Standpunkte

Wie kreativ ist künstliche Intelligenz?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage.

Die Ergebnisse sind überzeugend

Künstliche Intelligenz kann Musik komponieren, Bilder malen und Bücher schreiben, indem sie menschliche Kreativität imitiert. Die Qualität der Ergebnisse hängt vom Genre ab. Computer können gut Bach-Stücke nachahmen, weil diese Musik sehr mathematisch ist. Dass eine KI mit den richtigen Vorgaben einen „neuen“ Rembrandt erschaffen kann, ist faszinierend. Auch bei Gedichten sind die Ergebnisse überzeugend. Versuche mit Romankapiteln sind dagegen sprachlich gut, inhaltlich weniger.

Ich sehe KI nicht als Konkurrenz für Schriftstellerinnen, Autoren und Journalisten, weil für diese Berufe nicht die Skills am wichtigsten sind, sondern das menschliche Interesse an einem Thema. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine KI ein lite­rarisches Werk verfasst. Sie kann zwar Sätze schreiben wie „Tanja kam ins Zimmer und schenkte Wasser ein.“ Aber es fehlt ihr am Kontextverständnis, um daraus eine Geschichte zu machen. Dazu braucht es das Hirn und die Persönlichkeit einer Autorin. Auch eine investigative Recherche ist von einer KI nicht zu erwarten. Überall, wo aus Daten Texte werden, kann sie aber gute Dienste leisten.

Keine Maschine hat die Intention, uns in der Kunst etwas streitig zu machen. Maschinenlern-Technik wie Bilderkennung, -bearbeitung und Sprachauswertung ist aber ein riesiges Geschäftsfeld. Mächtige Unternehmen erweitern permanent ihr technisches Arsenal, während wir beispielsweise als Smartphone-User zu wenig darüber wissen, welche Technologien uns guttun. Ich habe daher mehr Angst vor den Menschen als vor den Maschinen. 

Maschinen können nicht lügen

Künstliche Intelligenz kann nur so kreativ sein wie das Team, das sie entwickelt hat. Komplexe algorithmische Systeme kreieren nichts Neues, sondern synthetisieren nur. Wie sie das machen, hat sehr viel damit zu tun, welche Parameter Menschen ihnen eingaben und wie sie trainiert wurden. Wenn eine Künstlerin zum Beispiel Musik durch das Programmieren von Algorithmen macht, liegt die Originalität bei ihr, die Algorithmen führen nur aus. Insofern stellen sich auch neue Fragen rund um die Autorenschaft eines Kunstwerks wie etwa: Wenn eine Künstlerin auch Programmierer braucht, um ihr künstlerisches Konzept zu entwickeln, sind dann alle diese anderen Beteiligten auch Mitautoren?

Kunst zeigt oft ethische Grenzen auf und operiert mit Provokationen. Von einer KI kann man nicht erwarten, dass sie gesellschaftliche Zustände kritisiert, denn sie kann nicht kontextualisieren. Maschinen können nur für eine einzige Tätigkeit trainiert werden. Wenn sie für etwas Neues trainiert werden, vergessen sie das Alte. 

Ich glaube auch nicht, dass KI in Zukunft besser Kunst erschaffen kann. Das Auslagern des Rationalen ist ein jahrhundertealtes Projekt, das schon Gottfried Wilhelm Leibniz mit seiner Rechenmaschine begonnen hat. Das können Maschinen gut. Doch komplexe menschliche Prozesse, die über reine Berechnungen hinausgehen, lassen sich technisch nicht abbilden: Sich empathisch in jemand anderen hineinversetzen, lügen, betrügen oder jemanden erziehen – all das können Maschinen nicht.

Pizza mit Analogkäse

Kann künstliche Intelligenz, die keinen eigenen Willen hat, kreativ sein? Viele Philosophinnen und Philosophen bezweifeln das. Für mich ist automatisierte Kreativität ein Widerspruch in sich. Wir müssen zwischen dem kreativen Prozess und dem Endprodukt unterscheiden. Das Projekt „The Next Rembrandt“ etwa, bei dem Computer Rembrandt-Gemälde imitieren, ist ein Wahnsinn, aber die kreative Leistung liegt beim Programmierteam. Auch die Basis dafür hat mit Rembrandt ein Mensch geschaffen.

Selbst für uns Menschen ist der Begriff Kreativität schon schwer zu fassen. Wir treffen mit Körpern und Köpfen Entscheidungen, die von unseren Erfahrungen, Wertvorstellungen und unserer Kultur geprägt sind. Wenn wir wissen, dass hinter einem Werk ein Mensch steht, der viel erlebt hat, stößt das ein Kopfkino an: Wir fügen eine Schicht hinzu und vervollständigen so das Werk. Diese Möglichkeit nimmt uns KI-Kunst. Mir erscheint das wie Pizza mit Analogkäse: Sie schmeckt nur, bis wir wissen, dass der Käse künstlich ist.

Wahrscheinlich werden auch computergenerierte Hintergrundmusik und Grafik spektakulärer werden. Wenn all das ein kreatives Erlebnis bietet, hat das einen wirtschaftlichen Effekt. Schon jetzt würdigen wir die Arbeit von Grafikdesignern und Komponistinnen nicht immer angemessen. Und es stellt sich die Frage, ob eine KI auch krasse Kunst schaffen kann, die die Gesellschaft aufrüttelt? Zu ganz großen Ergüssen wird es wahrscheinlich nie kommen. Dazu braucht es eine Person, die – vielleicht aus Leidensdruck – ein großes Werk erschafft.