Filmemacherin und Künstlerin Kurdwin Ayub
Elsa Okazak
Filmemacherin und Künstlerin Kurdwin Ayub

Ayub

Mit Wahrheit, ohne Mitleid


Kurdwin Ayub, geboren im Irak und aufgewachsen in Wien, mischt als Filmemacherin und Performancekünstlerin die Szene auf. Ihr erster Spielfilm „Sonne“, produziert von Ulrich Seidl, dreht sich um Befreiungsschläge einer jungen Muslima.

Wie geht es einer jungen, migrantischen Künstlerin in Österreich eigentlich mit dem Thema Freiheit? „Im Gegensatz zu anderen Künstlerinnen würde ich sagen: ‚eh okay‘“, überlegt Kurdwin Ayub, 29, im Interview mit morgen, das angesichts der gegenwärtigen Situation online stattfindet. „Ich habe einen Film gedreht, in einer Zeit, in der viele Menschen keinen Job haben – dafür bin ich dankbar.“ Und setzt mit einem Grinsen nach: „Als junge Frau und Ausländerin liege ich eh gerade voll im Trend.“

Andersherum: Welches sind für Ayub die größten Unfreiheiten, vor allem beruflich? „Als junge Filmemacherin wurde ich oft von Gleichaltrigen nicht respektiert.“ Vor allem mit Sexismus habe sie zu kämpfen. Junge Männer nehmen die Künstlerin, die bei ihren öffentlichen Auftritten auch mit oft übertrieben mädchenhaftem Styling als Statement arbeitet, häufig nicht ernst. „Anscheinend muss man als Regisseurin ganz anders ausschauen.“

Freiheit ist ein schwer zu fassender Begriff. Die einen sagen, Freiheit sei das, was bleibt, wenn man sonst nichts mehr hat. Die anderen, die an diesem Punkt schon waren, wissen es besser und lachen bitter über alle, die sich trotzig über Unfreiheiten beschweren, die Privilegien mit sich bringen. 

Kurdwin Ayub kennt beide Seiten der Medaille. Ihre Eltern mussten aus dem Irak flüchten, als sie noch ein Baby war, konnten aber als Ärztepaar in Österreich vergleichsweise rasch Wurzeln schlagen. Ayub lebte im Simmeringer Gemeindebau, in einem sehr gemischten Umfeld: „Ich bin in keinem ,Ausländerghetto‘ aufgewachsen.“ Sie besuchte das Gymnasium.

Ein sicheres Dach über dem Kopf haben, in die Schule gehen können: Für viele von uns normal, aber global gesehen ein Privileg – für viele Migrantenkinder sogar in Österreich. Rassismus steckt noch tief im System drin. Wie sehr spürt man ihn im Alltag? Kurdwin Ayub überlegt. „Kommt darauf an, wo ich bin.“ Vor ein paar Jahren arbeitete sie in einer H&M-Filiale, wo sie oft mit Rassismus zu kämpfen hatte. Anders sieht es in der Kunst- und Kulturszene aus. „Da ist die ausländische Herkunft eher ein Schmuckstück. Ich spiele ja auch damit.“ Als Kind fühlte sie sich immer als Österreicherin. Doch irgendwann merkte sie, dass sie doch anders wahrgenommen wird. Als sie 13 Jahre alt war, sagte ein Mitschüler zu ihr: „Ich finde es urtraurig, dass du nie heiraten wirst. Dich wird ja niemand nehmen, weil du Ausländer bist!“

Paradies! Paradies!

Ayub studierte Malerei an der Wiener Universität für angewandte Kunst bei Christian Ludwig Attersee, Animation bei Judith Eisler, später an der Akademie der bildenden Künste Performance bei Carola Dertnig. Sie begann, sich mit der Kultur ihrer Familie auseinanderzusetzen. 2012, da hat sie schon zahlreiche Festivalauftritte mit ihren Kurzfilmen hinter sich, dreht Ayub den Short „Familienurlaub“, der das Verhältnis zwischen den nach Österreich migrierten Eltern und deren im Irak verbliebenen Verwandten thematisiert. 2016 bereist sie schließlich für die Doku „Paradies! Paradies!“ erneut das Land ihrer Vorfahren: Kurdistan, in der Erinnerung ihres Vaters das titelgebende Paradies. Mit der Handkamera filmt Ayub den vom Krieg geprägten Alltag, weit weg vom selbstzufrieden grantigen Wien. Ein Kulturschock? „Wenn man im Nordirak Dinge erlebt wie Krieg und so was, dann hat man den echten Kulturschock erst, wenn man nach Wien zurückkommt.“

Hat sie beim Dreh Angst gehabt? „Ich habe immer durch die Kamera geschaut, dadurch war das vor mir immer eine Art Fiktion und weniger reale Gefahr.“ Das, was ihr viel mehr zusetzte als die konkrete Gefahr, war das Zwischenmenschliche – und wie es im Kriegsgebiet ad absurdum geführt wird. „Wenn ich an die Jungs dort denke, macht mich das sehr traurig. Die sitzen den ganzen Tag herum. Einige haben extra für uns was gekocht, aber wir wollten nicht bleiben, weil es dunkel wurde, und haben ihr Essen nicht einmal gekostet. Dafür hab ich mich noch Monate später schlecht gefühlt.“ Für seinen authentischen, wahrhaftigen Zugang wird „Paradies! Paradies!“ mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für die beste Kamera beim Grazer Filmfestival Diagonale 2016. 

Den echten Kulturschock hat man, wenn man nach Wien zurückkommt.

Welt auf Youtube

Kurz darauf beginnt Ayub mit der Arbeit an ihrem ersten Kino-Langspielfilm: „Sonne“, eine Geschichte aus der Welt von Oberstufenschülerinnen. Nach jahrelanger Drehbuchentwicklung (und vielen weiteren in der Zwischenzeit realisierten Projekten) nimmt Ulrich Seidl sie unter die Fittiche und produziert ihren Film. Der Filmemacher, der in Horn aufwuchs, prophezeit: „‚Sonne‘ wird in der österreichischen Filmlandschaft einen besonderen Platz einnehmen. Kurdwin Ayub ist eine vielbegabte junge Künstlerin, die nicht zuletzt durch ihre eigene Familiengeschichte mit ihrem Kinoerstling in mehrfacher Hinsicht zeitgemäße gesellschaftsrelevante Themen behandelt. Und das oft mit großem Humor.“

2019 starteten die Dreharbeiten, mittlerweile ist der Film, trotz Corona-Krise, bereits in Postproduktion. Die Handlung von „Sonne“ dreht sich um drei Freundinnen – darunter eine Kurdin –, die als Muslima-Band zu Social-Media-Stars werden. Seidl: „Es geht um die Suche von Teenagern nach einem Sinn und Platz im Leben, es geht um Ausländer und ausländische Kulturen, um Kopftuch und Muslime, um Familie und Familienbindungen, um Religion und religiöse Verirrungen, um Sehnsüchte und Orientierungslosigkeit und die Flucht aus unserer westlichen Welt. Und nebenbei oder eigentlich geht es auch um die Welt auf Youtube.“

Große Aussichten für ein spannendes Projekt. „Die Idee kam mir, als ich eine britische Band aus schiitischen Mädchen gesehen habe, die vollverschleiert muslimische Lieder auf Englisch gesungen haben, um den Islam weiterzutragen“, so Ayub. Die Geschichte, die sie erzählt, ist allerdings eine andere. Die Künstlerin umschreibt sie so: „Die Hauptfigur ist eine junge Kurdin, die hier in Österreich aufgewachsen ist, mit Kopftuch und allem. Irgendwann verkleiden sich ihre österreichischen Freundinnen mit Schleier und so, finden das urlustig und machen dann ein Musikvideo zum R.E.M.-Song ,Losing My Religion‘.“ Wider Erwarten wird der Song in der österreichischen muslimischen Szene der totale Hit – es folgen Konzerte und Auftritte auf Hochzeiten und Festen. „Dann werden sie überheblich, und es passieren … Dinge, aber mehr verrate ich nicht!“ Geschrieben und geschnitten hat Ayub im Häuschen ihres Freundes in der Nähe von Gerasdorf: „ein wunderbarer Rückzugsort“.

Noch immer geben viel zu wenige österreichische Filme weiblichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Stimme. Fühlt man da die Last der Verantwortung? Ayub findet andere Filme zu dieser Thematik selten gut. „Also dachte ich: Jetzt muss ich selbst einen Film darüber machen. Wenn, dann ich. Und nicht die. Ich habe einen ehrlichen Zugang. Mit Wahrheit, ohne Mitleid. Mein Ausländermädchen ist eine Heldin, die haut zurück, von Anfang bis Ende.“ ● ○