mischung aus Deutsch und Japanisch auch individuelle Ausdrücke erfunden, Ausdrücke, die für niemanden sonst verständlich sind. Vielleicht macht Zweisprachigkeit ja fähig für ein Neudenken und Neuaneignen von Sprachen.

Arnautović

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Das ist eine Erfahrung, die ich auch beim Schreiben mache, wenn ich etwa aus meinem russischen Sprachschatz schöpfen kann. Ich schreibe ausschließlich in deutscher Sprache, suche manchmal nach Ausdrücken und Bedeutungen – und werde dann nur im Russischen fündig. So wie ihr als Kinder neue Worte geschaffen habt, so kann man das ja auch beim literarischen Schreiben machen. Das ist auch ein Umstand, den ich generell an Literatur schätze, wenn Autorinnen und Autoren eben ursprünglich in einer anderen Sprache aufgewachsen sind, diese beherrschen und in deutscher Sprache schreiben. Da entstehen ganz wunderbare, tiefgehende Begriffe, die man, wenn man nur in einer Sprache beheimatet wäre, gar nicht so finden könnte.

Man tut sich leicht mit dem Switchen zwischen den Kulturen.

Welche Rolle kann oder soll die Literatur im Rahmen dieser Debatten spielen? Sind auch die Autorinnen und Autoren in der Pflicht, sich entsprechend zu äußern?

Flašar

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Ich finde diesen Aspekt sehr wichtig, weil ich in erster Linie als österreichische Autorin wahrgenommen werde. Ich schreibe auf Deutsch, aber meine Bücher spielen in Japan. Das heißt, ich schreibe über japanische Themen und japanische Figuren in einer nicht-japanischen Sprache. Das ist auch eine Übersetzungsarbeit, die ich da leiste. Ich bin da aber zwiegespalten. Ich finde es gut, wenn es eine generelle Aufmerksamkeit für Zweisprachigkeit in der Literatur gibt, will das Thema aber nicht von der österreichischen Literatur abgekoppelt sehen. Statt wieder in Gruppen zu trennen, sollten wir eher überlegen, was das Label „österreichische Literatur“ überhaupt bedeutet und ob es nicht alle möglichen Sprachen beinhalten kann. Man muss einfach anerkennen, dass Mehrsprachigkeit in Österreich eine Realität ist, die sichtbar gemacht werden darf und soll, auch in Form lustvoller Deutschförderung an den Schulen. Der Versuch, Mehrsprachigkeit zu unterdrücken, wie zuletzt in Niederösterreich, wo laut über ein Deutschgebot in den Schulpausen nachgedacht wurde, wird zu ganz gegenteiligen gesellschaftlichen Effekten führen, nämlich zu Sprachlosigkeit und Ausgrenzung.

Arnautović

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Neben bestehenden Preisen und Förderungen ist es zudem überaus wichtig, Kinder und Jugendliche ganz generell zum Lesen zu bringen. Lesen öffnet den Blick auf Sprachen und Kulturen, es eröffnet uns die Welt ganz generell. Das klingt im ersten Moment vielleicht etwas altmodisch, aber ich bin ja froh, wenn die Kids auch online lesen. Lesen erscheint mir generell so wichtig, da kommen die Kinder schon von selber auf die Idee, was sie sprachlich reicher macht, dann entdecken sie auch Übersetzungen und Mehrsprachigkeit. Generell sollten wir uns klarmachen: All das ist österreichisch. ● ○