Es ist kein schöner Anblick. Der Kadaver mit dem weichen, hellbraunen Fell liegt auf dem Seitenstreifen, Gedärme quellen heraus, überall Blut. Die meisten Menschen fahren weiter, wenn sie so etwas sehen. Doch für Claus Schindler ist der tote Feldhase nicht nur ein Kollateralschaden im Straßenverkehr – er ist ein Objekt von wissenschaftlichem Interesse. Der 52-jährige Rotkreuz-Mitarbeiter fotografiert die Tierleiche mit seinem Handy und dokumentiert mit ein paar Klicks ihren Fundort an der Straße zwischen Horn und Zwettl.
Roadkill: So heißen überfahrene Tiere auf Englisch, und so lautet auch der Titel eines an der Universität für Bodenkultur in Wien angesiedelten Projektes, bei dem Ehrenamtliche auf der ganzen Welt Tiere sammeln, die im Straßenverkehr getötet wurden. Es ist ein Paradebeispiel für die sogenannte Citizen Science, die Forschung mit signifikanter Beteiligung von Laiinnen und Laien.
Straßen führen meist quer durch die Lebensräume der Tiere, die plötzlich rasenden Autos ausgesetzt sind – der ökologische Fachbegriff dafür lautet Habitatfragmentierung. Bislang hatte die Forschung eher große Wildtiere wie Hirsche oder Wildschweine auf dem Schirm. Das Projekt „Roadkill“ erfasst auch kleinere Lebewesen wie Igel, Amphibien, Reptilien oder Vögel.
An die 15.000 Fotos wurden weltweit über die „Roadkill“-App in den vergangenen Jahren schon hochgeladen. Eine Win-win-Situation: Die Biologie erfährt mehr über Biodiversität und Tierpopulationen – und wenn die Identifizierung von Hotspots zur Errichtung von Zäunen oder Sensoren führt, dann werden die Straßen eines Tages sicherer. Aber auch die Laiinnen und Laien profitieren: Zum Beispiel lernen sie mehr über die Tierwelt – und zwar nicht nur von den Profis, sondern auch voneinander: In der App postet ein User den Kadaver eines kleinen Säugetiers. Als Spezies hat er „Spitzmaus“ eingetragen, er fragt in die Runde: „Ist die Bestimmung richtig?“ In dem folgenden Thread fachsimpelt man, um welche Mäuseart es sich handeln könnte. Die Userin „Mamabird“ bezeichnet ein anderes Tier augenzwinkernd als „Erdkröte mit Fell = Wolpertinger“. Es ist so übel zugerichtet, dass es für Laien kaum zu erkennen ist. Geleitet wird das Projekt vom Waldviertler Zoologen Florian Heigl – er betreut auch die 2014 gegründete Citizen-Science-Plattform „Österreich forscht“. Auf deren Internetseite finden sich an die hundert Projekte, die meisten davon naturwissenschaftlich. Beim Projekt „Tea Bag Index“ soll das Dokumentieren des Zersetzungsprozesses eines Teebeutels helfen, die Folgen des Klimawandels zu verstehen.