Herta Müller trägt, so sagt sie, schwarze Kleidung wie immer, auch in ihren eigenen vier Wänden, ihrer Wohnung in Berlin. Was fehlt in diesen Corona-Tagen, ist der sonst obligatorische knallige Lippenstift, der an ihr nicht aufdringlich wirkt, sondern wie zur Tarnung, wie zum Schutz der Autorin. Dahinter, hinter diesem selbstbewussten Rot, steckt sie, Herta, das einstige Kuhhütermädchen, steckt die während Jahrzehnten der Diktatur verletzte, sich treu gebliebene Frau, steckt die Schriftstellerin, die in ihrer alten Heimat Rumänien heute oft verächtlich „die Deutsche“ genannt wird und in Deutschland die „Banat-Schwäbin“, dahinter steckt die Frau, die seit Stockholm 2009 für die Öffentlichkeit nur noch „die Literaturnobelpreisträgerin“ ist.
Die Kuppen ihrer Finger berühren einander, wie sie es oft während Gesprächen tun, während des Nachdenkens. Daumen und Mittel- und Ringfinger. Herta Müller tastet nach etwas. Einem passenden Wort? Einem Gefühl? Sich?
Oft steht sie an ihrem Pult vor dem Fenster. Darauf liegen ausgeschnittene Papierschnipsel, Wortschnipsel, die sie zu Prosa und Poesie vereint. Einmal das Fenster auf, einmal kräftig Lüften und die Wörter flögen davon. Rund um die Schriftlegerin, rund um Herta Müller, Bücher in weißen Regalen. Romane, in denen die Wörter bereits festgefügt sind, nicht mehr verrutschen, nicht mehr verwehen. Neben den Regalen: Archivschränke mit Dutzenden schmalen Laden. Darin: Worte. Worte, Worte, Worte. Verschiedenfarbig, mit Gewicht und leichte. Herta Müller klebt sie fest, arrangiert die ihr zugefallenen Wörter zu Collagen, mit Uhu-Stick und Schere. „Was man nicht sagen kann, kann man schreiben.“