Luiza Puiu

Nachhaltigkeit

Neue Normalitäten?


Erst der Klimawandel, dann auch noch Corona. Doch was wäre, wenn uns Katastrophen zu besseren Menschen machten? Einige Überlegungen zu den Analogien zwischen zwei Krisen, die uns global treffen.

Corona-Quarantäne. Ich stehe am Küchenfenster und drehe die Kurbel der Kaffeemühle. Wer braucht schon eine elektrische? Womöglich noch von diesem fiesen Versandriesen, der Menschen ausbeutet und das Klima verpestet. Mein Bruder fermentiert in seinem Keller regionales Gemüse, das er in seiner Lebensmittelkooperative kauft. Meine Tochter steht auf dem Balkon und sät eine Blumenwiese für die Bienen.

Und trotzdem geht die Welt unter. So scheint es zumindest.

Wie die meisten unserer Bekannten versuchen wir, etwas für die Umwelt zu tun. Fürs Klima. Ich kenne Städterinnen und Städter, die Brot aus selbst gemahlenem Mehl backen und Knochenbrühe aus selbst geschlachteten Tieren kochen. Wir imitieren Bauersleute aus dem vorletzten Jahrhundert und kümmern uns dabei hauptsächlich um uns selbst.

Um die Erde kann man sich nicht so leicht kümmern. Wie soll das gehen? So als Einzelne? Bringt das überhaupt was? Müssten nicht die anderen etwas tun? Zum Beispiel die Firmen, die ihre Angestellten in Prä- und Post-Corona-Zeiten herumjetten lassen für eine einzige Besprechung?

So richtig ist der Klimawandel ja noch nicht bei uns angekommen. Man sieht ihn jedenfalls nicht. Man spürt ihn höchstens. An dem heißen Wind, wenn es eigentlich noch frühlingshaft und kühl sein müsste.

Und jetzt auch noch das. Die Pandemie. Wir ziehen uns zurück in eine kleine Biedermeier-Welt. Erst freiwillig, jetzt auf Anordnung des Staates. Er zeigt das Gesicht eines Vaters, der uns wohlwollend, aber bestimmt, Hausarrest erteilt: zu unserem eigenen Schutz. Auch jene, die sich vor Kurzem noch vor einer angeblichen Ökodiktatur fürchteten, beugen sich jetzt demütig den Anweisungen des Seuchenmanagements.

Dieser Text ist – man merkt es vielleicht am katastrophischen Grundton – während der Corona-Beschränkungen entstanden. Welche zum Zeitpunkt seines Erscheinens noch gelten und ob eine neuere Normalität die neue Normalität abgelöst hat, war bis zum Redaktionsschluss noch nicht abzusehen.

Superkorrekt

Die Tasse mit dem selbstgemahlenen Kaffee – natürlich bio, natürlich fair gehandelt – steht dampfend vor mir. Draußen geht die Seuche um, und wir sitzen drinnen und bemühen uns, alles richtig zu machen. Während alles bedrohlicher und unkontrollierbarer wirkt denn je, versuchen wir wenigstens im Kleinen superkorrekt zu sein. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle über den Klimawandel schreiben und über Nachhaltigkeit. Aber wen interessiert das in diesen Zeiten? Kurz bevor das Virus unser Land erreichte, sprach ich mit einer Philosophin über Klimaethik. Sie sagte zum Beispiel, dass sie nicht an Solidarität glaube. Das Interview war die Auftragsarbeit einer anderen Zeitung, aber die Redaktion möchte es derzeit lieber doch nicht veröffentlichen. Die Menschen haben jetzt wohl andere Sorgen. Die Sorgen um die eigene Gesundheit und das Leben der Eltern und Großeltern haben die Sorge um den Planeten abgelöst. „Global und menschheitsgeschichtlich betrachtet, ist es genau umgekehrt: Klimakrise und Artensterben sind für die Menschheit weit bedrohlicher als eine zusätzliche Viruserkrankung, so bedrohlich und potenziell tödlich diese Erkrankung auch sein mag,“ schreibt der deutsche Spiegel. Aber wer denkt schon global und menschheitsgeschichtlich, wenn er oder sie Angst um das Leben seiner Liebsten hat?

Und was, wenn alles zusammenhängt? Haben wir uns zum Selbstschutz in Quarantäne begeben oder um andere zu schützen? „Ein System, das Egoismus belohnt, erzieht zum Egoismus“, schreibt die Politökonomin Maja Göpel in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“. Wie gehen wir Menschen mit Bedrohungen um? Denken wir nur an uns selbst, oder gibt es auch Al­truismus und Solidarität? Vielleicht ist es schon ein erster Schritt „wir Menschen“ zu sagen statt „ich“. Vielleicht kommt es auch auf die Art der Bedrohung an. Der Klimawandel betrifft als Erstes Menschen, die weit weg von uns leben. In Bangladesch, Mosambik oder in diesem kleinen Inselstaat im Pazifischen Ozean. Wie hieß der nochmal? Ja, genau, Tuvalu. Der Klimakollaps ist eine Katastrophe in Zeitlupe. Das Coronavirus hat uns dagegen überrumpelt. Gerade noch haben viele gelacht über die Menschen in Wuhan mit ihren improvisierten Masken, da war es plötzlich hier bei uns, ganz nah.

Analogien und Utopien

Aber es gibt auch Analogien. Bei beiden Katastrophen geht es nicht nur um uns selbst, sondern auch um „die anderen“. Beim Klimawandel zahlen derzeit noch andere für unsere Konsumkultur und unsere umweltschädliche Verkehrspolitik. Auch beim Coronavirus hat unser Verhalten Auswirkungen auf andere, zum Beispiel auf ältere und schwache Mitmenschen. Beide Katastrophen rufen Skepsis, Verschwörungstheorien und dreistes Schmarotzertum auf den Plan. Beide Katastrophen offenbaren Hierarchien und Ungleichheiten. Global gesehen leiden nicht alle gleichermaßen unter der Erderwärmung. Und in Österreich leiden nicht alle gleichermaßen unter der Quarantäne mit ihren psychischen und wirtschaftlichen Folgen.

Beide Katastrophen führen uns vor Augen, dass alles zusammenhängt: Armut und Umwelt, Ungleichheit und Gesundheit. „Alles ist verknüpft und vernetzt“, sagt Andrea Höltl. Sie ist Ökonomin und Nachhaltigkeitsbeauftragte an der Donau-Universität Krems. Dass der Klimawandel die medialen Debatten der Prä-Corona-Zeit dominiert hat, gefiel ihr gut: „Das ist auch eine Chance für die anderen Themen, mehr Beachtung zu bekommen.“ Mit den „anderen Themen“ meint sie die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele, die von den Vereinten Nationen in ihrer Agenda 2030 definiert wurden, darunter die Verringerung der Armut und der bessere Zugang zu Bildung. Sie sagt aber auch, dass die Politik viel zu zögerlich sei. „Als Konsumentinnen und Konsumenten haben wir es nur bis zu einem gewissen Grad in der Hand.“ Es brauche klare Regeln und Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften. Ich möchte von ihr wissen, wie sie damit umgeht, dass nicht alle Menschen Maßnahmen gegen den Klimawandel für so wichtig und sinnvoll halten, wie es in mancher Filterblase erscheinen mag. Sie engagiert sich an ihrer Uni für Klimafreundlichkeit und hat festgestellt, dass es wichtig ist, Prioritäten zu setzen und die Betroffenen einzubinden. Die Chancen stünden dann besser, dass alle die Umsetzung mittragen.

Zum Schluss unseres Gesprächs erzählt sie von der Soziokratie, einer utopischen Organisationsform, bei der es um zwei Dinge geht: Die Mitverantwortung der Menschen zu stärken und die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen. Jede und jeder soll gehört werden. Daraus würde eine wirklich nachhaltige Gesellschaft entstehen, in der auch skeptische Menschen ihren Platz haben. Es ist eine humanistische Wunschvorstellung: dass uns die Katastrophen zu achtsameren, besseren Menschen machen. ● ○