Doch selbst wenn die Praxis perfekt befolgt wird und Ethikkommissionen sowie Gesetzgeber einig sind, welche Anwendungen der Menschheit dienen und welche nicht, schafft eine immer komplexere Wissenschaft paradoxe Situationen. Der japanische Stammzellforscher Hiromisuto Nakuchi lässt menschliche Zellen in Tieren heranwachsen, mit dem Ziel, ihre Organe in Menschen zu transplantieren. Bei Mäusen und Ratten wurden humane Zellen bereits erfolgreich verpflanzt. Es sollen Schweine folgen, deren Organe groß genug wären. Ethiker sehen darin kein grundsätzliches Problem, so lange keine menschliche DNA in Tiergehirne eindringt, und der menschliche Anteil im Schwein nur so hoch ist, dass das Organ vom Empfänger nicht abgestoßen wird. „Unter einem Mischwesen würde ich mir ein Lebewesen vorstellen, dessen äußeres Erscheinungsbild zwischen zwei Spezies läge. Davon sind wir weit entfernt“, kommentiert der Stammzellforscher Jürgen Knoblich die Arbeit des Kollegen.
Es entsteht eine Zwickmühle: Wollen wir Tiere mit menschlichen Genen als Organ-Ersatzteillager oder wollen wir schwerkranke Menschen sterben lassen, weil wir zu wenig Spenderorgane haben? „Wir als Gesellschaft müssen über Anwendungen diskutieren, bereits während geforscht wird. Das ist unglaublich schwierig, weil wir nicht wissen, wie sich das Wissen ändern wird. Wir müssen also mit Parametern rechnen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht existieren“, sagt Michael Sixt.
Paula Boddington, Senior Research Fellow am Institut für Biowissenschaften der britischen Universität Cardiff, räumt ein: „Angesichts der faszinierenden Seiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der eine immer bessere Welt verspricht, ist man verleitet zu meinen, dass er die Menschheit auf jeden Fall weiterbringt. Der Erkenntnisgewinn hat sich derart intensiviert, dass Fortschritt selbst eine Wertigkeit darstellt.“ Die Fortschritts- und Technologiebegeisterung überschattet dann andere, vielleicht tiefere Werte.
Während die Heilung von Krankheiten zweifelsohne erstrebenswert ist, ist es Heilung um jeden Preis nicht unbedingt. „Wir wollen ein gutes menschliches Leben führen, in dem wir uns gedeihlich entwickeln, uns unserer Taten bewusst sind und Handlungen bedacht setzen. Wissen um des Wissens willen ist ein Teil unserer Existenz, doch es sollte so verwendet werden, dass der Nutzen die Kosten überwiegt“, erklärt Boddington. Manche Forschungsziele rechtfertigen Tierversuche – etwa wenn es darum geht, menschliches Leben zu retten. Wenig gerechtfertigt erscheinen dagegen Manipulationen an befruchteten Eizellen ohne Not um Leben und Tod. Darf man, wie der chinesische Forscher He Jiankui, in die Keimbahn eingreifen, damit der Nachwuchs und all seine Nachkommen kein HIV bekommen könnten? Die Welt sagte Nein, und doch hatte jemand die Forschungsarbeiten dafür bezahlt.
Wir können uns um diese Probleme nicht mit simplen Binsenweisheiten schwindeln. Womit eine der wichtigsten Eigenschaften, die die Wissenschaft haben muss, die Demut ist. ● ○