Andrea Klem

Kultur

Krieg und Frieden


Anna Maria Krassniggs Theaterzyklus „Bloody Crown – Europa in Szene“ bringt ein selten gespieltes Shakespeare-Stück auf die Bühne. Die Regisseurin erzählte morgen, warum sie die europäischen Demokratien in einer Krise sieht.

Überall Bulldozer und Baulärm. Die Wiener Regisseurin Anna Maria Krassnigg, 49, erinnert sich noch gut, wie sie im März 2016 die Wehranlage Kasematten in Wiener Neustadt erkundete.  Jahrzehntelang war die ehemalige Festung, die im 12. Jahrhundert errichtet wurde, nicht zugänglich. Erst für die Landesausstellung 2019 mit dem Titel „Welt in Bewegung“ wurde das Architekturdenkmal wiederentdeckt und renoviert.

Da kam Krassnigg mit ihrer Theater­kompanie Wortwiege ins Spiel. 2015 bewies sie am Thalhof in Reichenau an der Rax gemeinsam mit dem Musiker Christian Mair, dass sie eine Vorliebe für ungewöhnliche Räume und Formate hat. Die Ergebnisse wurden gemischt aufgenommen: Bei Krassnigg-Inszenierungen halten sich Zustimmung und Kritik die Waage. 

„Bloody Crown – Europa in Szene“ lautet der Titel des diesjährigen Theaterzyklus, bei dem Krassnigg prägende europäische Mythen neu inszeniert. Dabei wartet sie mit einer Wiederentdeckung auf: Zu sehen ist Shakespeares frühes Historiendrama „König Johann“, ein selten gespielter Dramenschatz. Das Stück dreht sich um politische Machtspiele, Verrat und Intrigen. Auch Richard Löwenherz wird erwähnt, als Bruder des Protagonisten Johann Plantagenet, genannt „Ohneland“. Ebenso kommt ein gewisser Leopold von Österreich vor. „Ein kriegslüsterner, verschlagener, verfressener Typ“, erklärt Krassnigg: „Und der einzige Auftritt eines österreichischen Fürsten in einem Stück von Shakespeare, der damit auch seinen kritischen Blick auf den Katholizismus zum Ausdruck brachte.“ Die chaotische Dramaturgie von „König Johann“ erinnere sie an Filme von Quentin Tarantino. „Es gibt schnelle Shortcuts und überraschende Schnitte“, erklärt die Regisseurin: „Es ist ein Kriegs- und Verhandlungsstück. Das relevante Europa sitzt an einem Tisch und entscheidet über Krieg und Frieden. Der Vatikan ist einer der übelsten Player in diesem Machtspiel.“ Krassnigg inszeniert das Stück in der Bearbeitung von Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahr 1968. Der zentrale Ansatz, sich über das Europa von einst und heute Gedanken zu machen, spiegelt sich im Ensemble, das aus Akteurinnen und Akteuren unterschiedlicher Herkunft besteht. 

Und wie sieht sie das gegenwärtige Europa? „Wir erleben gerade überall in Europa wieder den Aufstieg von neuen Tyrannen, nicht umsonst boomen TV-Serien wie ‚Game of Thrones‘ oder ‚House of Cards‘. Die Krise der Demokratie hängt mit dem Erstarken von Politikern wie Orbán oder Erdoğan zusammen“, so lautet ihr Befund. „Letztendlich sind diese Teile von Clans, wie man sie schon bei Shakespeare findet, die ihr Territorium skrupellos abstecken.“ ● ○