Interview Mona Jas, Bettina Kogler, Bettina Masuch
Katharina Fröschl-Roßboth
Interview Mona Jas, Bettina Kogler, Bettina Masuch

Roundtable

„Viele Dinge kommen auf den Prüfstand“


Welche Schritte müssen jetzt gesetzt werden, damit Tanz, Performance und Kunst für die Zukunft relevant bleiben? Mona Jas, künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors in St. Pölten, Bettina Kogler, Chefin des Tanzquartiers Wien, sowie die designierte Festspielhaus-Intendantin Bettina Masuch sprachen mit morgen über Kulturschaffen in einer sich verändernden Gesellschaft. Warum Flugmeilen nicht mehr cool sind, welche digitalen Entwicklungen  bleiben werden und wie man es schafft, authentisch zu sein.

morgen: Viele Bühnen sind gerade wieder im Turbomodus, es wird mehr produziert denn je. Da stellt sich die Frage: Was haben wir aus der Pandemie gelernt? Was sollte anders laufen?

Bettina Masuch

:

Ich glaube, wir haben noch gar nicht richtig verstanden, was diese Pandemie mit uns gemacht hat. Dass wir jetzt wieder in eine hektische Betriebsamkeit springen, ist kein realistisches Abbild von dem, wohin sich der Betrieb entwickeln wird. Viele Dinge, die vor der Pandemie selbstverständlich waren, kommen auf den Prüfstand. 

Bettina Kogler

:

Ich bin mir nicht sicher, wie sehr der Mensch lernen kann und will. Zumindest die Krisen, die ich in meiner Lebenszeit erlebt habe, führten dazu, dass es nachher schlimmer wurde. Veränderung funktioniert nur, wenn wir uns bewusst sind, dass wir gerade am Hebel sitzen, dass wir es sind, die die Zukunft gestalten müssen. Ich habe durch die Pandemie aufgehört, mir Antworten von irgendwem zu erwarten. Es gibt sie nicht. Wir müssen sie selbst finden. Dazu müssen wir miteinander ins Gespräch kommen. 

Mona Jas

:

Auf der einen Seite wird es einen Rückfall in alte Muster geben, viele werden wieder anfangen, ihre Reisen zu buchen, ihre Meetings zu machen, viel zu fliegen. Gleichzeitig wird etwas anderes beginnen, weil Corona längst nicht vorbei ist. Wir wissen ja nicht, was noch auf uns zukommt. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir für die Zukunft andere Wege erarbeiten können. Dieses Denken und Leben in Widersprüchen wird unseren Alltag prägen. Genau das macht aber auch die Kunst aus: zwei widersprüchliche Aussagen nebeneinander stehen zu lassen. Nicht alles in einer gängigen Logik aufzulösen. 

Sie sind seit Kurzem Leiterin des Kinderkunstlabors, das 2024 in St. Pölten eröffnet. Es soll auf Augenhöhe mit Kindern gearbeitet werden. Wie sieht das konkret aus?

Jas

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Für mich geht es darum, integer zu sein und nicht Pseudopartizipation zu betreiben. Vor Kurzem haben die Architekt*innen des Neubaus ihr Modell unserem Kinderbeirat vorgestellt, der bereits aktiv an der Konzeptphase mitwirkt. In einem Workshop wurde dann gemeinsam künstlerisch gearbeitet. Mir war wichtig, den Kindern und den Architekt*innen zu sagen: Wir haben ein innovatives Konzept als klare Richtschnur und werden diesem folgen. Doch wir können und wollen im Sinne der Gestaltung einiges möglich machen und viel voneinander lernen. Es geht doch auch darum, aus Herausforderungen und Krisen zu lernen, gemeinsam Lösungen zu finden. Und nicht zu behaupten, wir haben sofort auf alles eine Antwort. 

Theater sollen das oft ältere Stammpublikum halten, partizipativ arbeiten, postmigrantisch, divers und queer sein. Wie schafft man diesen Spagat?

Masuch

:

Die größte Herausforderung ist gerade, inklusiv zu sein. Die Stadtgesellschaft hat sich massiv verändert. Das bildet sich in den Institutionen oft noch nicht genügend ab. Dafür muss man ein Bewusstsein haben. Und auf die Menschen zugehen. Man darf nicht erwarten, dass sie von selbst kommen. 

Kogler

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Mein Rezept ist es, authentisch zu bleiben. Man macht etwas, weil man daran glaubt. Dass man mit Tanz nicht die Massen erreichen kann, finde ich legitim. Aber viele unterschiedliche Stimmen im Programm zu haben, ist mir schon sehr wichtig.

Jede Kunstinstitution behauptet im Moment, offen und divers zu sein. Aber man merkt bei vielen dann doch schnell, dass es nur hohle Phrasen sind. 

Zeitgenössische Kunst braucht Expertise.

Jas

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Zeitgenössische Kunst braucht Expertise. Das trifft im Kinderkunstlabor auf sehr unterschiedliche Lebenswelten von Kindern. In der Schule, mit der wir kooperieren, kommen viele aus Familien von Geflüchteten. Ich würde aber nicht sagen: Wir sind divers. Das ist einfach die Gesellschaft, wie sie ist. Und im Kinderkunstlabor kommen diese Welten zusammen. Da passiert dann etwas. Da kann es richtig Streit geben, aber wir können auch neue Perspektiven aufmachen. 

Frau Masuch, Sie meinten in einem Interview, die Schnittstelle zwischen Ethik und Ästhetik würde Sie interessieren. Was bedeutet das?

Masuch

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Bei vielen Künstler*innen wird der fremde Blick auf das Kunstwerk schon miteinbezogen. Körpertherapie ist zum Beispiel ein großes Thema im Tanz. Da gibt es Produktionen für Menschen mit Parkinson. Ich sitze dann als Nichterkrankte in Vorstellungen und mache Übungen, die nicht für mich gedacht sind. Das bringt mich dazu, mit einem anderen Blick auf meinen Körper zu schauen, aber auch auf den von anderen. Zurzeit arbeite ich mit einer israelischen Künstlerin an einem neuen Format fürs Festspielhaus, das unter dem Motto „Practicing Empathy“ stehen wird: Empathie üben – eine der größten Aufgaben unserer Zeit! 

Früher wurde der Begriff Mitmachtheater eher abwertend verwendet. Mittlerweile sucht das Publikum diese neuen Erfahrungsräume. 

Kogler

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Bei uns steht im Herbst ein Jubiläum vor der Tür: Das Tanzquartier wird 20 Jahre alt. Wir beschäftigen uns aber gar nicht so sehr mit der Vergangenheit, sondern fragen uns, wie die Zukunft des Tanzes aussieht. Unter anderem veranstalten wir zu diesem Thema Workshops mit Profis, Studierenden, aber auch mit unserem Publikum. Da werden dann zum Beispiel Tarotkarten gelegt. Wir dachten zuerst, wir würden die Zuschauer*innen während Corona gar nicht erreichen. Aber es gibt viele Menschen, die mitarbeiten möchten. 

Bei der heimischen Choreografin Doris Uhlich beteiligen sich ja auch Laien an Nacktperformances. 

Kogler

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Sie wollen etwas erleben, ihren Körper spüren. Und zwar nicht allein, sondern in der Gruppe und öffentlich. Es gibt eine Geschäftsführerin von einer Institution im Wiener Museumsquartier, die bei einer Nacktperformance von Uhlich mitgemacht hat. Für sie war das eine Art von Selbstermächtigung. Sie hat erzählt, man habe sie gefragt, was ihr Mann denn dazu sagen würde, dass sie nackt auftritt. Sie empfand die Frage als Frechheit. Als wäre ihr Körper im Besitz ihres Mannes. Das habe ihr noch mal gezeigt, was in unserer Gesellschaft noch alles zu verändern sei. Wie wichtig es sei, dass sie in dieser Performance mitmacht. 

Gerade im Performance- und Tanz-Bereich wird viel gereist. Wie verträgt sich das mit dem Thema Nachhaltigkeit? Was kann man digital abfangen? 

Masuch

:

Im zeitgenössischen Tanz war internationales Arbeiten die Königsklasse. Künstlerische Kompetenz wurde fast schon an den Flugmeilen gemessen. Da braucht es sicher ein Umdenken, um verantwortungsvoller mit Ressourcen umzugehen. Bei vielen europäischen Künstler*innen gibt es ein wachsendes Bewusstsein, dass man neue Strategien der Zusammenarbeit finden muss, ohne den internationalen Kontext aufzugeben. Umgekehrt ist es für Kunstschaffende aus Afrika oder Südamerika oft schwierig, weil sie durch das internationale Touring die Arbeit in ihren Heimatländern mitfinanzieren. Hier gilt es, neue Modelle der Kooperation zu erfinden.

Kogler

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Das Koproduktionsgeschäft hat alles bestimmt. Ob sich das ändern wird? Ich weiß es nicht. Man braucht Partner, gerade für größere Produktionen. In Sachen Digitalisierung müssen wir erst schauen, was funktioniert, was man behalten möchte. Man hat ja bei sich selbst gemerkt, dass man sich nach zu vielen Online-Meetings oft wie ein Zombie fühlt. Andererseits haben Vorträge online gut funktioniert, man konnte ein größeres Publikum erreichen. Und Vortragende etwa aus New York gewinnen, die nicht nur für einen Abend einen Langstreckenflug antreten wollten. 

Masuch

:

Wir dachten ja, dass sich vor allem junge Leute für Onlineformate begeistern können. Aber die sitzen ohnehin den ganzen Tag am Computer. Gerade eine ältere, nicht mehr so mobile Generation, war sehr dankbar, dass sie Tanz und Theater zu Hause wahrnehmen konnte. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Kogler

:

Einen Videolink anzuschauen und daneben kochen zu können oder die Wäsche aufzuhängen, das war ein neues Erlebnis. 

Jas

:

Wir möchten im Kinderkunstlabor mehr auf Ruhe und Selbstentdecken setzen. Das ist auch eine Reaktion auf Corona, dass wir nicht atemlos eine Produktion nach der nächsten stemmen. Es soll Raum zum Verweilen geben oder dazu, einfach in den Park zu schauen. Es geht nicht darum, dass Kinder lernen, wie wichtig zeitgenössische Kunst ist. Sie können sie auch doof finden. Vielleicht gefällt ihnen ja der Bach hinter dem Gebäude. Auch gut. 

Didaktische Kunst ist wahrscheinlich auch deshalb in Verruf geraten, weil die Theater selbst am Prüfstand stehen. Es wird viel über selbstherrliche, sexistische Intendanten diskutiert. Sind die Strukturen an den Bühnen veraltet?

Koglerr

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Gerade in Österreich ist vieles verkrustet. Zeitgenössisches Arbeiten findet sich oft im Theater nicht wieder. Da ist noch Luft nach oben, auch, was die Nutzung von Home­office betrifft. 

Jas

:

Wir sind kritisch und selbstkritisch. Der Begriff des Verlernens wurde durch die Documenta 14 wieder ins Spiel gebracht, gleichzeitig gibt es ein altes Wertesystem. Wenn ich mir das Opernrepertoire in Deutschland anschaue – das ist echt krass, wenn es um Vergewaltigung geht. Selbstverständlich wird Gewalt auf der Bühne inszeniert. Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Sollen wir das alles streichen? Was können wir Schulklassen zumuten? Da müssen weitere Expert*innen hinzugezogen werden, wie etwa ein Verein, der sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt. 

Masuch

:

Gerade im Stadttheater gab es oft eine große Diskrepanz zwischen dem, was auf der Bühne verhandelt, und dem, wie hinter der Bühne gearbeitet wurde. Auch da war die Pandemie ein Brandbeschleuniger. Es gibt strukturelle Ungerechtigkeiten und einen oft völlig veralteten Künstlerbegriff, der mit Genie alle Arten von Missbrauch gerechtfertigt hat. Das ist das Gute an der Gegenwart, dass alles auf dem Tisch liegt, und wir damit umgehen müssen. Unter den Teppich kehren – das ist eindeutig vorbei. 

Mir wurde bewusst, wie wichtig körperliche Nähe ist.

Was ist persönlich geblieben, was möchten Sie beibehalten?

Kogler

:

Mir geht die Bussi-Bussi-Gesellschaft nicht ab, man muss nicht jede*n umarmen. Diese Freiheit würde ich mir gern behalten, dass wir sensibler dafür sind, welche Distanz jede*r haben möchte. Meine Tochter ist Anfang 20, da kommt eine Generation, die etwas verändern möchte. Die wollen anders leben, und die werden anders leben. Das macht mir Hoffnung. 

Jas

:

Meine Kinder sind auch um die 20. Die überlegen sich genau, wie sie ihr Privatleben gestalten wollen. Darüber hat sich unsere Generation überhaupt keine Gedanken gemacht. Mir gefällt, dass durch die Pandemie eine neue Art von Achtsamkeit in Sachen Körper entstanden ist.  Auch das ist ein Stück Lebensqualität.

Masuch

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Ich finde toll, was ihr sagt. Mir geht es ähnlich, eine gewisse Lässigkeit zu haben, genieße ich sehr. Eine Produktion aus Thailand zu streamen, während ich noch frühstücke. Aber mir ist auch verstärkt bewusst geworden, wie wichtig körperliche Nähe ist. Ich habe Gerüche vermisst, durch eine Stadt zu gehen und sie zu riechen. Ich möchte am Festspielhaus auch bewusst nach Formaten suchen, die eine andere Art von Nähe, fast körperliche Begegnung zwischen Publikum und Künstler*innen ermöglichen.

Jas

:

Am Anfang ist es mir schwergefallen, mich ständig selbst zu sehen in Zoom-Meetings. Jetzt muss ich sagen: Ich habe mich an mich gewöhnt. ● ○