Standpunkte

Wie beeinflusst die Pandemie unseren Freiheitsbegriff?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:

Freiheit ist kein romantisches Konzept

Die Pandemie zeigt uns, dass Freiheit nicht so ein romantisches Konzept ist, wie das gern vermittelt wird, sondern das Übernehmen von Verantwortung verlangt. Es nützt nicht viel, wenn ich mir selbst Freiheit gebe: Diese beruht darauf, dass sie in Relation zu der anderer Menschen steht. Wir Europäerinnen und Europäer sind furchtbar wehleidig, wenn unsere Freiheit eingeschränkt wird, denn in unseren Demokratien sind wir das nicht gewohnt. Doch sie ist nur so lange selbstverständlich, bis sie andere gefährdet. Bei Mord oder Diebstahl erscheint uns das klar – beim Tragen von Masken eher nicht. 

Die Pandemie führt uns die Fragilität der Freiheit schmerzlich vor Augen. Plötzlich dürfen wir nicht mehr alles machen wie gewohnt, zum Beispiel einkaufen und essen gehen, Freunde und Familie treffen. Das tut weh, auch wenn uns die Vernunft sagt, dass es in einem gewissen Ausmaß sinnvoll ist. Je länger die Einschränkung der persönlichen Freiheit dauert, desto eher landen wir wieder im Egoismus.

Dabei wäre jetzt eine gute Gelegenheit, zu lernen, dass Egoismus kein guter Maßstab für Freiheit und Demokratie ist. Es ist aber ganz wichtig, dass sowohl die Verfassung als auch die Europäische Menschenrechtskonvention Freiheitseinschränkungen nur für eine gewisse Zeit und unter bestimmten Umständen zulassen. Daher müssen wir immer wieder abwägen – von Pandemie-Verordnungen über die Corona-App bis zur Impfpflicht – wann wir Freiheit und wann wir Sicherheit den Vorzug geben sollten.

Daniela Ingruber
Ramona Waldner
Daniela Ingruber

Zielgerichtetere Maßnahmen dank Daten

Technische Hilfsmittel rund um Big Data und künstliche Intelligenz (KI) könnten viel zur Eindämmung des Virus beitragen, indem einschränkende Maßnahmen zielgerichteter, lokaler und individueller eingesetzt werden. Technologie hat das Potenzial, die Welt gerechter, sicherer und satter zu machen, wobei es dafür Voraussetzungen gibt. So sollten etwa alle wissen, was mit ihren Daten passiert und sich darauf verlassen können, dass diese unter strengsten Datenschutzrichtlinien verarbeitet werden.

Die Corona-App, bei der die Daten sehr sicher sind, ist durch die Debatte über die verpflichtende Nutzung in Verruf geraten. Es ist bedauerlich, dass Menschen über soziale Medien unreflektiert private Informationen preisgeben, aber nicht bereit sind, einen Teil davon für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen. 

Neue Entwicklungen in der KI können das Risiko von Datenmissbrauch minimieren und zur höheren Akzeptanz der Technologien beitragen. Um das zu erreichen, arbeiten wir am Know-Center mit neuen Ansätzen aus der Kryptografie und den Privacy-Preserving Analytics. Wir haben ein großes Projekt zu Explainable AI, in dem wir Nutzerinnen und Nutzern helfen wollen zu verstehen, warum die KI ihnen etwas vorschlägt. Und wir erforschen Federated Learning, bei dem nur Modellparameter, aber nicht die eigentlichen Daten ausgetauscht werden. Es ist ein Segen, wenn solche Methoden unser Leben verbessern oder gar retten, und gleichzeitig unsere Daten wirksam gegen unberechtigte Zugriffe geschützt sind – dann haben sie das Potenzial, unsere Freiheit zu fördern.

Stefanie Lindstaedt
Jorj Konstantinov
Stefanie Lindstaedt

Mit Salamitaktik zur Überwachung

Die Pandemie hat vielen die Augen dafür geöffnet, wie fragil unsere Freiheiten sind und wie sehr wir auf sie aufpassen müssen. Es gibt berechtigte Gründe, vorübergehend Grund- und Freiheitsrechte einzuschränken, doch dabei muss der Staat sehr vorsichtig vorgehen. Es wäre schön, wenn die Grundrechte von Anfang an in der Gesetzgebung berücksichtigt würden. Dass dem nicht so ist, haben nicht erst die vom Verfassungsgerichtshof gekippten Corona-Maßnahmen gezeigt. Auch der Bundestrojaner, die Kfz-Überwachung oder das Kopftuchverbot waren verfassungswidrig.

Ich habe das Gefühl, die Pandemie hat die Menschen aufgeweckt: Sie sind sich bewusster, was mit ihren Daten passiert. Als diskutiert wurde, die Corona-App verpflichtend zu machen, haben Bürgerinnen und Bürger bei uns angerufen. Sobald es um staatliche Überwachung geht, sind die Leute viel wachsamer als bei Google und Facebook. Dabei verschwimmen die Grenzen. Bei der Anmeldung zu den Covid-Massentests wurde Google Recapture eingebaut – jetzt weiß Google, wer sich zu den Tests angemeldet hat. Es ist verantwortungslos, Google höchst schützenswerte Gesundheitsdaten sammeln zu lassen.

In Polen mussten Menschen in Quarantäne zu bestimmten Zeiten Selfies von sich machen. Waren sie zu spät, kam die Polizei. Das sind dystopische Signale. Wir müssen achtgeben, dass Staaten Krisen nicht missbrauchen, um Überwachung einzuführen. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern mit einer Salamitaktik. Gerade, wenn Menschen Angst haben, nehmen sie viel in Kauf. Daher sollten immer, wenn mit Sicherheit argumentiert wird, die Alarmglocken schrillen.

Iwona Laub
Tony Gigov
Iwona Laub