Rainer Prohaska

Prohaska

Der Anti-Tourist


Plastikkrokodile, zusammengekarrtes Holz und Sessel aus dem Müll: Aus Zutaten wie diesen baute der Künstler Rainer Prohaska seine MS Cargo, die ihn 2014 bis zum Schwarzen Meer führte und ihm unerwartete Begegnungen bescherte. Die Ausstellung „Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“ auf der Schallaburg bietet Einblicke in seine unkonventionelle Art des Reisens.

Zuerst tauchten sie vereinzelt auf, dann wurden sie immer mehr. Und mittlerweile kann man kaum die Wiener Innenstadt queren, ohne auf Konfrontationskurs mit ihnen zu gehen: Menschengruppen unterschiedlicher Herkunft, dicht an dicht gedrängt, hinter einer Person trabend, die ein Schild mit dem Namen eines Schiffs trägt. In der Diskussion um das Phänomen des Overtourism zählen Menschen, die Länder und Städte per Schiff erkunden, zur wohl unbeliebtesten Spezies neben Busreisenden. Schließlich benötigen sie weder Verpflegung noch Nächtigung, da ohnehin all das an Bord geboten wird – und lassen daher kein Geld an den besuchten Orten. Auch für die Begegnung mit Einheimischen bleibt kaum Zeit.

Wenn Rainer Prohaska, Künstler, Donaupatent-Inhaber und Schiffbauer, die Donau befährt, setzt er einen Kontrapunkt zur herkömmlichen Art des Reisens am Strom. Improvisiert, individuell und auf der Suche nach zwischenmenschlichen Begegnungen: Das charakterisiert seine Art, sich am Wasser fortzubewegen. 

In seinem Atelier in Wien erzählt der gebürtige Kremser, der in der Ausstellung „Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“ auf der Schallaburg prominent vertreten ist: „1985 begann ich, mich für das Schiffsbaustudium an der TU zu interessieren. Allerdings weniger die Hochseeschifffahrt, die ich langweilig fand, sondern eher die Binnenschifffahrt. Ich verfolgte jedoch das Studium nicht weiter – zu viel Theorie, zu wenig Praxis. Im Jahr 2000 fing ich an, an der Universität für Angewandte Kunst zu studieren, dort gab es im ersten Semester das Thema ‚Mobilität‘. So begann ich mich damit zu beschäftigen und der Frage nachzugehen, was mich als Künstler daran interessieren könnte.“ 2007 reiste er dann von Krems nach Russe in Bulgarien – auf einem Schiff, das sich erst im Laufe der Fahrt formierte: „The ‚Z‘-Boats – Modular Barges“ nannte er das Kunstprojekt. „Jedes Bauteil kam von einem anderen Hersteller, hatte einen anderen kulturellen Ursprung. Ein Duschteppich kam von einem pensionierten Zahnarzt in Novi Sad. In Ungarn fand ich im Müll einen Sitz, der repariert und auf dem Boot montiert wurde“, erinnert er sich. „Wenn wir eine neue Struktur aufbauen wollten, musste erst Holz besorgt werden, auf verschiedenste Arten.“ Am Ziel angekommen, war das Gefährt, wenn auch improvisiert, so doch voll ausgestattet. 

Die Basis dafür hatten drei Zillen sowie Aluminiumtraversen gebildet – und jene Spanngurte, die mittlerweile zu einem Markenzeichen Prohaskas wurden; 2015 umschlangen sie etwa die Albertina. Sie stehen fast symbolisch für einen wichtigen Aspekt in den Arbeiten des Künstlers: die Improvisation, das Vorläufige und Prozesshafte. 

Auch in seinem Atelier sind die Gurte allgegenwärtig. Prohaska empfängt morgen in einem langgezogenen, etwas schummrigen Salon, voll mit üppigen Möbeln, schweren Vorhängen und Brokattapeten. Eine Motorradskulptur am Eingang pflegt den Stilbruch zu dem Arbeitsort, an den er eher zufällig kam, wie er erzählt. Signifikant für Prohaskas Arbeit ist der lange Tisch in der Mitte des Ateliers, der sich perfekt für extensive Abendessen eignet: Die soziale Interaktion zieht sich durch viele Projekte Prohaskas. An diesem Nachmittag stehen auf der Tafel vor allem Bücher und Computer. Hier plant und entwickelt Prohaska seine Aktionen, die häufig andere, manchmal auch zufällig Vorbeikommende involvieren. In der Steiermark lud er in ein selbst gebautes Teehaus zur Diskussion über das Zusammenleben, für das Kunsthaus Wien errichtete er einen Zugang zum nahen Donaukanal, vor dem Wiener Künstler­haus einen aufsehenerregenden Skulpturenpark aus Paletten und Gurten. Für die Moskau Biennale 2015 erdachte er ein ausgeklügeltes System, bei dem das Publikum an der Energiegewinnung beteiligt war. Und seine beliebten Kochperformances präsentierte er bereits an vielen Orten, darunter Toronto. Kunst zwischen Architektur, Bildhauerei und Gesellschaft. 

Der französische Kurator Nicolas Bourriaud, der das Pariser Palais de Tokyo mitgründete, prägte für diese Art der Kunstproduktion den Begriff „Relational Aesthetics“ in den 1990er-Jahren, als Rirkrit Tiravanija zu gemeinschaftlichen Essen lud, Carsten Höller sein Publikum über Rutschen von einem Geschoß ins nächste schickte und Andrea Zittel ihre „Living Units“, einfache Unterkünfte, designte. Unter „Relational Aesthetics“ verstand Bourriaud „künstlerische Praktiken, deren theoretischer und praktischer Ausgangspunkt kein unabhängiger und privater Raum, sondern die Gesamtheit menschlicher Beziehungen und deren gesellschaftlicher Kontext sind“, wie er damals schrieb. 

Menschliche Beziehungen sind eminent, wenn man wie Prohaska mit einem Boot die Donau befährt. Zum einen muss die Crew kooperieren, zum anderen stößt man ständig auf Leute, die einen erstaunt begrüßen. Prohaska: „Wenn du mit so einem Schiff in einen Hafen einläufst, kannst du sicher sein, dass irgendwas Interessantes passiert. Eine solche Reise ist nicht determiniert.“ 

Der Vorteil bei den Schiffen, wie sie Prohaska konstruiert, besteht darin, dass man praktisch überall anlegen kann. Das zeigte sich auch 2014, als er mit der MS Cargo, einem Nachfolgeprojekt der „Z“-Boats, von Melk nach Sulina fuhr. Dort mündet die Donau ins Meer. „Wenn du mit einem gewöhnlichen Motorboot oder Schiff fährst, kannst du fast nirgends anlegen. Mit einem Boot wie der MS Cargo kommst du auf der Donau fast überall hin. Das ist die Methode, mit der du den Donauraum wirklich untersuchen kannst. Mit einem gewöhnlichen Schiff bist du eigentlich wie mit dem Auto unterwegs: Anlegen geht nur in den großen Städten. Zu speziellen Orten, die wirklich interessant sind, hast du damit keinen Zugang.“ Einen dieser Orte hebt er besonders hervor: „Eine Autostunde von Wien entfernt, in der Slowakei, liegt der Kraftwerksbereich Bratislava-Gabčíkovo. Da gibt’s ein mächtiges Staubecken, einen riesigen Kanal und eine irre Hausbootsiedung. Toll! Das kennt aber bei uns kaum jemand.“

Wenn du mit so einem Schiff einläufst, passiert sicher irgendwas Interessantes.

Die meiste Zeit verbrachte Prohaska mit seiner Besatzung nicht in Österreich, sondern in anderen Ländern, die zur „Donauregion“ gezählt werden. Der Begriff ist diffus und erinnert an die Zeiten der Donaumonarchie und deren Herrschaftsverhältnisse.  „Wovon spricht man eigentlich, wenn man vom Donauraum spricht? Das ist eine prinzipielle Definitionsfrage, wird aber meiner Meinung nach oft viel zu weit gedacht. Da werden Städte wie Pécs oder Bukarest dazugezählt, Orte, die gar keine Berührung mit dem Fluss haben.“

Nun plant der Künstler eine Reise von Melk nach Novi Sad. Das dazugehörige Schiff heißt MS Fusion. Prohaska betrachtet das Projekt, dessen Start allerdings noch ungewiss ist, als Künstlerresidenz auf dem Wasser. Mindestens vier Wochen sollen je vier Kunstschaffende darauf verbringen, dabei ihre Beobachtungen dokumentieren, sich inspirieren lassen, die Umgebung erkunden, mit Menschen am Ufer in Kontakt treten. „Es geht bei den geplanten Projekten um soziale Interaktion. Wir werden, intensiver als bei den Reisen zuvor, mit performativen Methoden arbeiten, um damit verstärkt auf die Situationen mit den Bewohnern eingehen zu können. Ich möchte den Donauraum selbst, also den Fluss und seine Kulturen am Ufer, anderen Künstlerinnen und Künstlern als Inspirationquelle und Arbeitsfeld zugänglich machen.“

Neben Teilen der MS Fusion ist in der Ausstellung auf der Schalla­burg nun der Film „Boring River“ zu sehen, den Prohaska 2014 bei seiner Reise drehte: ein essayistisch angelegtes, von einem poetischen Text des Schriftstellers Stefan Schmitzer begleitetes Werk voller bemerkenswerter Momente: Frauen, die auf Fitnessgeräten in einer Barackensiedlung trainieren. Menschen, die helfen, die MS Cargo an Land zu ziehen. Eine Volkstanzgruppe zur blauen Stunde. Ein Grauhaariger in Badehose, der auf die Kamera zugeht und grinsend einen Pfefferoni präsentiert: Momentaufnahmen einer Gesellschaft am Rande des Stroms.

 In Schmitzers Text, unter dem Titel „boring river notes“ in einem kleinen Büchlein publiziert, heißt es: „menschen kommen und gehen und kommen und gehen und hinterlassen spuren in der schwemmsandschichte, einfach so oder auch absichtsvoll. fluss, komm schon, bleiben wir bei den überschaubaren zeitspannen und behaupten wir, auch dieses verhalten bleibt.“ ● ○