Kolumne

In der Kombinäsch am Strand


Sommerfrische. Schon bei dem Wort verspürt man eine Art Nostalgie. Die Menschen packen ihre Koffer, verlassen die überhitzten Städte und suchen Abkühlung abseits der großen Metropolen. Natürlich wohnen sie in schönen, im Heimatstil gebauten Häusern oder Hotels, baumeln mit der Seele, genießen die schöne Natur rundherum. Das Südbahnhotel am Semmering und die Villa Wartholz in Reichenau sind Zeugen einer ruhmreichen Zeit. Das war einmal.

Doch genauso, wie sich die Menschen ändern, ändern sich auch ihre Gewohnheiten. Wer könnte es sich heute noch leisten, mehrere Wochen der Arbeit fernzubleiben, wem genügt es noch, so lange an einem Ort zu bleiben? Wir fliegen, fahren mit dem Auto, mit der Bahn, mit dem Kreuzfahrtschiff und bleiben in der Regel kurz, oft nur ein paar Tage, vielleicht ein, zwei Wochen. Wir besichtigen, erleben, shoppen … und kommen übermüdet heim. Von einer Erholung kann keine Rede sein.

Auch ich war dabei keine Ausnahme. China, Korea, Indien, Kenia, USA. Je weiter die Reise ging, umso wohler fühlte ich mich. Aber irgendwann sättigte sich die Neugierde nach fernen Ländern, exotischen Speisen, die mir nicht immer gut bekamen, und Souvenirs, die sich im Keller stapelten, und ich besann mich auf die Schönheit der Natur in meinem Umkreis. In Wanderschuhen und mit einem Rucksack auf dem Rücken ging es in die Berge. Am liebsten mit einer kleinen Gruppe von Freundinnen und Freunden.

Was lange ein großes Vergnügen war, bekam durch ein winzig kleines Virus, das keiner sehen und riechen kann, eine neue Bedeutung. Lockdown. Wir gehen allein oder zu zweit spazieren und drehen uns im Kreis. Nehmen die Route einmal im und das andere Mal gegen den Uhrzeigersinn. Aber immer die gleichen Häuser, immer die gleichen Bäume, sogar die Menschen, die wir treffen, sind dieselben. Mit Hund, ohne Hund, einzeln, zu zweit, mit Kinderwagen, Fahrrad oder Tretroller. Jeden Tag, fast bei jedem Wetter, so lange, bis man genug von der blöden Rennerei hat und zu Hause auf der Couch vor dem Fernseher sitzen bleibt.

Wie schön wäre es, ein kleines Stückchen Grund sein Eigen zu nennen, denken viele, und man merkt es auch bald, wie gern sich die Menschen in ihren Gärten aufhalten, Blumen und Gemüse züchten, liebevoll die Zäune streichen oder die Scheune, die es seit Jahren längst nötig hatte, aufräumen. Hochbeete mit üppigen Zucchini und Tomaten werden immer mehr, Rosenstöcke und diverse Stauden blühen um die Wette. Mir kommt vor, dass die Gärten noch nie so schön aussahen wie jetzt, während der Lockdowns.

Doch nicht jeder besitzt einen Garten, viele nicht einmal einen Balkon oder eine Terrasse. Deshalb müssen alternative Programme her. „Machen wir ein Picknick“, schlug einmal Evi, eine meiner Freundinnen, vor, und alle waren sofort begeistert. Wir beratschlagten, wo und wie, und waren uns sofort einig. Ja, wir machen es. Bald. Und dann erzählte Evi, sie ist die Älteste von uns, wie es die Generation ihrer Eltern und Großeltern in den 50er-Jahren praktizierte. Am Sonntagnachmittag gingen die Familien an die Traisen, saßen dort am Ufer, aßen Schnitzel mit Kartoffelsalat, Marillen- oder Zwetschenkuchen und tranken dazu Kaffee, den sie in der Thermoskanne mitgebracht hatten. Auf der Decke sitzend, sahen sie ihren im Wasser planschenden Kindern zu. Die Männer und Buben trugen dabei ihre schwarzen Glotthosen (oder auch Klotthosen), Mädchen hatten schon damals Badeanzüge aus Baumwolle oder gar aus Wolle an, die aber den Müttern, vielleicht aus Spargründen oder sogar aus Keuschheit, vorenthalten blieben. Um es sich trotzdem bequem zu machen, zogen die Frauen in den 50er-Jahren ihre Kleider aus und ließen in einem Unterkleid, der sogenannten „Kombinäsch“, die laue Luft und die Sonne an ihren blassen Körper heran.

Das erinnert mich an meine Kindheit, in der die Buben und ganz kleine Mädchen „Glotky“, wie bei uns die schwarzen Sporthosen hießen, zum Baden und Sport trugen. Das Wort „Glotky“ könnte vom englischen Wort „Cloth“ (Stoff) stammen, aber auch, was mir noch wahrscheinlicher erscheint, vom deutschen Wort „glatt“. Es bedeutet auch im slowakischen Dialekt dasselbe wie hier. Der dicht verwebte Stoff, aus dem die Glotthosen genäht waren, war auf der Oberfläche seidig und glatt.

Damals gingen die Frauen in Büstenhalter und Unterhosen schwimmen. Auch „Kombinačka“ sah man hin und wieder, kein Mensch stieß sich an der, für heutige Zeit ungewöhnlichen „Freizeitbekleidung“. Kombinačka – Kombinage – Kombinäsch. Manche Wörter verbinden uns.

Meine Mutter war schon damals sehr fortschrittlich und trug im Schwimmbad einen einteiligen Badeanzug; wenn wir im Urlaub am Plattensee waren, sogar einen Bikini. Ihre Schwestern aber, die am Land wohnten, gingen am Sonntag in rosa oder blassblauer Unterwäsche im See baden, was mir als Stadtkind ziemlich peinlich war. Ich sah die drei „Nixen“, wie sie, in ihrem undichten Badegewand nur notdürftig ihre üppigen Reize versteckend, hintereinander eine Wehrmauer wie einen Catwalk entlang stolzierten, und wusste nicht, ob ich lachen, weinen oder vor Scham ins Wasser untertauchen sollte.

Und jetzt kommt meine Freundin mit einem Vorschlag, ein Picknick als Hommage an unsere Großmütter in „Kombinäschen“ zu machen. Alle waren sofort begeistert, nur ich hatte meine Bedenken. Trotzdem ging ich mit. Eine abgelegene Stelle an der Pielach war unser Ziel. Romantisch, leicht versteckt und doch gut erreichbar. Und dann sah ich, was meine Freundinnen unter Picknick verstanden. Wie in einem Märchen spielten wir Tischleindeckdich. Weißes Tischtuch, Porzellanteller, Wein- und Sektgläser, sogar Silberbesteck brachten sie mit. Schnitzel, Brathuhn, diverse Salate, Kuchen, Salzgebäck, feine Servietten, all das breitete sich vor uns auf der großen Decke aus, um die wir uns in den besagten Kombinäschen versammelten.

Am Anfang bewunderten wir das eine oder andere Modell aus der Mottenkiste, bald aber gewöhnten wir uns an den seltsamen Anblick und aßen, plauderten und lachten. Was für ein Genuss! Ein bisschen davon und ein bisschen hiervon, danach ein Schluck von einem köstlichen Grünen Veltliner aus der Wachau. Die Sonne schien auf uns herunter, ein paar neugierige Vögel besuchten uns in der Absicht, einige Krümel zu ergattern. Das kalte Wasser in der Pielach überzeugte nur wenige von uns, die kurz darin eintauchten, die anderen wateten, nur bis zu den Knien im Wasser, über die glatten Kieselsteine und quietschten dabei vor Vergnügen. In unseren Kombinäschen, die unsere Körper sanft umschmeichelten, sahen wir aus wie die „Golden Girls“ in ihren schönsten Zeiten. ● ○