Patricia Piccinini, „Teenage Metamorphosis“, 2017
Peter Hennessey / Drome Pty Ltd / Kunsthalle Krems
Patricia Piccinini, „Teenage Metamorphosis“, 2017

Posthumanismus

Unheimlich unschuldig


Mensch, Tier, Fantasiegestalt? Seit jeher bevölkern hybride und groteske Wesen die Kunst. Heute täuschen Roboter Empathie vor und gerät das anthropozentrische Weltbild ins Wanken. In Zeiten des Posthumanismus stellt sich auch die Kunst die Frage: Wie sieht die Zukunft menschlicher Körper aus?

Ein kleines Geschöpf schlummert in einem Nest aus Pelz. Tiefe Falten durchziehen seine Stirn; es wirkt jung und alt zugleich. Sein rosafarbener Körper ist schütter mit Haaren bedeckt. Wird ihm noch ein Fell wachsen? Die eigenartigen Ohren legen nahe, dass es sich hierbei um keine bekannte Spezies handelt.

In Patricia Piccininis Ausstellung (Untertitel: „Embracing the Future“), die aktuell in der Kunsthalle Krems läuft, darf das Publikum gleich zu Beginn ein lebensecht produziertes Wesen aus Silikon und Kunstharz angreifen und in den Arm nehmen, dessen Wimpern und winzige Zehen berühren. Die Skulptur löst Staunen und Rührung aus, aber auch Befremden und Unbehagen.

Die Kulturgeschichte kennt viele monströse Neugeborene. In Gaston Leroux’ Roman „Das Phantom der Oper“ von 1909 kommt der Titelheld schwer entstellt auf die Welt und wird später eine Maske tragen. Und in Roman Polanskis Horrorfilm „Rosemaries Baby“ funkelt der Sohn des Teufels aus furchteinflößenden Augen. Dennoch siegt in beiden Erzählungen die Mutterliebe über den Schrecken.

In Piccininis Ausstellung treffen wir auf freundliche Geschöpfe, die dennoch Ambivalenz bewirken. Da gibt es Figuren, die wie eine Kreuzung zwischen einer Robbe und einem Baby oder zwischen einem Biber und einem Buben aussehen. Überall dominiert rosa Fleischlichkeit, mit typischen Falten und Runzeln, aber auch befremdlichen Körperöffnungen. Im Bett, dem Ort größter Intimität, liegen plötzlich Wesen mit Krallen oder Flossen. Das Unschuldige trifft auf das Unheimliche.

Mit dem Untertitel ihrer Ausstellung, auf Deutsch: „Die Zukunft umarmen“, verweist die australische Künstlerin auf eine Zeit, wo solche Kreaturen Wirklichkeit werden könnten. Die moderne Biotechnologie ist dabei, Gegensatzpaare wie menschlich / tierisch, organisch / künstlich, lebendig / nicht lebendig aufzulösen. Piccinini führt in ein künstlerisches Labor der Vorstellungskraft, jedoch nicht zum Selbstzweck. Vielmehr stellt sie die brennende Frage: „Was werden wir mit diesen Möglichkeiten machen?“

Seit jeher bevölkerten groteske Erscheinungen die Kunst, seien es die Höllenwesen bei Hieronymus Bosch oder die Fantasiegestalten des Surrealismus. Die Gentechnik fand in den vergangenen 20 Jahren ihren Widerhall in der Kunst; diese nimmt die Wissenschaft zum Ausgangspunkt für utopische oder dystopische Szenarios. Vor dem Hintergrund ökologischer Krisen wie dem Artensterben gewinnt diese Auseinandersetzung an Brisanz. 

Schön oder hässlich?

lptur trägt den Titel „The Offering“, was mit „Die Gabe“, aber auch „Das Opfer“ übersetzt werden kann. Wie ein Geschenk bietet uns Picci­nini ihre Schöpfung dar, deutet aber auch einen potenziellen Verlust an. Das hilflose Wesen appelliert an unseren Beschützerinstinkt. Damit befinden wir uns gleich bei einem Kernanliegen Piccininis: Aus ihrer Kunst spricht ein feministisch-ökologisches Plädoyer für eine umfassende Art der Fürsorge. Diese Haltung ist besonders in der Begegnung mit dem gefordert, was uns radikal anders erscheint. 

Im Interview zur Ausstellung erzählt die 1965 in Sierra Leone als Tochter eines italienischen Paares geborene Künstlerin von eigenen Fremdheitserfahrungen. Als sie sieben Jahre alt war, wanderte ihre Familie von Westafrika nach Australien aus. Die Erinnerung daran, wie es sich anfühlte, eine Außenseiterin zu sein, habe sie nie verloren. „Ich verstehe die Figuren in meinem Werk in vielerlei Hinsicht als Metaphern für die Entrechteten oder Ausgeschlossenen. Die Schönheit oder Hässlichkeit dieser Kreaturen hängt stark davon ab, mit welchen Vorstellungen von Normalität man sie anschaut.“

Themen wie Produktion und Reproduktion, aber auch wie Mutterschaft oder künstliche Fortpflanzung ziehen sich durch Piccininis Schau. Das beginnt bereits mit der Frage, ob die präsentierten Lebewesen im Labor durch Gentechnik entstanden seien oder ob sie Mutationen darstellen sollen. Oder kommen diese Mischwesen gar aus einem anderen Kosmos? Für artenübergreifende Fürsorge steht das Orang-Utan-Weibchen, das zwei blonde Kleinkinder wie Äffchen auf ihrem Rücken hängen hat. Zieht die Affenmutter, die selbst auf der Liste der bedrohten Arten steht, die Tarzans der Zukunft groß?

Unter dem Begriff des „Posthumanismus“ werden seit zwei Dekaden Geistesströmungen zusammengefasst, die den Menschen nicht mehr als Krone der Schöpfung betrachten. Vielmehr streichen sie die Ähnlichkeit zu anderen Spezies und die Abhängigkeit des Menschen von seiner Umwelt hervor. 

Werden durch die Gentechnologien neue Lebewesen entstehen? Oder könnte die Wissenschaft Arten wie den Orang-Utan, wenn sie aussterben würden, durch Gentechnik nachzüchten? Was nach Szenarien wie im Dinosaurier-Film „Jurassic Park“ klingt, ist durch neue Verfahren in greifbare Nähe gerückt. Generell finden Debatten über Bioethik heute kaum mehr öffentlich statt. Sie sind von der Mitte der Gesellschaft in Gremien gerückt oder werden auf Basis von Kosten-Nutzen-Rechnungen diskutiert. Die Kunst hat die Chance, diese verengten Zugänge wieder zu öffnen und – nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Öko-Krisen – eine breitere Beschäftigung damit anzuregen.

Ein besonders zwiespältiges Bild hat Piccinini in ihrem – in Krems nicht präsentierten – „Stillleben mit Stammzellen“ geschaffen: Da sitzt ein Mädchen am Boden und betrachtet voller Entzücken eigenartige Bio-Objekte, so als wären sie neue Haustiere oder Spielzeug. Es handelt sich aber um abstoßende Klumpen und Säcke, aus nichts als Haut und ohne Sinnesorgane. In einem Interview erzählte die Künstlerin, dass sie in einem Labor leicht pulsierendes Herzgewebe in einer Petrischale gesehen hat. Die Forschung hat um die Jahrtausendwende herum entdeckt, wie Stammzellen aus menschlichen Embryonen vermehrt werden können, um beliebige Organe zu erzeugen.

Ich verstehe die Figuren als Metaphern für die Entrechteten.

Technologie bestimmt mehr und mehr unsere Leben und Körper

Krankenhausvorhänge

Piccininis amorphe Bio-Objekte könnten als Vorbild für die Installation „Synthetic Seduction“ von Marie Munk und Stine Deja gedient haben, die 2020 in der Wiener Galerie Untitled Projects zu sehen war. Die beiden dänischen Künstlerinnen haben dafür leichte Silikonbälle produziert, die wie Hautklumpen mit Poren, Venen und Dellen aussehen. In ihrer Installation lagen sie vor Flatscreens aufgetürmt, auf denen Computeranimationen diese Formen in Bewegung zeigten. Für eine klinische Atmosphäre sorgten blaue Krankenhausvorhänge an den Wänden ringsum.

Eine ebenso bedrückende wie beeindruckende Vision davon, wie menschliche Reproduktion in der Zukunft aussehen könnte, entwarf Munks große Installation „Cable-to-Cradle“. Diese setzte sich aus acht Ständern mit Plexiglasgefäßen zusammen, deren fleischfarbener Inhalt künstliche Gebärmütter darstellte. In sanften Rotationen wogten diese Apparaturen hin und her, wie Föten in der Fruchtblase. Von den Fake-Uteri führten täuschend lebensechte Nabelschnüre weg, die sich wie Stromleitungen über Wände und Decken legten. An welches Versorgungsorgan sie schlussendlich andockten, blieb der Fantasie überlassen.

Bereits 1932 entwarf Aldous Huxley in seinem Science-Fiction-Klassiker „Brave New World“ Reproduktionsfabriken zur Menschenzucht. Die Wissenschaft forscht schon lange an künstlichen Gebärmüttern. Solche artifiziellen Organe könnten Frühgeburten retten und Leihmutterschaft obsolet machen. Zu Jahresbeginn erlebten israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihren Forschungen einen Durchbruch: Die Embryonen von Mäusen konnten sich einige Tage in künstlich geschaffenen Milieus entwickeln. Die ethischen Implikationen liegen auf der Hand. „Maschine statt Mama?“, fragte ein Zeitungsartikel, der sich den Fortschritten bei der ausgelagerten Fötenversorgung widmete. 

Sehnsucht nach Liebe

„Technologie bestimmt mehr und mehr unsere Leben und Körper“, erklärt die 1988 geborene Munk zu ihrer Installation. „Wir tendieren dazu, kommerziellen Tendenzen zu folgen, ohne die Langzeitfolgen zu überdenken. Und das, obwohl sie den Kern dessen berühren, was uns als Menschen ausmacht.“ Es ist interessant: Einst spielten radikale Feministinnen mit der Idee, dass „Babys aus dem Reagenzglas“ Frauen von der einseitigen Last der Reproduktionsarbeit befreien könnte. In Zeiten, da In-vitro-Fertilisation völlig normal ist, erscheint der nächste Schritt – nämlich die komplette Auslagerung von Schwangerschaft aus dem Frauenkörper – doch erschreckend.

Durch die Schau von Munk und Deja war der Song „I Wanna Know What Love Is“ wie eine musikalische Untermalung zu hören. Der schwermütige Eighties-Hit drang aus Stine Dejas Video „Foreigner“. Darin ist ein Android in einem OP-Saal zu sehen. Die glatzköpfige Figur – ihr Geschlecht bleibt unklar – betrachtet sich dabei in einem Spiegel, als wollte sie ihre Identität daraus ablesen. Die Sehnsucht künstlicher Wesen nach Liebe bewegte schon Mary Shelleys „Frankenstein“ und machte den „Replikanten“ in Ridley Scotts Film „Blade Runner“ zu schaffen. Künstliche Intelligenzen können bis heute nicht fühlen; aber sie kolonisieren immer mehr emotional-intime Bereiche unseres Lebens und werden dank Programmen wie Gesichtserkennung immer besser darin, Empathie vorzutäuschen. 

Einen humanoiden Roboter als Skulptur präsentierte die polnische Künstlerin Goshka Macuga in der Gruppenschau „How to Live Together“ 2017 in der Kunsthalle Wien. Das Publikum begegnete dort einem lebensgroßen Bartträger, der sprach und die Hände gestisch bewegte. Wer auf der Sitzbank neben der Figur Platz nahm, konnte Zitaten aus berühmten Reden, Büchern und Filmen lauschen. Das Publikum reagierte belustigt auf diesen monologisierenden Fremden, der so eindringlich philosophische Fragen verhandelte. Um als Weiser oder als Orakel durchzugehen, hätte er wohl ein anderes Styling gebraucht. Dennoch beschlich einen das Gefühl, dass der Roboter Grundsätzliches ansprach, mit dem man sich schon viel zu lange nicht beschäftigt hat. 

Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Für Macuga ist es das über Jahrtausende entwickelte Wissen, das letztlich nur durch immer neue Fragen entstanden ist. Die Labore, in denen unser Morgen entworfen wird, sind wissenschaftlich-technologische ebenso wie kulturelle. Die Kunst kann uns helfen, die „Zukunft zu umarmen“, indem sie uns auffordert, sich um sie zu sorgen. ● ○