Österreich als Opfer fremder Aggression: „1. April 2000“, 1952
Filmarchiv Austria
Österreich als Opfer fremder Aggression: „1. April 2000“, 1952

Science-Fiction

Eine kurze Geschichte der Zukunft


Der Science-Fiction-Film entwirft das Kommende – und sagt dabei doch mehr über die Gegenwart als die Zukunft aus. Ein Streifzug durch die heimische Filmgeschichte von den mad scientists früher Produktionen über politisch instrumentalisierte Zugriffe bis zu jüngeren Werken, die fragen: Wie lange kann es noch so weitergehen?

Kino ist eine Zeitmaschine, die uns Vergangenheit, Gegenwart und auch mögliche Zukunft projiziert. Science-Fiction kommt dabei eine Schlüsselrolle zu – und nicht erst seit Jessica Hausners „Little Joe“ von 2019 oder Sandra Wollners kürzlich mehrfach mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnetem „The Trouble with Being Born“ (2020) finden sich heimische Produktionen, die um Entwürfe des Kommenden kreisen. Der Fantastische Film erweist sich dabei nicht nur als unterhaltend, sondern auch als Taktgeber für technische und gesellschaftliche Entwicklungen, die mal positiv und bestätigend, dann wieder dystopisch und warnend dargestellt werden. Die klassischen Themen der Moderne lassen sich auch im österreichischen Science-Fiction-Film nachweisen: Verhandelt werden, wie sich an ausgewählten Beispielen zeigen lässt, Fragen der Wissenschaft, der Urbanität und der Künstlichkeit, der Kontrolle oder aber des Kontrollverlusts. Erzählerische Klammern für diese vielfältigen, facettenreichen Aspekte bieten oftmals die Idee der Reise oder Begegnungen mit dem absolut Fremden. 

Schon in der frühen Produktion „Das Kind des Teufels“ (1919) kons­truiert ein mad scientist ein Gerät, mit dem die Elektrizität beherrscht werden kann und das diese zur Lebensspenderin oder eben auch zur Waffe werden lässt. Die Konsequenzen der Hybris sind schon miteingeschrieben und ebenso unvermeidlich. Gleiches findet sich in dem drei Jahre später herausgebrachen Film „Parema. Das Wesen aus der Sternenwelt“. Darin streiten zwei konkurrierende Wissenschaftler um eine Schöne, die künstlich reanimiert wird. Ihr ist kein längeres Glück beschieden, und nach nur kurzer Zeit stirbt sie erneut; ausgerechnet die romantische Liebesnacht mit einem dritten Arzt wird ihr zum Verhängnis. 

Erdtrabant

Anders in „Die Welt in Gefahr“, wo die Liebe zum erlösenden Moment wird: Ein von der Fachwelt verkannter Astronom konstruiert einen Apparat, mit dem er die Laufbahn des Mondes beeinflussen kann. Aus Rache für die Zurückweisung seiner Kollegen will er alles Leben auf der Erde auslöschen; erst die Liebe seiner Tochter zu einem jungen Widersacher bringt ihn – und auch den Erdtrabanten – wieder auf die richtige Bahn. In „Die Stadt ohne Juden“ von 1924 fordert eine rechte Partei die Ausweisung aller jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus einer fantastisch anmutenden Stadt. Der folgende Zusammenbruch, ein dystopisches Szenario im expressionistischen Setting, stellt sich schließlich als Traum heraus – nimmt dem Streifen aber nichts von seiner Schärfe und sollte sich nur wenige Jahre später als prophetisch erweisen.

Auch der letzte österreichische Science-Fiction-Film vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs reflektiert gesellschaftliche Zukunftsentwürfe: Wien wird im Jahre 2032, hundert Jahre nach dem Entstehungsdatum von „Die vom 17er Haus“, sozialdemokratisch regiert. Das Archiv der Stadt, gezeigt in einer Trickaufnahme zu Beginn des Films, überragt den Stephansdom ganz wesentlich. Da wird vom Stadtarchivar problemlos mit den ideologischen Verbündeten in Asien korrespondiert, dem neugierigen Enkel die Geschichte der Familie erzählt und dem Publikum die Notwendigkeit des sozialen Zusammenhalts demonstriert. Perfekter könnte ein Werbefilm wohl kaum sein, der so sehr die Zukunft bemüht, um über die Probleme der Gegenwart zu sprechen.

Nach den Schrecken des Krieges sucht die Filmwirtschaft ihr Heil in den Entlastungsstrategien, die identitätsstiftend und politisch wirksam sein sollen: So wird in „Die Welt dreht sich verkehrt“ ein Beamter mittels Zauberring auf Zeitreise geschickt. Ausgestattet mit gesundem Selbstbewusstsein und einer Flasche Wein erlebt der Protagonist den Wiener Kongress, eine Türkenbelagerung und die Römerzeit. 

Das Ergebnis ist die Entlarvung einer Gesellschaft.

Hyksos-Invasion

Die Botschaft ist überdeutlich: Immer schon scheinen die gelegentlich etwas grantigen, doch eigentlich friedliebenden Österreicherinnen und Österreicher das Opfer fremder Aggressoren gewesen zu sein. Dasselbe vermittelt die staatlich beauftragte Produktion „1. April 2000“ (1952): Im Jahre 2000 ist Österreich immer noch besetzt. Der Grund der Besatzung wird freilich ausgespart. Als die Bevölkerung aufbegehrt und selbsttätig ihre Unabhängigkeit ausruft, reagieren die internationalen Mächte, halten Gericht über das Land und seine Geschichte. Die vorgeführte Historie endet aber in der Kaiserzeit, der schließlich die Freiheit des Landes herbeiführende Beleg – ausgerechnet die Moskauer Deklaration – macht Österreich als Opfer der jüngsten historischen Ereignisse erfahrbar. 

Auch jüngere Produktionen stellen einmal mehr die Kritik an der Gesellschaft ins Zentrum: Ein Kippen aus der unhinterfragten Normalität ist für Valie Exports „Unsichtbare Gegner“ aus dem Jahr 1976 bestimmend. Die Fotografin Anna hört in den Nachrichten von der Invasion durch die Hyksos, die echten Menschen täuschend ähnlich seien. Erneut werden das Außerirdische und das Humane zusammengelegt, eine Überlagerung, die freilich auch eine politische Komponente enthält. Die Protagonistin beginnt, ganz eingenommen von der Botschaft der Invasion, ihrer Umwelt mit einem neuen, kritischeren Blick zu begegnen. Das Ergebnis ist die Entlarvung einer Gesellschaft und des sie dominierenden Systems, der Missverhältnisse zwischen den Menschen im Allgemeinen und zwischen den Geschlechtern im Speziellen. Auch Michael Hanekes „Wolfzeit“ ruft 2003 Untergangsszenarien auf: Zu Beginn der Handlung ist die Katastrophe schon geschehen, das alles verändernde Ereignis ist atmosphärisch spürbar, bleibt aber ungenannt; sein Film „Code inconnu“ stellt anhand einer gewaltvoll zertrümmerten Kleinfamilie die Frage danach, wie lange es mit der westlichen Gesellschaft noch so weitergehen kann. Lösen große Hollywood-Produktionen derartige Komplexe meist zugunsten der wiederhergestellten familiären Einheit oder Schicksalsgemeinschaft auf, so trägt bei Haneke immer der Einzelne die Verpflichtung, Bürde und Last der Situation. So entwirft Science-Fiction zwar immer das Kommende – sagt aber auch einiges aus über die Gegenwart, in der sie entsteht. ● ○