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Green Filming

Grün, grün, grün


Lange Reisen, aufwändige Kulissen, hoher Energieverbrauch: Wer einen Film dreht, benötigt enorme Ressourcen. Doch gerade findet ein Umdenken statt, die Branche lernt, nachhaltig zu arbeiten. Seit Längerem schon legt das Team der Lower Austrian Film Commission um Dietlind Rott sein Augenmerk auf Green Filming: 2018 brachte die Servicestelle für Dreharbeiten in Niederösterreich einen „Green Guide“, ein Handbuch für grüne Produktion, heraus. Laufend bietet man Workshops sowie Webinare zum Thema an, und Anfang dieses Jahres stellte man eine digitale Plattform für Green Filming online: „Evergreen Prisma“ bietet umfassende Informationen zu nachhaltigem Filmschaffen. Auch dieses Special widmet sich Fragen wie: Ist grünes Filmen teuer? Wie genau funktioniert es? Und was hat das Outfit von Joaquin Phoenix damit zu tun?

Philip Gassmann
Clemens Schmiedbauer
Philip Gassmann

Workshop

Green Screen


Wie hältst du’s mit der Nachhaltigkeit? Die Gretchenfrage ist auch bei Film- und TV-Produktionen angekommen. Green-Filming-Experte Philip Gassmann zeigt enormes ökologisches und ökonomisches Potenzial auf. morgen besuchte einen seiner Workshops und sprach mit Fachleuten, die diesen absolvierten.

Ein großer, heller Raum mitten im belebtesten Teil des siebten Wiener Gemeindebezirks, wenige Tage bevor der Shutdown das Land lahmlegt. Alle Augen sind nach vorn gerichtet, verfolgen das Geschehen auf der Leinwand voller Spannung. Doch dort zu sehen ist nicht etwa eine packende Thrillerszene, sondern es sind Zahlentabellen und Diagramme – nichts also, womit man normalerweise ein anspruchsvolles Publikum mitreißen kann. Noch dazu eines, das wie hier aus Fachleuten besteht, die in ihrem Metier, dem Film- und TV-Business, schon seit Jahren zuhause sind. Doch was an diesem Tag vermittelt wird, fesselt die meisten der Anwesenden wie ein guter Krimi – in dem sie selbst die Täterinnen und Täter sind.

Nachhaltigkeit ist derzeit zu Recht ein großes Thema. Laut Wissenschaft ist es für uns längst fünf Sekunden vor zwölf, dem endgültigen Ablauf der Weltrettungsfrist. Schön langsam sollten wir aus unsem Halbschlaf aufwachen. Da macht es Sinn, bei den großen Projekten anzusetzen. Film- und Fernsehproduktionen sind riesige Unternehmungen, die sich mit Millionenbudgets und oft Hunderten Mitarbeitern über Monate und Jahre hinziehen und bei denen der Energie- und Material­aufwand enorm ist.

Ein Thema, über das Philip Gassmann, geboren 1960 in Heidelberg, stundenlang reden kann. Was er auch macht, mit großer Hingabe und bemerkenswerter Expertise. Der Bezug zum Umweltschutz kam früh: Schon als Schüler hat er gegen Atomkraft demonstriert, etwa vor dem deutschen Atomkraftwerk Brokdorf in den 1980ern. „Wir waren sowas wie Fridays for Future – und das vor 40 Jahren! Aber schon damals habe ich mir gedacht: Nur demonstrieren ist zu wenig. Also habe ich einen der ersten Bioläden in Deutschland gegründet, es gab davon nur eine Handvoll im ganzen Land. Seitdem begleitet mich das Thema.“ Gassmann wechselte die Branche, studierte Theater, Regie und Beleuchtung und landete schließlich bei der Produktion, mit großem nationalem und internationalem Erfolg. „Vor sieben, acht Jahren habe ich gemerkt: Wir haben da ein echtes Problem. Und ab dann ging’s für mich back to the roots!“ Also zurück zur Umwelt.

Kampf gegen Klischees

Gassmann hält die bereits dritte mehrtägige Lehrveranstaltung zum Thema Green Filming, die die Lower Austrian Film Commission (LAFC) für interessierte Mitglieder der Branche veranstaltet. Gerade erläutert der Experte, welche Alternativen es zu benzin- oder dieselbetriebenen Mietautos am Set gibt. Gassmanns Favorit: Erdgas. In den letzten Jahren hat sich auf diesem Sektor enorm viel getan. „CNG“, für „Compressed Natural Gas“, ist jetzt das Schlagwort: sparsame Motoren, die mit Biogas betrieben werden können, längst schon in Serienwägen verbaut und großzügig steuerlich gefördert werden. Die sorgsam recherchierten Tabellen, die Gassmann gerade auf die Leinwand projiziert, zeigen, wie günstig sich das auf eine Filmproduktion auswirken kann – auch die Treibstoffkosten liegen einiges unter dem, was die Vergleichsmenge an Benzin oder Diesel kosten würde.

Workshop-Teilnehmer Peter Drössler ist ein arrivierter Dokumentarfilm-Produzent und war lange für die Umweltschutzorganisation Global 2000 tätig. „Ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit Umweltmanagement“, erzählt er. „Es ist ungemein spannend zu sehen, wie sich Techniken, mit denen ich mich in den 1990ern beschäftigte, weiterentwickelt haben. Ich habe vieles wiederentdeckt und neu gelernt.“ Christian Haider, der dieser Tage ebenfalls Gassmanns Veranstaltung besucht, meint: „Am meisten überraschte mich, wie umfassend das Thema Green Filming eigentlich ist.“ Er ist Fachmann für Film- und Urheberrecht, und will sich in Sachen Green Producing auf dem neuesten Stand halten. „Es gibt hier so viel mehr Bereiche, als man denken würde!“

Das ist auch eine der wichtigsten Botschaften, die Gassmann vermitteln möchte. „Wenn man das Schlagwort ,Green Filming‘ erwähnt, denken die meisten Menschen immer noch hauptsächlich daran, dass man Plastikbecher am Set vermeiden soll. Es ist ein verzweifelter Kampf, von diesem Klischee wegzukommen.“ In Wirklichkeit ist die Wahl der Getränkebehältnisse für das Team nur ein winziger Teil des Konzepts, das der Workshop vermitteln soll. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn möglichst wenig Einweg-Produkte verwendet werden – aber beim Green Filming geht es um viel mehr als bloße Abfallvermeidung. „Das Einwegbecherklischee ist wie eine grüne Wand, hinter der viele Produzenten das wahre Potenzial von Green Filming nicht sehen können. Das Ziel ist viel größer: Wir wollen generell effizienter und schlauer produzieren. Damit wird auch Geld gespart. Aber das wird leider immer noch stark verdeckt durch diese Plastik- und Flaschenproblematik.“ Was ist dann das wahre Potenzial? „Produktionen sind naturgemäß sehr unterschiedlich“, sagt Gassmann. „Manche sind eher reisebasiert, bei manchen wird viel gebaut … es gibt kein Patentrezept. Aber generell geht es beim Einsparungspotenzial um drei große Themenbereiche: Transport, Energie und Material.“

Das Einwegbecherklischee ist wie eine grüne Wand.

Umweltengerl und Mannerbruch

Sigrid Riedmann, Absolventin von Gassmanns ersten beiden Seminaren, kann darüber eine lange Geschichte erzählen. Sie leitet das Head Office der österreichischen Gebhardt Productions, die unter anderem die TV-Serien „SOKO Kitzbühel“ und „Wischen ist Macht“ produziert. Seit etwa einem Jahr ist sie die offizielle Green-Producing-Beauftragte der Firma. „Als mein Chef Florian Gebhardt 2019 gemeint hat, dass ich diese Position übernehmen soll, wusste ich anfangs noch nicht wirklich, was das eigentlich ist“, erzählt Riedmann. „Obwohl ich seit 35 Jahren in der Film- und Fernsehproduktion tätig bin.“ Riedmann begann zu recherchieren, und das Timing war perfekt: Kurz darauf fand Philip Gassmanns Green-Filming-Seminar statt. „Ich habe extrem viel gelernt. Es gibt in allen Bereichen der Produktion so viele Möglichkeiten und Alternativen.“

Als Green-Producing-Beauftragte liegt es nun in Riedmanns Verantwortung, sicherzustellen, dass das Grün bei „grünen“ Produktionen nicht nur dekorativ aufgemalt ist: Für die Vergabe des offiziellen Umweltzeichens vom Umweltministerium erstellte der Verein für Konsumenteninformation (VKI) eine umfangreiche Liste mit Anforderungen, die sich durch sämtliche Produktionsbereiche ziehen und alle erfüllt werden müssen.

Die allererste „offizielle“ grüne Produktion in Österreich war der von David Schalkos Superfilm produzierte Landkrimi „Höhenstraße“ aus 2016. Bei Gebhardt Productions ist die TV-Serie „SOKO Kitzbühel“ seit 2019 grün-zertifiziert. „Ich wollte, dass wir nicht einfach die VKI-Liste abarbeiten, um das Umweltzeichen zu bekommen“, erzählt Riedmann, „sondern wirklich ins Detail gehen. Wenn wir Nachbestellungen hatten, dann nur Geräte mit blauem Umweltengerl. Wir haben keine Kugelschreiber-Großpackungen mehr gekauft, sondern einige wenige, und dann die Minen getauscht. Früher gab’s für Gäste und unser Team einzeln verpackte Schokoriegel, jetzt bekommen sie Manner- und Dragee-Keksi-Bruch in Portionsgläsern. Am Set gibt’s personalisierte Emailhäferln und Trinkflaschen, keine Kapsel-Kaffeemaschinen mehr und so weiter. Und das i-Tüpfelchen: Durch die Vermeidung von Müll sparen wir auch noch Geld!“ Wie reagierte das Filmteam? „Es sind alle dahintergestanden, auch die Darstellerinnen und Darsteller. Die kamen alle mit der Bahn ans Set. Das muss man einmal schaffen, dass ein Schauspieler von Hamburg nach Kitzbühel mit der Bahn fährt!“

Baumaterial aus Pilzen

Allerdings gibt’s gerade beim Transport noch Hindernisse: „Der Fuhrpark bestand nur zum Teil aus Hybridautos – mehr waren am Markt einfach nicht verfügbar. Wir haben den zusätzlichen CO2-Ausstoß mit einer Spende an ein Projekt der BOKU für Aufforstungen in Äthiopien ausgeglichen.“ Der Bereich mit der meisten Luft nach oben ist laut Riedmann derzeit die Ausstattung. „Hier gibt es noch viel Wachstumspotenzial. Es gibt zwar schon großartige Innovationen wie zum Beispiel aus Pilzen hergestellte Baumaterialien, nur hapert’s da an der Verfügbarkeit.“ Und am Preis: Solche Innovationen sind derzeit oft noch sehr teuer. Ebenso wie die neueste Beleuchtungstechnik, die zwar weitaus energiesparender und flexibler ist als die zuvor, aber auch noch recht kostenintensiv. „Außerdem sind diese Geräte teils hochkomplex, da muss man die Leute finden, die damit arbeiten wollen und die sich wirklich auskennen.“

Ein weiterer Punkt, so Riedmann: „Green Filming muss auch Sinn machen. Wir drehen viel in den Bergen, und da gibt es weit und breit keine E-Tankstellen für Elek­troautos. Oder: Wenn man dringend für eine Szene ein Studio mit einem roten Boden braucht, dann macht es keinen Sinn, wenn man umweltfreundlichen wasserlöslichen Lack benützt, der mehrere Tage zum Trocknen braucht.“

Echte Kreativität ist gefragt, ein Um- und Weiterdenken, und zwar in allen Bereichen. „Die Film- und TV-Branche ist eigentlich konservativ, schwerfällig und angstbeladen“, so Philip Gassmann. „Auch wenn wir immer meinen, wir seien so wahnsinnig innovativ, stimmt das oft nicht. Dann kommen noch Zeit- und Quotendruck dazu – und so macht man ständig in gewohnten Bahnen weiter.“ Und das ist nicht nur für die Umwelt gefährlich, sondern auch für den Profit – denn so drohe besonders das junge Publikum verloren zu gehen. Mit offenem Mindset, so Gassmann, ließe sich auch das verhindern: „Unsere Generation hat die Erfahrung und das Wissen. Und wenn die Jungen merken, dass wir in die richtige Richtung denken, dann sagen die schnell mal: ‚Okay, wir hören dem alten Mann mal zu.‘“

Green Filming funktioniert nur als Evolution, nicht als Revolution. Einig sind sich jedenfalls alle, die mit dem Thema zu tun haben, dass diese unbedingt vorangehen muss – trotz aller Widerstände. Es liegt an uns, für den groß angelegten Umweltthriller „Die Erde“ noch eine weitere Staffel zu schreiben oder ihn als Dystopie enden zu lassen. ● ○

Green Filming

„Wir brauchen positive Vorbilder!“


Seit 2018 gestalten Paula Pöll als künstlerische Leiterin und Katharina Kreutzer als Kuratorin gemeinsam das Programm des Kinos im Kesselhaus in Krems. Im Doppelinterview mit morgen erzählen die beiden, welche Filme zum Klimawandel sie besonders beeindruckt haben.

Paula Pöll: Filme mit ökologischer Botschaft, die uns beeindruckt haben? Da fällt mir als erstes „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ ein. Als ich nach der Vorstellung das Kino verlassen habe, war ich voller Hoffnung und hatte das Gefühl: Wir können eben doch aktiv etwas beitragen! Es gibt Dokumentarfilme, die erzeugen ein „Es ist alles viel zu spät und hat sowieso keinen Sinn mehr“-Gefühl. Hier bekam ich diesen „Gemeinsam können wir alles erreichen“-Boost. Das Regieteam hat in zehn Ländern recherchiert und Menschen, Firmen und sogar ganze Städte gefunden, die schon lange gegen den Klimawandel kämpfen und viel erreicht haben.

Katharina Kreutzer: Ein ähnlich inspirierendes Beispiel wäre in Öster­reich „Zeit für Utopien“ von Kurt Langbein, der damals zum Filmgespräch bei uns war. Diese Gespräche sind uns wichtig: Positive, bejahende Vorbilder, die aufzeigen, was wir selbst tun können, brauchen wir heute dringend. Ich denke noch oft an das Modell der solidarischen Landwirtschaft aus diesem Film. Damit ist es in Südkorea gelungen, 1,5 Millionen Menschen zu ernähren und trotzdem die Bauern fair zu bezahlen.

Pöll: Ich mag auch sehr „Die Tage wie das Jahr“, einen ganz leisen, entschleunigten Dokumentarfilm von Othmar Schmiderer, der ein Jahr lang den Alltag eines Bauernpaares im Waldviertel porträtiert hat. Wenn er die beiden begleitet und zeigt, wie sie produzieren und verkaufen, welches besondere Verhältnis sie zu ihren Tieren und dem eigenen Grund und Boden haben, sieht man, dass es eben doch möglich ist, im Kleinen zu wirtschaften und gut dabei zu leben. Als die zwei mit dem Regisseur zum Gespräch nach vorne kamen, war das Publikum ganz ergriffen. Ich bin selbst im Waldviertel aufgewachsen und habe richtig mitgelebt.

Kreutzer: Ein toller Dokumentarfilm mit regionalem Bezug ist auch „Rettet das Dorf“. Teresa Distelberger, die Regisseurin, hat sich mit der Landflucht befasst und damit, wie man ihr entgegenwirken kann. Wir haben den Film knapp vor der Corona-Pause gezeigt. Im Publikum hat sich jeder gefragt: Wie steht es eigentlich mit meinem Ort, mit meinem Dorf? Gute Spielfilme mit nachhaltiger Botschaft sind selten. Einer davon ist der isländische Film „Gegen den Strom“. Darin behauptet sich eine „Bergfrau“ in ihrem Guerillakampf ganz alleine gegen die mächtige Aluminiumindustrie. Um die Umweltzerstörung aufzuhalten, verstößt sie auch gegen Gesetze. Sie zerstört Strommasten und -leitungen. Am Ende wirft diese märchenhafte Erzählung mit toller Musik und wunderbaren Naturaufnahmen eine wichtige moralische Frage auf: Wie weit darf man gehen, um die Umwelt zu schützen?

Pöll: Außerdem möchten wir den koreanischen Sci-Fi-Film „Snowpiercer“ empfehlen. Er entwirft eine Ausnahmesituation, die unserer jetzigen während Corona ähnelt. Ausgelöst ist sie durch ein Kältemittel, das in die Erdatmosphäre gespritzt wurde, um die globale Erwärmung aufzuhalten. Das Experiment ging schief und führte zu einer globalen Eiszeit. Die wenigen Überlebenden bewegen sich in einem fahrenden Zug rund um den Erdball: Die Armen sind hinten, die Reichen vorne, und es stellt sich die Frage: Was macht eigentlich eine Krise mit der Gesellschaft?● ○

Heidsiek

„Es herrscht Kleinstaaterei“


Birgit Heidsiek ist Expertin für Green Filming. Mit morgen sprach sie über das neuerwachte Interesse an Nachhaltigkeit, die Schwierigkeit, CO2-Werte zu berechnen, und das Outfit von Joaquin Phoenix.

Dank Initiativen wie Fridays for Future wächst das Bewusstsein für die Bedrohung durch den Klimawandel. Die deutsche Filmjournalistin Birgit Heidsiek vermittelt der Filmbranche seit acht Jahren ökologische Nachhaltigkeit. Doch nicht alle Produkte und Lösungsmodelle, die mit grüner Etikettierung auf den Markt kommen, halten ihre Versprechen ein, beobachtet Heidsiek. Die gefragte Expertin hätte Ende März auf einer Veranstaltung bei der Diagonale in Graz sprechen sollen. Das Filmfestival musste allerdings wegen des Coronavirus abgesagt werden. Daher unterhielt sich morgen via Skype mit der Hamburgerin.

morgen: Sie haben sich schon früher als die meisten für nachhaltiges Filmemachen interessiert. Woher kommt das?

Birgit Heidsiek

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Ich war bereits als Jugendliche Vegetarierin und habe mit Körnern aus dem Bioladen mein eigenes Brot gebacken. Als ich in die Filmbranche einstieg, war das allerdings weder cool noch sexy, als Vegetarierin führte ich ein Schattendasein. Bei Empfängen auf Filmfestivals konnte ich am Buffet oft nur die Deko essen, die aus Salatblättern oder Radieschen bestand. Damals war alles noch extrem fleischlastig.

Das war in den 1990er-Jahren?

Ja, allerdings in Deutschland. Als ich Anfang der 90er nach New York zog, war die Situation dort schon etwas anders. Dabei ist die Selbstwahrnehmung der Deutschen, dass wir dank Mülltrennung und Ökostrom immer schon die grünen Weltmeister seien. Doch im Bereich grüner Filmproduktion war man in Amerika und Frankreich schon viel weiter. Die Producers Guild of America entwickelte schon 2008 einen Best-Practice-Guide mit nachhaltigen Maßnahmen für Filmproduktionen. Als Hamburg 2011 zur Europäischen Umwelthauptstadt ernannt wurde, überlegte die Filmförderung, was sie beitragen könne. Daraus ist der „Grüne Drehpass“ entstanden, ein Siegel, das für nachhaltige Produktion vergeben wird.

Was können solche nachhaltigen Maßnahmen sein?

Bei Drehs werden zur Stromerzeugung oft Dieselgeneratoren eingesetzt, die CO2, Feinstaub und Stickoxide emittieren. Inzwischen wurden alternative Lösungen wie beispielsweise Hybridbatterien entwickelt, die aus Festnetzstrom, am besten Ökostrom, gespeist werden können. Der zweite große Faktor ist der Transport, weil viel Equipment von A nach B bewegt werden muss; und Filmteams sind groß und reisen viel. Schauspielerinnen und Schauspieler fliegen zum Vorsprechen, zur Kostümprobe und am Wochenende nach Hause, und das Reisen setzt sich bis in die Postproduktion fort: Wenn ein Film geschnitten oder Effekte produziert werden, entscheiden sich Produzentinnen und Produzenten oft für die günstigste Lösung – wenn sie 3.000 Euro sparen können, fliegen sie zum Schnitt nach Polen. Das rechnet sich finanziell, aber ökologisch ist es eine Katas­trophe. Hier ist viel Spielraum, um Emissionen einzusparen.

Lassen sich auch in anderen Bereichen Maßnahmen umsetzen?

Ja, Kostüme und Ausstattung lassen sich oft wiederverwenden. Catering ist ein stark emotional besetztes Thema, da viele Menschen nicht auf Fleisch verzichten wollen. Die Vermeidung von Einweggeschirr erfordert wiederum organisatorisch aufwändigere Lösungen, etwa einen Geschirrspüler am Set. Auch bei Ausstattung, Deko und Setdesign besteht Nachholbedarf – Materialien werden oft im Baumarkt oder bei Ikea gekauft und nach Drehschluss entsorgt. Es gibt erste Projekte, diese Materialien einzusammeln und zu vermieten oder umsonst an Low-Budget-Produktionen weiterzugeben, aber dafür müssen die einzelnen Requisiten in einer Online-Datenbank erfasst werden, und das ist natürlich ein großer Verwaltungsaufwand. Viele grüne Maßnahmen sparen auch Zeit und Geld, wenn beispielsweise bei einem Dreh alle in Gehweite zum Set untergebracht werden. In anderen Bereichen ist die Infrastruktur noch nicht gut genug: Von Autovermietungen werden noch kaum Transporter mit Elektro- oder Gasantrieb angeboten, und bei stromsparenden Leuchtmitteln wie LED hat es Jahre gedauert, bis die Equipmentverleiher sie ins Sortiment aufgenommen haben, weil die Nachfrage zu gering war. Produzentinnen und Produzenten schauen oft auf jeden Euro und sind nicht bereit, mehr Geld für umweltfreundliche Lösungen auszugeben.

Kann man sie motivieren, indem öffentliche Förderungen von der Einhaltung von Richtlinien abhängig werden?

Die Geldvergabe an bestimmte Auflagen zu knüpfen, ist durchaus eine Möglichkeit. Wenn die Auftragsvergabe bei einem Fernsehsender an die grüne Produktion gekoppelt wäre, hätte sich das Thema schnell erledigt. Aber dieses Bewusstsein zu schaffen, ist mühsam. Die Idee einer nachhaltigen Produktion finden alle interessant, aber es ist ungemein schwierig, sie im alltäglichen Handeln umzusetzen.

Wie betrachten Sie in diesem Zusammenhang die Green-Filming-Initiative der Lower Austrian Film Commission, der LAFC?

Der LAFC ist mit ihrem grünen Engagement in kurzer Zeit ein riesiger Sprung gelungen. Sie gibt den Filmschaffenden mit der digitalen Plattform „Evergreen Prisma“ wichtige Werkzeuge für die grüne Filmproduktion. Neben der Vermittlung von Know-how und Kontakten zu Lieferantinnen und Lieferanten von Produkten und Dienstleistungen für die nachhaltige Filmproduktion spielt die Bildung von Netzwerken auf nationaler und internationaler Ebene eine wichtige Rolle. Die LAFC setzt auf einen intensiven Austausch mit anderen Regionen in ganz Europa, in denen ähnliche Anforderungen an die grüne Produktion gestellt werden, was bei Koproduktionen berücksichtigt werden muss.

Richtlinien wecken oft die Kreativität.

Hat die niederösterreichische Initiative Ihrer Beobachtung nach bereits Wirkung gezeigt?

Dank der Inspiration durch einen LAFC-Workshop setzt eine erste Produktionsfirma bei der Produktion von Shows, Serien und Filmen auf ein umweltfreundliches Konzept: Für die Umsetzung ressourcen- und klimaschonender Maßnahmen bei zwei Drehblöcken der Fernsehkrimi-Reihe „SOKO Kitzbühel“ erhielt die Produktion das Österreichische Umweltzeichen. Zudem wurde bei der Gala des Österreichischen Filmpreises 2020 in Grafenegg erstmals ein Schwerpunkt auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt.

Viele Überzeugungsstrategien und Ausweichargumente klingen vertraut für jene, die sich mit Chancengleichheit befassen: Man weiß, was richtig und gerecht wäre, aber die Umsetzung ist mühsam.

Ich glaube sogar, dass Richtlinien die Kreativität oft erst wecken. Eine gelernte Kostümdesignerin, die seit 20 Jahren in ihrem Bereich arbeitet, weiß am besten, was gebraucht wird. Ist es wirklich erforderlich, von jedem Kostüm fünf komplette Teile zu haben, falls etwas schmutzig wird, oder reichen zwei? Bei der Lichtsetzung wird oft routinemäßig erst einmal ein Set ausgeleuchtet, ohne die Möglichkeit zu prüfen, mit natürlichem Licht oder Reflektoren zu arbeiten. Produktionen stehen unter großem Zeitdruck, da greifen oft Automatismen, und es gibt keine Muße, damit sich Kreativität entwickeln kann.

Durch die Corona-Krise steht in diesem Frühling 2020 nicht nur in der Filmproduktion alles still, auch das Filmfestival in Cannes fällt aus. Was für eine Bedeutung haben Festivals bei der Bewusstseinsarbeit?

Der direkte Erfahrungsaustausch ist zentral. Seit 2015 veranstalte ich auf der Berlinale und in Cannes jedes Jahr eine Paneldiskussion zur grünen Filmproduktion. Als ich letzten November in Riga eine Präsentation zu grüner Filmproduktion hielt, wurde dort auch der erste nachhaltig produzierte Film Lettlands vorgestellt. Die beiden Produzentinnen wurden dazu durch meine erste Berlinale-Veranstaltung 2015 inspiriert; in dem von mir herausgegebenen Magazin Green Film Shooting lasen sie, welche Maßnahmen möglich sind, und beschlossen, das einfach umzusetzen. Dieses Jahr überschlugen sich auf der Berlinale die Veranstaltungen zur Nachhaltigkeit förmlich, das Thema ist mittlerweile en vogue. Das ist fantastisch, aber die Frage ist: Ist das Interesse echt oder springen viele nur auf den Trend auf, um Geld dafür zu kassieren?

Sehen Sie die Gefahr des „Greenwashings“, also dass sich manche nur zu PR-Zwecken das Mäntelchen der Nachhaltigkeit umhängen, ohne ernsthaft hinter der Thematik zu stehen?

Es besteht immer die Gefahr, dass einige nur das Geld dafür einsacken möchten. Nachhaltiger zu arbeiten und zu wirtschaften, setzt jedoch als Erstes voraus, neu denken zu lernen, egal ob wir verreisen, etwas kaufen oder essen. Wo kommt dieses Teil her? Mit welchen Rohstoffen ist es produziert worden und unter welchen Umständen? Wir brauchen eine Energie-, Wärme- und Nahrungsmittelwende, denn es läuft überall ganz viel schief. In der Filmproduktion bildet sich fast das gesamte Leben ab, alles, was wir sonst auch brauchen: Essen, Trinken, Kleidung, Unterkunft, Arbeiten, Dekoration, Transport, Energie, Beleuchtung.

Um Richtlinien einzuhalten, braucht es aber Vergleichswerte, an die sich eine Filmproduktion halten muss.

Aufgrund der großen Komplexität ist es schwierig, seriöse Vergleichswerte zu bekommen. Für Filmproduktionen gibt es verschiedene CO2-Rechner, die in unterschiedlichen Regionen Europas von einzelnen Förderstellen entwickelt worden sind. Diese konkurrieren durch den Standortwettbewerb. Anstatt das Thema gemeinsam anzugehen, herrscht eine Kleinstaaterei, die vor allem bei Koproduktionen kontraproduktiv ist. Die benutzten CO2-Rechner sind oft zu undifferenziert, denn es ist ja ein Unterschied, ob ein gefahrener Auto­kilometer mit einem Smart-Auto oder einem 40-Tonner zurückgelegt wird.

Hat das alles fürs Kinopublikum eine Relevanz?

Mit der grünen Produktion ist es wie mit visuellen Effekten: Wenn sie gut gemacht sind, bleiben sie unsichtbar. Nachhaltige Produktion bedeutet nicht, dass ein Film besser oder schlechter produziert wird. Er muss professionell ausgestattet, ausgeleuchtet und gut gespielt sein, damit das Ergebnis auf der Leinwand optimal aussieht. Das Publikum kann nicht erkennen, ob die Schauspielerinnen und Schauspieler mit dem Bus, dem Fahrrad oder der Limousine zum Set gefahren sind. Für das Publikum hat es auch keine Relevanz, ob das Make-up aus veganen Produkten besteht. Natürlich wird auch versucht, das zu bewerben. Zum Hinweis, dass bei der Produktion keine Tiere gequält wurden, kommt mitunter ein grünes Produktions-Label hinzu, das die Zuschauer jedoch nicht interessiert. Aber Film ist immer sexy, und Stars haben eine Vorbildfunktion. Wenn Natalie Portman bei einer Gala vegane und nachhaltig produzierte Kleidung trägt oder Joaquin Phoenix seine gesamte Award Season mit nur einem Smoking bestreitet, ist das eine Message: Es ist überhaupt keine Schande, seine Sachen noch einmal anzuziehen. Solche Maßnahmen können dazu beitragen, nachhaltiges Handeln stärker in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. ● ○