© Martina Siebenhandl
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Erd

„Wir engagieren Menschen tiefer“


Das Festspielhaus St. Pölten betreibt ein beeindruckendes Vermittlungsprogramm, mit dem es viele Publika anspricht. Gabrielle Erd, die dafür verantwortlich ist, erzählt über bewegte Einführungen, Lerncafés im Haus und Safe Spaces für Frauen, in deren Umfeld öffentliches Tanzen verpönt ist.

Gabrielle Erd, wie generiert das Festspielhaus neues Publikum?

Gabrielle Erd

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Der Fokus unserer Arbeit liegt nicht im Gewinnen neuer Publikumsschichten. Wir engagieren Menschen tiefer, die sich aktiv einbringen und kreativ betätigen wollen. Sie sollen sich mit uns die wichtigen Fragen der Zeit stellen. Wir bieten einen Begegnungsraum, bringen Menschen miteinander ins Gespräch und in Bewegung. Sie sollen dieses Haus als das ihre verstehen und sich entfalten können.

Gilt das auch für unterschiedliche soziale und kulturelle Gruppierungen?

Hier liegt unser Kernauftrag. Wir versuchen, Räume zu schaffen – zum Beispiel für das Lerncafé, das der Integrationsfonds bei uns veranstaltet: ein wöchentlicher Deutschunterricht, dessen Teilnehmende eingeladen werden, auch zu unseren Vorstellungen zu kommen. Das wird gerne angenommen, weil Tanz und Musik universell verständlich sind. Oder das Projekt „Frauen tanzen“. Da bieten wir einen Safe Space für Frauen, denen ihr Kulturkreis das öffentliche Tanzen nicht ermöglicht. Im Juni 2024 gibt es eine Aufführung in der Bühne im Hof mit ausschließlich weiblichem Personal und Publikum.

Ist Ähnliches ebenfalls für Männer angedacht?

Das ist tatsächlich bereits in Entwicklung, ebenso wie einige weitere Projekte für Menschen mit unterschiedlichem Background.

Vor bestimmten Aufführungen gibt es „Bewegte Einführungen“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die boomen! Interessierte kommen eine Stunde vor Vorstellungsbeginn in unseren Kleinen Saal. Unsere Tänzerinnen führen das Publikum in die für die jeweilige Compagnie charakteristische Bewegungssprache und Arbeitsweise ein. Die Teilnehmenden erfahren innerhalb von 30 Minuten einzelne choreografische Bausteine und die spezielle Energie am eigenen Körper.

Für die Menschen ist es wichtig, miteinander kreativ tätig zu sein.

Nach den Aufführungen werden Publikumsgespräche angeboten und ein Format, das „Talk & Tapas“ heißt. Was ist der Unterschied?

Bei „Talk & Tapas“ kann jeder – ohne Expertise – seine eigene Sichtweise mitteilen. So entstehen von uns moderierte, bereichernde Diskussionen in kleiner Runde. Bei den Publikumsgesprächen kommen die Kunstschaffenden noch einmal auf die Bühne und beantworten Fragen zum Stück. Wir haben auch ein Gesprächsformat unter dem Titel „Salon D“, das thematisch an eine Vorstellung im Haus gebunden ist. Da gibt es jeweils ein Impulsinterview von Festspielhaus-Leiterin Bettina Masuch mit einem hochkarätigen Gast, der sich in ein gesellschaftliches Thema vertieft hat. Auch hier geht es darum, das Publikum zur Beteiligung am Diskurs einzuladen.

Unter den Workshops, die das Festspielhaus anbietet, findet sich eine Veranstaltung für „Every Body“, was geschieht da?

Da gestalten wir rund um eine Vorstellung einen für jeweils eine Zielgruppe maßgeschneiderten ganzen Workshop-Tag. Das nächste Mal für die ganze Familie zur Aufführung des Circa Contemporary Circus Anfang März. Für Tanzstudierende gibt es Master­classes mit Tänzer:innen der internationalen Compagnien, die hier gastieren. Und ganz neu ist unsere Jugendtanz-Company „Step by STP“, die gerade mit ihrer Choreografin Patricia Carolin Mai ein Repertoire zu entwickeln beginnt und 2025 erstmals auftreten wird.

Im Festspielhaus gibt es sogar eine Schreibwerkstatt …

Zwei Kulturjournalistinnen geben einen Take-off-Workshop zu Saisonbeginn. Anschließend besuchen die Nachwuchstalente Vorstellungen der laufenden Saison. Sie schreiben Besprechungen, die in einem gemeinsamen Prozess mit den Profis bearbeitet und bei uns auf der Website veröffentlicht werden.

Zudem wird viel Community-Arbeit geleistet – warum eigentlich?

Für die Menschen ist es wichtig, miteinander kreativ tätig zu sein, ins Tanzen zu kommen oder zu singen, ihre eigene künstlerische Ausdrucksweise weiterzuentwickeln. Sie finden dabei auch Freundschaften und Lebenssinn. ● ○