Fischauer Thermalbad
Katharina Fröschl-Roßboth
Fischauer Thermalbad

Thermalbäder

Kabane und Liebe


Die Kurorte entlang der Wiener Thermenlinie atmen Tradition. morgen besuchte Bad Fischau und Bad Vöslau und sprach mit Expertinnen und Experten über Geschichte und Zukunft der Sommerfrische in der Thermenregion.

Das Thermalbad Vöslau erwacht gerade aus dem Winterschlaf, als eine kleine morgen-Delegation zum Fotoshooting anreist. Die Bäume sind noch kahl, manche der Kabanen – sie sind in den hier alles bestimmenden Farben Gelb und Grün gehalten – noch mit Planen abgedeckt. Hinter dem oberen Becken und der Ursprungsquelle nebenan ist ein Teil dieser kleinen Wohneinheiten terrassenförmig aufgereiht und bietet einen Blick auf das nahezu menschenleere Gelände. Wie weitläufig das rund 45.000 Quadratmeter große Areal ist, erkennt, wer den Treppen aufwärts Richtung Marienpark folgt. Dort oben, in einem kleinen Föhrenwald, sind diverse Sportanlagen, weitere, modernere Kabanen und eine Milchbar zu finden.

Im unteren Teil der Anlage spuckt indes ein Feuerwehrschlauch druckvoll Wasser in das große Sportbecken. Es wirkt wie eine endlose Aufgabe, denn der Füllstand ändert sich in der Stunde, in der wir vor Ort sind, kaum. Auch die Sonne gibt an diesem Freitag ihr Bestes, weshalb wir zumindest die Zehenspitzen gerne gleich ins kühle Nass eintauchen würden. In der mondänen Atmosphäre dieses historischen Ortes ist die Badelaune sogar Ende März schnell geweckt.

Im Mineralwasser schwimmen

Das Wasser, in dem die Gäste des Thermalbades Vöslau im Sommer Abkühlung suchen, stammt aus einer der tiefsten Quellen Europas. Bereits vor 15.000 Jahren sickerte es durch die Gesteinsschichten des Schneebergs und sammelte sich dort in einer Tiefe von 660 Metern. Ein gutes Stück entfernt, an die 50 Kilometer, sprudelt es in Bad Vöslau wieder an die Oberfläche – dank seiner ausgewogenen Mineralisierung sogar als „Heilwasser“. Im oberen, dem sogenannten Grünen Becken des Thermalbades sorgt es mit konstanten 21 Grad Celsius für ein erfrischendes Badevergnügen, das auch deshalb etwas Besonderes ist, weil man hier in echtem Mineralwasser schwimmen kann. Nicht weit entfernt wird dasselbe Wasser mit Kohlensäure versetzt und in Flaschen abgefüllt.

„Die Ursprungsquelle ist das Herzstück des Bades“, erzählt Birgit Aichinger. „Sie ist für jeden zugänglich. Und das soll auch so bleiben.“ Als Geschäftsführerin des Thermalbades Vöslau darf sie sich, wenn nicht gerade eine Pandemie grassiert, über weit mehr als 100.000 Besuche pro Saison freuen. „An Spitzentagen sind rund 3.500 Sommerfrischler hier.“

Männer und Frauen gingen nie gemeinsam baden.

Per Südbahn auf Sommerfrische

In seinen Anfangstagen war das Bad deutlich elitärer: 1816 kaufte Graf Moritz I. von Fries das Areal im Maital, auf dem zwei Mühlen – die Luckenmühle und die Sagmühle – standen. Er ließ den sumpfigen, von Schilf umsäumten Teich, in dem sich das Thermalwasser sammelte, befestigen und ein Badehaus mit einem Vollbad und sechs kupfernen Badewannen errichten. „1822 wurde die ‚Fries’sche Badeanstalt‘ eröffnet und gleichzeitig die erste Badeordnung bekannt gegeben“, weiß Silke Ebster zu berichten. Die Historikerin leitet das Bad Vöslauer Stadtmuseum und kennt die Geschichte des Ortes so gut wie sonst kaum jemand. Zuvor schon hatte Johann Baptist Mal­fatti, der auch Leibarzt Beethovens war, das Thermalwasser im Auftrag des Grafen untersucht und dessen heilsame Wirkung festgestellt.

Ab 1868 forcierte Moritz II. den Ausbau des Bades. Nach den Plänen des Ringstraßen-Architekten Theophil Hansen erfolgte dessen Neugestaltung und Erweiterung, die im Jahr 1873 abgeschlossen werden konnte. Es war die Zeit, in der es in Mode kam, auf Sommerfrische zu fahren. Ebster: „Wenn man sich die Kurlisten von damals ansieht, stellt man fest, dass sehr viele Gäste aus Wien kamen. Vöslau war deshalb so beliebt, weil es mit der Südbahn gut zu erreichen war.“ Während in bürgerlichen Familien Frauen und Kinder den Sommer am Land verbrachten, konnte der Herr des Hauses in der Stadt der Arbeit nachgehen und fürs Wochenende mit dem Zug anreisen.

Auch zahlreiche bekannte Namen aus Kultur und Gesellschaft sind in den historischen Kurlisten zu finden: etwa Bertha von Suttner, Hugo von Hofmannsthal, Fanny Elßler, Adolf Loos und Arthur Schnitzler. Schon als sie hier Erholung im Thermalwasser suchten, gab es die beiden großen Becken. „Damals waren das aber zwei getrennte Bäder mit zwei Eingängen“, erklärt Ebster, „weil Männer und Frauen niemals gleichzeitig baden gingen. Es gab geregelte Zeiten, wer wann in den oberen Teich – den mit der Quelle – durfte und wann in den unteren.“

Nicht nur deshalb hat das Bad, in dem Schnitzler einst schwimmen lernte, mit jenem der Vöslauer Jetztzeit nicht mehr allzu viel zu tun: Die aus Holz gebaute Anlage war über die Jahrzehnte nämlich zusehends morsch geworden, weshalb sich die Gemeinde – sie hatte das Thermalbad 1888 von der Familie Fries übernommen – nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Neubau entschloss. Die Entwürfe dafür stammten vom Architekten des Wiener Dianabades, Peter Paul Brang, der aber vor Fertigstellung verstarb. Nach Brangs Tod, so erfährt man in Iris Meders Standardwerk „Badefreuden: Eine Reise zu den außergewöhnlichsten Bädern in Mitteleuropa“, vollendete Wilhelm Lukesch den Bäderkomplex mit repräsentativer geschwungener Eingangskolonnade in den Jahren 1925 und 1926.

Die aufkommende Konkurrenz durch das Strandbad Baden veranlasste Bad Vöslau kurze Zeit später, auch den oberen Teil des Bades zu erneuern. Mit dem Einbeziehen des Marienparks sollte es der letzte große Entwicklungsschritt in der Geschichte des Thermalbades sein. Nach finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinde kam das Bad – über den Umweg Bank – in den 1990er-Jahren schließlich in den Besitz des Mineralwasserunternehmens Vöslauer, genauer: von deren Mutter, der Ottakringer Brauerei.

Das Flair der Kaiserzeit

Eine Autoviertelstunde von Bad Vöslau entfernt, entlang der Wiener Thermenlinie Richtung Süden, liegt das Fischauer Thermalbad. Von außen mag es weniger mondän wirken, davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Denn die Anlage, die 1992 von der Familie Habsburg ins Eigentum der Marktgemeinde Bad Fischau-Brunn wechselte, ist ähnlich geschichtsträchtig wie jene in Bad Vöslau. Auch hier genossen der Hochadel und das aufstrebende Bürgertum in der Belle Époque die Sommerfrische, auch hier verleiht außergewöhnliche Architektur dem Badbesuch ein spezielles Flair. „Baden wie zu Kaisers Zeiten“ lautet nicht ohne Grund ein Werbeslogan, an dem man in Fischau nicht vorbeikommt.

Für die lokale Bevölkerung ist das Thermalbad der Pool vor der eigenen Haustüre.

Maßgeblich geprägt wird besagtes Flair von den Kabinenzeilen im Laubsägedekor der Jahrhundertwende, welche die beiden Becken und die Liegewiesen säumen – auch sie sind im Gelb und Grün der K.-u.-k.-­Monarchie gehalten. Nachdem Ingenieur Franz Plietzsch 1872 die Grundlage für das Thermalbad gelegt hatte, erweiterte es Hofbaumeister Matthias Gerl in den Jahren 1899 und 1900 zu einer Kuranstalt mit Wannen- und Medizinalbädern. Er stellte damit ein Gutteil des heute noch erhaltenen Bestandes her – mit dem sogenannten Herrenbecken als architektonischem Mittelpunkt. Durch die von 1925 bis 1928 folgende Erweiterung um das ovale Damenbecken und die Errichtung weiterer Kabinenanlagen durch Hans Goldschmied habe sich das Bad zu einem „in das natürlich ansteigende Gelände eingefügten Gesamtkunstwerk“ entwickelt, schwärmt Gerold Eßer vom Bundesdenkmalamt in Band 56 der Reihe „Denkmalpflege in Nieder­österreich“.

An besonders heißen Tagen zieht es bis zu 1.000 Besucherinnen und Besucher ins Fischauer Thermalbad, dessen Becken – ihr Inhalt erneuert sich bis zu vier Mal pro Tag – von 19 Grad kaltem, kristallklarem Quellwasser aus den Tiefen der Fischauer Vorberge gespeist werden. Während die einen dabei, ganz dem Sommerfrische-Gedanken folgend, aus der Hauptstadt aufs nahe Land fliehen, machen die anderen einfach Urlaub zu Hause: „Für die lokale Bevölkerung ist das Thermalbad der Pool vor der eigenen Haustüre“, erläutert dessen Betriebsleiter Manfred Mannsberger, für die Gemeinde sei es schlicht „ein Wahrzeichen“.

Dem Denkmalschutz zu genügen, unter dem die historische Anlage in Bad Fischau steht, sei eine der größten Herausforderungen in der Erhaltung des Bades, so Mannsberger. Eine Einschätzung, die ähnlich auch für Bad Vöslau gilt, wo man um die Bewahrung der Tradition und gleichzeitig um die stetige Weiterentwicklung des Thermalbades bemüht ist.

Überall Kultur und Geschichte

Die Gäste – ob sie im Hochsommer zur Abkühlung kommen, sich bei niedrigeren Temperaturen zur Saunarunde treffen oder ganz einfach nur der Hektik der Großstadt entfliehen wollen – wissen die Anstrengungen hier wie dort zu schätzen. Vor allem natürlich die Stammgäste: „Für mich hat das Thermalbad Vöslau eine sehr spezielle Bedeutung und Atmosphäre. Hier habe ich Platz und Ruhe, genieße das Landleben, die Freiheit und das Grün rundherum“, sagt Andrea Schmid aus Wien. „Man merkt sofort, dass es ein bedeutsamer Ort ist, man spürt die Architektur, die Kultur und die Geschichte überall – das ist alles so nahbar und selbstverständlich.“ Als Bewohnerin eines Apartments im Thermalbad hat Schmid auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten Zugang zu den Becken. Das gilt auch für die Kabanesinnen und Kabanesen: So nennt sich jenes glückliche Völkchen, das die rund 90 heiß begehrten Kabanen in Bad Vöslau bewohnt.

Damals wie heute fühlten und fühlen sich besonders Kulturschaffende auf Sommerfrische sehr wohl. Nicht nur die Kurlisten zeigen das, sondern auch das rege kulturelle Treiben, das alljährlich in den Bädern herrscht. „Den schönen Dingen des Lebens die passende Bühne geben“, so lautet das Motto etwa im Fischauer Thermalbad, wo am „Blue Monday“ im Vorjahr Boris Bukowski, Ursula Strauß und Ernst Molden zu sehen und hören waren. In Bad Vöslau wiederum lädt die Journalistin und Autorin Angelika Hager heuer zum zehnten Mal in den „Schwimmenden Salon“.

Einen magischeren Ort, um Kunst zu genießen, gebe es kaum, meint Hager, die ob ihrer Funktion als Intendantin des Literaturfestivals auch eine der Kabanen bewohnen darf. Sie ist sich sicher: „Es gibt in Österreich kein schöneres Freibad. Es ist eine Zeitreise im besten Sinn. Man ist hier jedes Mal überzeugt, dass Genia Hofreiter aus dem ‚Weiten Land‘ in Schnitzlerscher Migräne-Nervosität ums Eck biegt.“

Hoffentlich erlaubt es das Infektionsgeschehen im Sommer 2021 wieder möglichst vielen, an dieser Zeitreise teilzunehmen. Das Vöslauer Sportbecken dürfte in der Zwischenzeit gut gefüllt sein. ● ○