Olesya Parfenyuk

U35

New Weird Austria


Hier kommt die Zukunft: An dieser Stelle präsentieren wir in jeder Ausgabe Kunstschaffende in und aus Niederösterreich, die jünger als 35 Jahre sind. Diesmal: Alicia Edelweiss.

Mit geschlossenen Augen steht Alicia Edelweiss auf der Bühne des Wiener Chelsea. Ihre rechte Hand malt ausdrucksvolle Formen in die Luft, während die linke am Akkordeon herumzieht und -drückt. „We shall have a party, in our cas­tle / With all the freaks and the child­ren / The clowns and the trash eaters“, singt sie.

Wenige Minuten später wird die in Waidhofen an der Ybbs aufgewachsene Künstlerin von Kakerlaken erzählen, die ihr in einsamen Momenten zu guten Freunden wurden, als sie sich in Portugal als Straßenmusikerin verdingte. Das Konzertpublikum hängt an ihren Lippen. Die Songs und Zwischenansagen sind entwaffnend, voller Humor, Wärme, aber auch Tragik und bevölkert von eigenwilligen Figuren. Dass Alicia Edelweiss ein Faible fürs Außenseitertum, für schrullige Geschichten und Fabelwelten hat, lässt sich nicht leugnen. Dieses Interesse am Ungewohnten, am Anderen ist es auch, was sie mit 19 aus der Enge der Kleinstadt ausbrechen ließ, um für zwei Jahre quer durch Europa zu reisen.

Aus ihren Erlebnissen wurden unterwegs erste eigene Lieder, etwa „The Cockroaches And Me“, hörbar beeinflusst von der New Yorker Anti-Folk-Szene rund um The Moldy Peaches. „Das war die Band“, erinnert sie sich im Interview mit morgen, „die mir Mut gegeben hat, selbst Musik zu machen, bei der ich das Gefühl hatte, so könnte ich es auch – so simpel, nett, irgendwie lustig“.

Seit damals ist einiges passiert: Alicia Edelweiss ist längst wieder zurück in Österreich und heute 27 Jahre alt. Von der Musik – sie ist auch Teil der Ansa Panier, der Band des Dialektpop-Liedermachers Voodoo Jürgens – kann sie mittlerweile leben. Für ihre eigene Kunst hat sie eine Form gefunden, die nicht mehr nur den bewussten Dilettantismus des Anti-Folk pflegt, sondern auch die Komplexität und Experimentierfreude des Freak-Folk – für dessen US-Ausprägung in den Medien der schöne Begriff New Weird America herumgeistert. Und mit Lukas Lauermann sowie Matthias Frey an Cello und Geige ist außerdem eine kleine Band rund um die Musikerin gewachsen.

Fassbarer Ausdruck dieser Entwicklungen: ihr vergangenen September erschienenes zweites Soloalbum, dessen Fertigstellung Alicia Edelweiss fast zwei Jahre lang ziemlich herausforderte: „Meine Musik ist für mich das Heiligste auf der Welt, das, wofür ich lebe. Ich bin sehr vorsichtig und lasse nur wenige Leute daran herumschrauben.“ Was auch bedeutet habe, alle Entscheidungen selbst zu treffen. „Das hat wirklich sehr an mir gezehrt. Ich habe jedes Mal ewig überlegt, bis ich mir sicher war.“ 

Dass die Entscheidungen die richtigen gewesen sind, lässt sich auf dem Album „When I’m Enlightened, Every­thing Will Be Better“ nach­hören. Es hat poetische Kraft, ist direkt und zugleich verschroben. Anleihen bei schaurigen Sagen haben darauf ebenso Platz wie Höchstpersönliches – gerne in Verbindung mit ausreichend Selbstironie – und vertonte To-do-Listen. Den Punkt „I wanna make a proper living as an art­ist“ kann sie jedenfalls schon mal abhaken. ● ○