Renée Fleming
Andrew Eccles Decca
Renée Fleming

Renée Fleming

"Als Mädchen wollte ich Präsidentin werden"


Renée Fleming, internationale Starsopranistin, sang 2007 bei der Eröffnung des ersten Grafenegg Festival. Nun kehrt sie an den Ort zurück, an dem man „zum Himmel singen“ kann, wie sie sagt. Im Interview mit morgen erzählt sie über ihre Faszination für die Wissenschaft, die heilende Kraft des Singens und ihren Hang zum Garteln.

Es ist ein warmer Frühlingsvormittag in Virginia. Renée Fleming sitzt in ihrem lichtdurchfluteten Wohnzimmer. Im Hintergrund blühen die Bäume. Fleming schwenkt die Kamera und zeigt stolz ihre Narzissenpracht. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind das Haus und der Garten der Lebensmittelpunkt der 62-jährigen Sopranistin, die auch nach über 30 Jahren auf der Bühne nichts von ihrer Ausstrahlung verloren hat.

1959 in Pennsylvania geboren, wächst Fleming in New York auf. Dort studiert sie Gesang an der renommierten Juilliard School. Danach bringt sie ein Fulbright-Stipendium nach Frankfurt, wo sie bei Arleen Augér weiterlernt und schließlich in einer Meisterklasse der weltberühmten Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf landet. Mitte der 1980er-Jahre debütiert Fleming als Konstanze in Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ am Salzburger Landestheater. Es folgen der „Figaro“ in Houston unter Christoph Eschenbach und „Così fan tutte“ an der New Yorker Metropolitan Opera unter Georg Solti.

Fast zehn Jahre lang singt Renée Fleming nur Mozart – die beste Stimmschule, wie sie sagt. Der große Durchbruch gelingt ihr mit Mitte 30, als sie an der Met als Desdemona in Verdis „Otello“ an der Seite Plácido Domingos einspringt. Seither hat die Künstlerin alle großen Bühnen der Welt erobert – von den Bayreuther Festspielen und der Wiener Staatsoper über die Londoner Royal Opera und das Opernhaus Zürich bis zu der Opéra Paris und der Mailänder Scala. Über 50 Partien hat sie im Repertoire; dabei hat es ihr vor allem Richard Strauss angetan: Neben den Opern „Arabella“ und „Capriccio“ gehörte die Marschallin im „Rosenkavalier“ zu ihren Paraderollen. Es gibt nur wenige Sängerinnen und Sänger, die so vielseitig sind wie Renée Fleming. Sie singt Liederabende ebenso wie Jazz und Rock, lieh ihre Stimme dem Filmsoundtrack zu „Der Herr der Ringe“, gab eine umwerfende „Lustige Witwe“ in Lehárs gleichnamiger Operette und debütierte 2018 am Broadway in Stephen Sondheims Musical „Carousel“.

Auch abseits der klassischen Bühnen trat Renée Fleming auf, etwa bei der Amtseinführung von Barack Obama, beim 70. Geburtstag von Prinz Charles oder beim Superbowl. Seit einigen Jahren widmet sich Fleming verstärkt der zeitgenössischen Musik. 2022 wird die vierfache Grammy-Gewinnerin an der Met in der neuen Oper „The Hours“ nach Michael Cunninghams Roman singen, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und 2002 verfilmt wurde.

Die Musik fließt durch mich hindurch ins Publikum.

Neben dem Gesang setzt sich die Sängerin für die wissenschaftliche Vermittlung von Musik und Gesundheit ein. 2016 wurde sie zur künstlerischen Beraterin des John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington ernannt. In dieser Funktion initiierte sie das Projekt „Sound Health“, eine Kooperation zwischen dem Kennedy Center und den National Institutes of Health.

Stets fasziniert über die Vielfalt und die Möglichkeiten der menschlichen Stimme, programmierte und veranstaltete die Sopranistin zudem das genreübergreifende Festival American Voices, bei dem nicht nur gesungen wurde, sondern auch Expertinnen und Experten aus Medizin, Gesang und Wirtschaft ihre Erfahrungen mit dem Publikum teilten. Derzeit arbeitet die Künstlerin gerade mit dem Giganten Google zusammen: an einer Plattform mit Sängerinnen und Sängern, die von Post-Covid betroffenen Menschen durch Atemübungen helfen soll, die Symptome zu lindern.

2007 sang Renée Fleming bei der Eröffnung des ersten Grafenegg Festival. Im September wird sie dorthin zurückkehren und mit der Mailänder Filarmonica della Scala und Dirigent Andrés Orozco-Estrada eines ihrer Lieblingswerke, die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, aufführen. morgen traf Renée Fleming via Zoom bereits jetzt zu einem Gespräch.

morgen: Frau Fleming, sehe ich einen Garten hinter Ihnen?

Renée Fleming

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Ja, und ich liebe ihn! Gerade im vergangenen Corona-Jahr war es schön, im Grünen zu sein, auch für das eigene Seelenwohl.

Ich habe gelesen, dass Sie eine leidenschaftliche Gärtnerin sind und sogar einen eigenen Gemüsegarten haben.

Den hatte ich letzten Sommer tatsächlich. Ich weiß aber nicht, ob es sich heuer wieder ausgeht, weil ich die meiste Zeit weg von zu Hause sein werde und es niemanden gibt, der sich darum kümmert.

Kochen Sie gerne?

Eigentlich nicht. Nachdem ich vergangenes Jahr die meiste Zeit zu Hause war, dachte ich, dass ich jetzt endlich mit dem Kochen anfangen könnte. Aber irgendwie ist es nichts für mich.

Wann sind Sie zuletzt auf einer Bühne gestanden?

Vor zwei Wochen habe ich in Miami gesungen, allerdings war das outdoor. In zwei Wochen habe ich gemeinsam mit drei Jazzmusikern einen Auftritt im New Yorker Shed, das ist ein neues Kulturzentrum in Manhattan. Danach sind Konzerte mit dem Baltimore Symphony Orchestra und dem New Jersey Symphony Orchestra geplant, allerdings ohne Publikum.

Wie hat sich Ihr Leben in den letzten anderthalb Jahren verändert?

Am Anfang fand ich es angenehm, weil ich Zeit zum Nachdenken hatte und endlich meinen Haushalt organisieren konnte – ich wohne ja noch nicht so lange hier. Nach einer Weile habe ich mich gefragt, wie meine Stimme in Schwung bleiben soll und wie es sich anfühlen wird, nach so einer langen Pause wieder einen richtigen Auftritt zu absolvieren.

Wie halten Sie Ihre Stimme fit?

Ich habe begonnen, zwei- bis dreimal die Woche mit einem Pianisten bei mir zu Hause zu arbeiten. Das hat mir geholfen, eine gewisse Struktur in meinen Alltag zu bringen. Normalerweise sitze ich alle drei Tage in einem Flugzeug und reise von Auftritt zu Auftritt. Das fehlt mir jetzt.

Haben Sie mehr Freizeit als sonst?

Nicht wirklich. Meine Tage sind voll mit Zoom-Gesprächen und Interviews. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Wirkung von Musik auf das mentale und physische Wohlbefinden von Menschen. Der Lockdown in den USA war der Anlass, gemeinsam mit dem John F. Kennedy Center das Onlineformat „Music and Mind“ ins Leben zu rufen. Auf Facebook und Youtube haben wir einmal in der Woche mit Expertinnen und Experten darüber diskutiert, wie die Musik zu unserer Gesundheit beitragen kann.

Wie sind Sie auf das Thema Musik und Gesundheit gekommen?

Als Sängerin muss man lernen, die Verbindung zwischen Geist und Körper zu verstehen, weil unser Instrument im Innenraum des Leibes ist. Jeder Mensch ist anders, hat eine andere Physiologie, einen anderen Knochenbau. Ich selbst habe lange gebraucht, um meine Stimme zu verstehen und das Singen zu meistern.

Wie hat Ihnen die Wissenschaft geholfen?

Ich habe begonnen, mich für die Psychologie hinter dem Singen zu interessieren. Musik wird schon länger neurowissenschaftlich untersucht, um mehr über das menschliche Gehirn zu erfahren. Ich hatte vor ein paar Jahren das Glück, den Direktor der National Institutes of Health, Francis Collins, kennenzulernen. Er gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlern in den USA und hat nicht nur die Genforschung revolutioniert, sondern auch an der Entwicklung von Impfstoffen mitgearbeitet. Damals hatte ich gerade angefangen, im John F. Kennedy Center for the Performing Arts zu arbeiten. Also schlug ich Collins vor, das Wissen über Musik und Gesundheit mit der Öffentlichkeit zu teilen. Er war von der Idee begeistert, auch weil er selbst ein sehr guter Amateurmusiker ist. Mittlerweile nimmt dieses Projekt einen großen Teil meiner Arbeit ein.

Welche Erkenntnisse haben Sie als Musikerin besonders fasziniert?

Es gibt zum Beispiel eine Initiative für Sprachintonationstherapie. Dabei lernen Menschen, die eine traumatische Hirnverletzung oder einen Schlaganfall erlitten haben, durch das Singen wieder zu sprechen. Demenz- und Alzheimerkranke erinnern sich an die Texte von Liedern, die sie als Kinder gelernt haben. Jemand, der oder die an Parkinson erkrankt ist, kann mit Hilfe von Musik und Tanz wieder gehen lernen. Kinder, die ein Instrument erlernen, sind weniger von ADHS betroffen. Musik ist das beste Beispiel, wie man Menschen auch ohne Operationen und Einsatz von Medikamenten behandeln kann.

War Sängerin schon immer ihr Traumberuf?

Überhaupt nicht. Als kleines Mädchen wollte ich Präsidentin werden. Aber da meine Eltern beide Gesang unterrichteten, war die Musik bei uns zu Hause immer präsent. Ich habe als Kind Klavier, Geige, Bratsche gespielt, später auch Gitarre.

Wann haben Sie sich für den Gesang entschieden?

Ich habe mich nicht wirklich entschieden, weil das Singen immer ein Teil meines Lebens war und es mir nie in den Sinn gekommen ist, etwas anderes zu studieren. Als ich im College war, habe ich zwei Jahre lang jedes Wochenende zu Jazzmusik in einer Bar gesungen. Der Saxophonist wollte sogar auf Tournee mit mir gehen, aber ich war damals zu schüchtern und bin stattdessen auf die Graduate School gegangen. In meiner Generation wurde man nicht gefragt, was man als erwachsener Mensch tun möchte. Für mich hat das zum Glück gut funktioniert.

Was ist das Schönste, wenn Sie auf der Bühne stehen?

Für mich ist es dieser ganz besondere Zustand, der Flow. Wenn ich im Flow bin, habe ich das Gefühl, dass die Musik durch mich hindurch in das Publikum fließt. Es ist die viel beschworene Magie des Augenblicks.

Sie beschäftigen sich intensiv mit zeitgenössischer Musik. Woher kommt diese Leidenschaft?

Ich habe schon als Kind lieber Igor Strawinsky als Johannes Brahms gehört. Am liebsten mochte ich Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“. Heute macht es mir Spaß, neue Dinge zu lernen und sie dem Publikum vorzustellen. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben, wo ich ausschließlich das tun möchte, was mir Freude bereitet.

Sie haben 2007 bei der Eröffnung des ersten Grafenegg Festivals gesungen. Haben Sie noch Erinnerungen daran?

Ich erinnere mich an eine herrlich idyllische Landschaft und üppiges Grün. Außerdem liebe ich Open-Air-Konzerte. Es fühlt sich an, als würde ich zum Himmel singen. Für mich gibt es nichts Schöneres. ● ○