O-Töne

Groove, Rhythmus, Schlaf


Wie erlebt man das Donaufestival von der Bühne aus? morgen befragte Künstlerinnen und Künstler, die in Krems musizierten, tanzten, auflegten und Kunst schufen zu ihren Erlebnissen. Sie erzählten von Indoor-Gärten und Publikumsverschnürungen, vom Schlamm der Konzerthallen und einer Musikrichtung namens Gqom. Auch der Riesling blieb in Erinnerung.

Circuit des Yeux

Meine Erinnerungen an die Performance beim Donaufestival sind warm und lebendig. Es waren sehr viele Besucherinnen und Besucher vor Ort. Ich erinnere mich an volle Hallen und Gänge. Vor meinem Konzert kam ich in ein Gedränge. Zum Glück stieß ich sofort auf Musik und Kunstinstallationen, die mich beruhigten. Der Klangraum Krems in der Minoritenkirche, in dem ich auftrat, war ein fast perfekter Ort – ein höhlenhafter Raum mit hohen Türen. Er war erfüllt von einer alten Energie. Sie trug meine Songs ganz natürlich, ohne den atmosphärischen Schlamm vieler Konzerthallen, ins Publikum. Ich erinnere mich an ein hingerissenes Publikum von ungefähr 500 Leuten. Das Besondere daran: Es war kein einziges Mobiltelefon zu sehen. Ich wusste schon beim ersten Song, dass unsere Herzen auf einzigartige Weise miteinander verbunden waren.

Danach verkaufte ich meine Platten, CDs und T-Shirts selbst am Gang. Es war ein etwas unbehaglicher, aber intimer Austausch, meine Musik von Angesicht zu Angesicht an die Zuhörerinnen und Zuhörer zu bringen, Hände zu schütteln und wildfremde Menschen zu umarmen. 

Ich bin eigentlich sehr ruhig und zurückhaltend. Ich war das Mädchen, das in der Klasse ganz hinten saß und fast nie etwas sagte. Als Jugendliche hatte ich viele Ideen, aber es brauchte lange Zeit und enorme Energie, um sie in Worte zu fassen und meiner Umwelt mitteilen zu können. Heute habe ich das Gefühl, dass ich nur auf der Bühne zu hundert Prozent ich selbst bin. Es ist eine sehr starke, ermächtigende Erfahrung. Krems war meine erste und bislang einzige Begegnung mit Österreich. Das Festival wird mir immer im Gedächtnis bleiben, weil es meinem künstlerischen Streben sehr entgegenkam.

Wird immer im Gedächtnis bleiben

Circuit des Yeux ist der Bühnenname der US-amerikanischen Musikerin Haley Fohr. Die in Chicago lebende Sängerin, Komponistin und Multiinstrumentalistin lotet in ihren dunklen Songs, die an Vorbilder wie Nico oder Scott Walker anschließen, das Verhältnis zwischen Persönlichem und Universellem aus. Ihr erstes Österreich-Konzert zählte zu den Höhepunkten des Donaufestival 2018.

Karin Pauer

Das Schöne an unserem Stück ist, dass es total Prä-Corona ist. Mein Partner Aldo Giannotti und ich machten das Publikum dabei zu einer Community. Man kommt sich sehr nahe, es ergeben sich vorübergehende Beziehungen zwischen den Menschen im Raum. Wir führen sie teilweise herum und strukturieren ihre Positionen um. Dadurch ergeben sich jedes Mal neue Konstellationen. 

Die Leute sind aufgefordert, über ihr eigenes Verhalten in einer Gemeinschaft zu reflektieren. Spannend finde ich die kulturellen Unterschiede. Ich spielte das Stück auch schon in Rumänien, da ging das Publikum voll mit. Am Donaufestival war es etwas härter zu knacken. Publikumspartizipation ist eine feine Linie. Es soll nicht unangenehm werden. Mir ist eine sanfte Form von Partizipation am liebsten, wo sich die Leute nicht unwohl fühlen. Je länger sie im Raum waren, umso mehr haben sie sich darauf eingelassen. Wie bei einer Massage wurden sie langsam sanfter. Am Ende waren alle ganz offen und entspannt. Für mich war das eine sehr intensive und auch emotionale Erfahrung. Ich versuche als Performerin immer mit der Stimmung im Raum zu arbeiten. Das ist eine Praxis, die ich bei jeder Arbeit anwende.

Intensive Erfahrung

Generell lebt das Donaufestival von der Nähe. Es passiert viel auf einmal, es gibt laufend Austauschmöglichkeiten mit dem Publikum. Das Programm ist auch sehr schön verwoben. Man geht von einem Programmpunkt zum anderen, oft passiert am Weg dorthin noch irgendwas. Das Festival ist sehr vielseitig, und es geschieht ständig Unerwartetes. Die Pandemie bedeutete für meine Arbeit einen massiven Einschnitt. Ich dachte, das Stück sei damit gestorben und wir können es vielleicht nie wieder zeigen. Tatsächlich passt es durch unser neues Empfinden von Nähe und Distanz jetzt inhaltlich wieder sehr gut. Ich führte es gerade in einem Museum in Bologna zum ersten Mal seit der Pandemie wieder auf, natürlich in einer corona-tauglichen Adaption. Momentan herrschen überall andere Regeln. Als ich im Juni ein Solo im Tanzquartier Wien spielte, musste ich drei Meter Abstand zum Publikum einhalten. Bei einem Tanzfestival in Budapest durften nur geimpfte Leute rein, dafür gab es überhaupt keine Abstandsregeln. In Italien war es eine Mischvariante. Für die Parts, wo wir näher ans Publikum herangetreten sind, haben wir uns maskiert. Aber langsam kommen wir wieder zusammen.

Die Wiener Performerin und Choreografin Karin Pauer zeigte gemeinsam mit dem Künstler Aldo Giannotti beim Donaufestival 2019 das Stück „this is where we draw the line“, bei dem das Publikum mit ständig neuen Verknüpfungen von Schnüren räumliche Konstellationen verändert.

DJ Lag

Ich glaube nicht, dass ich diese Tournee und meinen Auftritt beim Donaufestival jemals vergessen werde. Es war erst meine zweite internationale Tour außerhalb von Südafrika. Krems war eine große Show. Ich habe in dieser Nacht erstmals in einer Halle vor so vielen Leuten aufgelegt. Wenn ich mich recht erinnere, war das auch das erste und bislang einzige Mal, dass ich auf der Bühne mein T-Shirt ausgezogen habe. So aufgeregt war ich. Auf dieser Reise habe ich einiges zum ersten Mal erlebt. Ich war erstmals länger allein unterwegs – bei der Tournee davor hatte mich jemand begleitet. Am Bahnhof Krems sah ich meinen Namen zum ersten Mal auf einer Plakatwand. Auch das war ein sehr besonderer Moment.

Ein sehr besonderer Moment

Mich überraschte, dass unser Sound die Menschen auf der ganzen Welt zum Tanzen bringt. Wir erwarteten nicht, dass Gqom so gut ankommen würde. Bei den ersten Auftritten in Europa und den USA hatte ich Angst, dass die Leute die Musik nicht fühlen würden, aber das ist nie passiert. Es braucht nur ein oder zwei Songs, und schon bewegen wir uns alle gemeinsam. Wenn ich auf Reisen bin, werde ich manchmal gefragt, was ich so mache. Wie ich Gqom beschreibe? Es ist der Sound einer Zulu-Trommel und ein Groove und ein Bass und ein Rhythmus. Normalerweise gibt es heute fast überall Internet. Das ist hilfreich, denn so kann ich den Leuten meine Arbeit online zeigen und ihnen noch andere südafrikanische Künstlerinnen und Künstler empfehlen. Gqom trat in den letzten Jahren einen erstaunlichen Siegeszug an. Unsere Musik bewegte sich um die ganze Welt. Sogar Beyoncé nahm einen Song in dem Stil auf. Ich habe „My Power“ für ihr Album „Lion King: The Gift“ koproduziert. Der Sound ist also jetzt schon sehr populär. Er ist aber nur ein Teil des Ganzen. Afrikanische Musik an sich ist nicht mehr aufzuhalten. Sie wird immer breiter wahrgenommen. Ich bin gespannt, was noch alles passieren wird.

DJ Lag, südafrikanischer Produzent und DJ, zählt zu den Pionieren und Aushängeschildern der Gqom-Szene. Gqom ist eine Abwandlung von Housemusic. Zu dem peitschend-minimalistischen Sound muss man einfach tanzen. Den ersten Beweis dafür hierzulande erbrachte DJ Lag mit seinem schweißtreibenden Set beim Donaufestival 2017.

Marina Gioti

Die Premiere meiner Performance fand 2016 in Athen statt. Ich traf Thomas Edlinger, den künstlerischen Leiter des Donaufestivals, danach auf der Documenta und schlug ihm diese Arbeit für Krems vor. Sie dreht sich darum, wie die Technologie so gut wie alle Aspekte unseres Lebens beeinflusst. Sogar den Schlaf. Thomas fand, dass das gut zum damaligen Festivalmotto „Endless Now“ passte, und war gleich an Bord. „Polysomnogarden“ ist eine sehr komplizierte Installation. Wir errichteten dafür im Forum Frohner einen Garten mit echten Pflanzen. Er wurde völlig verkabelt, weil riesige kinetische Skulpturen darin standen. Diese synchronisierten wir mit Daten meines Schlafes. Um alles vorzubereiten, war ich schon sieben Tage vorher in Krems. Ich glaube, ich war eine der ersten Kunstschaffenden vor Ort. Ich hatte richtig Spaß in dieser schönen Kleinstadt. Es gab auch eine Weinverkostung, der Riesling war großartig. Die Produktion war eine perfekte Zusammenarbeit und das erfolgreichste Set-up dieser Installation, eine meiner besten Erfahrungen als Künstlerin. Manchmal gehen Leute lieber den einfachen Weg. Nicht so das Donaufestival. Sonst hätten sie meine Arbeit nicht ausgewählt. An drei Tagen zählten wir fast tausend Besucherinnen und Besucher. Ich war rundum happy. Auch die Aufmerksamkeit des Publikums war erstaunlich, und es stellte sehr gute Fragen. Manchmal saßen die Leute stundenlang in der Installation herum wie in einem Chill-out-Space. Du befindest dich sozusagen im Schlaf einer anderen Person und untersuchst den Rhythmus des schlafenden Körpers. 

Erstaunliche Aufmerksamkeit

Die Installation wirkt sehr friedvoll, aber meine Arbeit ist auch politisch. Der Kapitalismus stiehlt uns den Schlaf. Wenn du schläfst, hast du das Gefühl etwas zu verpassen. Solche Überlegungen stehen dahinter. Corona hat uns nicht direkt in den Schlaf-, sondern in den Schlummermodus versetzt. Wir haben ja trotzdem gearbeitet und diese furchtbaren Zoom-Calls durchgestanden. Jetzt machen wir wieder Babyschritte in der richtigen Welt. Es fühlt sich noch sehr seltsam an.

Ich selbst habe einen wunderbaren Schlaf, aber es geht nicht allen so. Momentan interessieren mich Schlafprobleme sehr. Wenn ich die Installation wieder machen würde, würde ich die Daten einer Person mit einer Schlafstörung als Grundlage nehmen. Das Ganze hätte eine ganz andere Atmosphäre. Es würde nicht wie ein Garten aussehen, mehr wie eine Folterkammer.

Die griechische Künstlerin Marina Gioti startete als Filmemacherin, ehe sie sich verstärkt der bildenden Kunst zuwandte. Beim Donaufestival 2018 zeigte sie die Installation „Polysomnogarden“ – ein sich wandelndes Realtime-Environment.