Marian Essl arbeitet nicht erst seit dem Corona-Shutdown im Homeoffice. Doch aktuell verlässt er den Arbeitsplatz in seiner Wiener Altbauwohnung häufig: Er konzipiert nämlich gerade, wie so oft, Projektionen für virtuelle Kuppelräume, sogenannte „Fulldome-Performances“. Dazu ist er regelmäßig im Fulldome Lab, einem digitalen 360-Grad-Projektionsraum an der Universität für angewandte Kunst. Dort studiert er in der Abteilung Digitale Kunst bei Ruth Schnell. Raum ist für den audiovisuellen Performance-Künstler eine besonders wichtige Dimension. Dabei war lange nicht klar, welchen gestalterischen Raum Marian Essl einnehmen würde.
Dem Sohn des Musikers und Komponisten Karlheinz Essl liegt zunächst das Klavierspielen nahe. Mit etwa 15 Jahren nimmt er sich der Fotografie an, will damit abstrakte Bilder schaffen: Er experimentiert mit dem neu gefundenen Medium, legt etwa Polaroids in die Mikrowelle. Später absolviert er ein Praktikum in einem Architekturbüro. „Dort wurde mir klar, dass der Beruf des Architekten sehr wenig mit meinen gestalterischen Vorstellungen zu tun hat: Da diskutiert man auch mal eine halbe Stunde lang über die Breite einer Tür“, erinnert sich der 27-Jährige.
Bis er 18 Jahre alt ist, lebt Marian in Klosterneuburg. Mit 20 beginnt er, an der FH St. Pölten Medientechnik zu studieren, wo Bild und Ton als Dimensionen seiner Kunst zueinander finden. Dort lernt er das Programmieren und die benötigten technischen Skills für seine Kunst.
Die Schönheit der Funktionsweise von Algorithmen wurde ihm aber erst durch eine analoge Kunstform bewusst: die Liquid Light Shows, eine audiovisuelle Arbeitsweise aus den 1960er-Jahren, bei der Kunstschaffende mit färbigen Lichtformen und Flüssigkeiten auf Overhead-Projektoren experimentieren – der Zufall spielt dabei eine wichtige Rolle. „Ich finde es irrsinnig spannend, Prozesse zu gestalten, bei denen ich von außen einen gewissen Einfluss habe, wo sich aber vieles von selbst verändert. Der Faktor der Überraschung kann sehr inspirierend sein“, sagt der Künstler. Seine Arbeiten unterscheiden sich freilich von seiner Inspirationsquelle – neben Digitalität ist der offensichtlichste Unterschied zu den psychedelischen Kunstwerken der Sixties wohl die Abwesenheit von Farbe. „Diese würde in meiner Arbeit oft zum Ornament verkommen“, so Essl. Reduktion sei das Thema seiner jetzigen Schaffensphase. Seine Kunst habe das Ziel, dass sie nach der Wegnahme eines einzelnen Elements nicht mehr funktionieren würde: nur die Essenz.
Für seine audiovisuelle Fulldome-Performance „Latent Space“ erhielt er vor Kurzem den Preis des renommierten Japan Media Arts Festivals. Die Arbeit entstand im Rahmen einer Artist Residency, in Kooperation mit der Société des arts technologiques Montréal.
In den meisten seiner Performances vereint Essl die Kontrolle über Sound, Visuals und räumliche Komposition in sich, und das auch noch live: Animierte Linien, Schlieren und Flächen erzeugen virtuelle Räume, dazu erklingt Musik, aus einem Klavier oder Laptop. Dass ihm ein komplett durchdachtes ganzheitliches Erlebnis auch als Besucher von Konzerten wichtig ist, liegt dabei nahe: „Jede musikalische Erfahrung ist audiovisuell, egal, ob das Visuelle daran gestaltet ist oder nicht. Wenn ich das Gefühl habe, der visuelle Teil der Erfahrung ist absichtlich und durchdacht, funktioniert das für mich.“ ● ○