Orte wie der Semmering oder Bad Gastein, in denen Grandhotels entstanden, waren frühe exklusive Tourismusdestinationen, in die zumeist städtische Unternehmen investierten. In seinem neuen Buch „Hotel Paradiso“ schreibt der Kulturjournalist Matthias Dusini über den Semmering: „Der Bildungsbürger träumt sich in eine erhabene Vergangenheit hinein, als die Kunst die Nähe von Reichtum und Eleganz suchte. Er vergisst dabei die Gewalt, mit der Investoren bereits damals eine bis dahin unberührte Landschaft nach ihren renditegetriebenen Vorstellungen formten.“ Dem Charme von Bettenburgen außer Dienst kann sich heute freilich kaum jemand entziehen. Das zeigt sich vor allem beim Blick der Kunst auf die einstigen Rekreationsorte des Fin de Siècle. Nicht nur einmal war etwa das seit Langem leerstehende Südbahnhotel am Semmering Sujet von Fotoserien. Eine davon befindet sich in den Landessammlungen Niederösterreich und stammt von der Fotografin Yvonne Oswald. In ihren Bildern breitet sich der einst glanzvolle Speisesaal des Hotels, wie ihn wohl Stefan Zweig erlebt hat, in seiner ganzen Leere aus, haben Möbel ihren Zweck verloren und genügen sich selbst. Das „Märchenschloss“, das der Künstlerin bei ihrem ersten Besuch „sehr, sehr wienerisch“ erschienen war, faszinierte sie von Anfang an. Das schreibt sie im Fotoband „Das Südbahnhotel“, wo sie die Serie publizierte. Künstlerin und Philosophin Elisabeth von Samsonow notiert darin: „Trotz des sichtbaren Niedergangs verliert das Haus keineswegs die Contenance, ganz im Gegenteil. Die an den Leisten abstehenden Tapeten, die löchrigen Bezüge, die abgeschlagenen Kanten der Lackierungen verleihen dem Haus die Würde einer Grande Dame, deren individuelles Alter vor dem Hintergrund einer längeren Geschichte niemals gegen sie verwendet werden darf.“
In Bad Gastein wurde die verfallende Kulisse zum Faszinosum einer Kunstcrowd, die nicht nur aus österreichischen Städten, sondern auch aus dem Ausland anreist: Berliner Galeristen, Zürcher Designerinnen und US-amerikanische Reporter entdecken seit ein, zwei Dekaden die leicht morbide Atmosphäre des Ortes. Der weißhaarige deutsche Alleinunterhalter Friedrich Liechtenstein verhalf ihm mit einem gleichnamigen Album sowie dort gedrehten Videos zu neuer Prominenz über die Grenzen Österreichs hinaus. Ebenso die Hamburger Kuratorin Andrea von Goetz und Schwanenfliess, die mehrere Jahre Kunstschaffende in Gastateliers lud und das Festival Sommer.Frische.Kunst gründete. 2022 soll eine Messe mit dem Titel Art Moves Mountains den hippen Kunstjetset von Zürich bis Berlin anziehen. Bei früheren Gelegenheiten gastierten in Bad Gastein bereits illustre Player wie der Berliner Galerist Johann König, dessen Galerie derzeit zu den angesagtesten im deutschsprachigen Raum zählt.
Zuletzt erhielt der Ort erhöhte Aufmerksamkeit, als er dem Schriftsteller und Regisseur David Schalko als Vorlage für seinen Roman „Bad Regina“ diente. Darin kauft ein chinesischer Investor alles auf, bis nur noch 46 Menschen in dem Ort wohnen. Zu Beginn reflektiert Protagonist Othmar das Faszinosum des Verfallenen: „Othmar hatte sich oft gefragt, wie lange ein Haus ein Haus blieb und ab wann man es wieder Natur nennen müsste. War das alte Helenenbad noch ein Bad? Othmar hatte nie das Bedürfnis gehabt, dort schwimmen zu gehen. Zu viel Marmor. Zu viel Kurort. Erst als es zusperrte, spürte er das Verlangen danach. Ähnliches galt für das Grand Hotel, das Casino, das Sanatorium Kleeberg, die Radon-Bäder, das Kraftwerk – selbst das brutalistische Kongresszentrum, das sie in den Siebzigern in die Mitte des Ortes gestellt hatten, nahm Othmar erst richtig wahr, als es dem Verfall überlassen wurde.“
Der Transfer des Urbanen ins Ländliche funktioniert im 21. Jahrhundert in Bad Gastein ähnlich wie vor hundert Jahren: Über die wiederbelebten Hotelbetriebe dort schreibt etwa die Neue Zürcher Zeitung: „Am Werk waren hier fast ausschließlich Städter, die wissen, wie Städter heute in den Ferien in den Bergen ihre Zimmer eingerichtet haben wollen.“ Das klingt vertraut: nach Stefan Zweig und Anton Wildgans. ● ○