Es ist ein warmer Frühlingsvormittag in Virginia. Renée Fleming sitzt in ihrem lichtdurchfluteten Wohnzimmer. Im Hintergrund blühen die Bäume. Fleming schwenkt die Kamera und zeigt stolz ihre Narzissenpracht. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind das Haus und der Garten der Lebensmittelpunkt der 62-jährigen Sopranistin, die auch nach über 30 Jahren auf der Bühne nichts von ihrer Ausstrahlung verloren hat.
1959 in Pennsylvania geboren, wächst Fleming in New York auf. Dort studiert sie Gesang an der renommierten Juilliard School. Danach bringt sie ein Fulbright-Stipendium nach Frankfurt, wo sie bei Arleen Augér weiterlernt und schließlich in einer Meisterklasse der weltberühmten Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf landet. Mitte der 1980er-Jahre debütiert Fleming als Konstanze in Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ am Salzburger Landestheater. Es folgen der „Figaro“ in Houston unter Christoph Eschenbach und „Così fan tutte“ an der New Yorker Metropolitan Opera unter Georg Solti.
Fast zehn Jahre lang singt Renée Fleming nur Mozart – die beste Stimmschule, wie sie sagt. Der große Durchbruch gelingt ihr mit Mitte 30, als sie an der Met als Desdemona in Verdis „Otello“ an der Seite Plácido Domingos einspringt. Seither hat die Künstlerin alle großen Bühnen der Welt erobert – von den Bayreuther Festspielen und der Wiener Staatsoper über die Londoner Royal Opera und das Opernhaus Zürich bis zu der Opéra Paris und der Mailänder Scala. Über 50 Partien hat sie im Repertoire; dabei hat es ihr vor allem Richard Strauss angetan: Neben den Opern „Arabella“ und „Capriccio“ gehörte die Marschallin im „Rosenkavalier“ zu ihren Paraderollen. Es gibt nur wenige Sängerinnen und Sänger, die so vielseitig sind wie Renée Fleming. Sie singt Liederabende ebenso wie Jazz und Rock, lieh ihre Stimme dem Filmsoundtrack zu „Der Herr der Ringe“, gab eine umwerfende „Lustige Witwe“ in Lehárs gleichnamiger Operette und debütierte 2018 am Broadway in Stephen Sondheims Musical „Carousel“.
Auch abseits der klassischen Bühnen trat Renée Fleming auf, etwa bei der Amtseinführung von Barack Obama, beim 70. Geburtstag von Prinz Charles oder beim Superbowl. Seit einigen Jahren widmet sich Fleming verstärkt der zeitgenössischen Musik. 2022 wird die vierfache Grammy-Gewinnerin an der Met in der neuen Oper „The Hours“ nach Michael Cunninghams Roman singen, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und 2002 verfilmt wurde.