© Rupert Pessl
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Renaissancejahr

Menschenbilder


Drei Ausstellungen an drei Standorten beleuchten demnächst die Renaissance. Das Kunsthistorische Museum Wien legt das Augenmerk auf Hans Holbein d. Ä., Hans Burgkmair d. Ä. sowie Albrecht Dürer: drei Malerei­pioniere der Frühen Neuzeit, die alle aus Augsburg kamen – der Kunststadt schlechthin damals, gewissermaßen das Berlin des frühen 16. Jahrhunderts. Das Schloss Ambras in Innsbruck, das eine der bedeutendsten Kunst- und Wunderkammern beherbergt, fokussiert auf das neue Menschenbild. Mit Themen wie Diversität und Inklusion schlägt die Schau einen Bogen in die Gegenwart, ebenso wie die auf der Schallaburg, selbst ein anschauliches Ausstellungsobjekt (das Foto dieser Seiten zeigt ihren Innenhof). Sie spürt damaligen Vorstellungen nach, die bis heute relevant sind – etwa das Ideal einer umfassenden Bildung, das Interesse an der Erforschung der Natur sowie der Einsatz von Massenmedien, die in der Renaissance mit der Erfindung des Buchdrucks aufkamen. So entstanden Diskurse und Öffentlichkeiten, die weitere Kreise zogen, als es bis dahin der Fall gewesen war. Mehr dazu lesen Sie auf den folgenden Seiten: in einem Interview mit dem höchst originellen Denker Tobias Roth und Beiträgen zu ausgewählten Exponaten.

© Axel Gundermann / Yearroundmunich
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Tobias Roth

„Ganze Druckereien wurden verboten"


Wir sollten aus der Vergangenheit lernen, heißt es dauernd. Während heute eine leicht apokalyptische Grundstimmung herrscht, war die Renaissance eine Zeit des Aufbruchs nach dem dunklen Mittelalter. Kann sie uns also inspirieren? Oder neigt jede Beschäftigung damit zu Verfälschungen und Missverständnissen? Darüber sprachen wir mit dem bayrischen Historiker und Renaissance-Experten Tobias Roth.

Sie beschreiben die Renaissance als „für uns völlig vertraute und überwältigend fremde Welt“. Was meinen Sie damit?

Tobias Roth

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Mit vertraut meine ich, dass die Renaissance nicht so wahnsinnig lange her ist wie zum Beispiel die Antike, auf die sie sich bezieht. Im Gemeinwesen der italienischen Städte in der Frühen Neuzeit spielte sich ganz viel ab, was wir heute erleben. Es gab Finanzkrisen und Rezession, weil viel zu hohe Kredite nicht bedient wurden und die Banken zusammenbröckelten. Und nicht zu vergessen: viel drastischere Pandemien als heute! Bei der großen Pest von 1348 starb immerhin ein Drittel der europäischen Bevölkerung, und die Pest kam periodisch wieder. Es ist interessant zu beobachten, welche Stadt komplett zusperrte und welche sich eher aufs Beten verließ. Wer macht was? Diese Frage war bei uns ja auch interessant. Auch in der Wirtschaft gibt es Parallelen. Die Medici in Mittelitalien waren große Bankiers, die mit mathematischen Fähigkeiten und der neu erfundenen doppelten Buchführung plötzlich schnelles Geld zur Verfügung hatten. Ein gutes Drittel der Gewinne, sagt man, wurde in die Kunst investiert, was bis heute in der Toskana viele Arbeitsplätze sichert. Auch das erklärt die Vertrautheit: Die bildende Kunst der Renaissance trifft bis heute einen Nerv. Wenn sich heute eine Stiftung gründet, die etwas mit Kultur macht, hat sie in der Regel eine Zeichnung von Leonarda da Vinci oder Michelangelo im Logo. Kein zeitgenössischer Künstler kommt gegen diese berühmten Kunstwerke an, sie sind auf T-Shirts, Taschen und Mousepads. Sie haben bis heute die Kraft, Menschlichkeit und Zivilisation abzubilden.

Was ist uns fremd an der Renaissance oder was verstehen wir falsch?

Die Vertrautheit täuscht vielleicht. In der Bildsprache werden antike Formen verarbeitet. Sie sind aber aufgeladen mit christlichen Inhalten, die in der Antike noch gar nicht existierten.

In der Renaissance missverstand man also die Antike und wir missverstehen die Renaissance?

Ja, gewissermaßen. Viele Werke wie Botticellis „Geburt der Venus“ oder seine „Primavera“ waren in der Renaissance unbekannt, weil sie im Palazzo hinter verschlossenen Türen hingen. Auch deshalb ist es heikel, ausgehend von den Kunstwerken etwas über „die Renaissance“ sagen zu wollen. In der Sixtinischen Kapelle tagten nur Kardinäle. Erst nach der touristischen Öffnung sah die römische Bevölkerung diese von innen. Andererseits wissen wir heute viel mehr über die Antike und sehen so, wo im 15. Jahrhundert kreatives Missverstehen herrschte.

Eine viel zitierte Parallele zwischen Renaissance und Gegenwart ist die Erfindung des Buchdrucks respektive des Internets. Beide führten auch zu Fake News, Propaganda und massenhaft Pornografie. Autoritäten reagierten mit Zensurversuchen.

Die Ähnlichkeit in vielen einzelnen Aspekten ist erstaunlich. Eine neue Technik kommt auf, aber es dauert, bis sie sich zur Alltagstechnologie gewandelt hat. In der Renaissance dauerte es etwa 30 Jahre, bis ein gedrucktes Buch billiger war als ein handgeschriebenes. Ähnlich war bei uns die Zeitspanne zwischen den ersten Pings, die beim Militär verschickt wurden und der Jetztzeit, in der alle ein Handy in der Hosentasche haben. In beiden Fällen war die neue Technologie extrem gefragt. Als noch abgeschrieben wurde, war die Produktion zentral, mit dem Buchdruck wurde sie plötzlich dezentral und chaotisch. In jeder Scheune konnte so ein Ding stehen, und es war vollkommen unkontrollierbar. Das Problem waren weniger dicke Bücher als vielmehr Flyer. Plötzlich waren ganz neue Mengen von Flugblättern möglich, in denen alles Mögliche verbreitet werden konnte. Das führte auch zum Clash verschiedener Autoritäten. Alle Herrscher versuchten sofort, das Volk mit einfachen und volkstümlichen Botschaften zu beeinflussen – sowohl die Medici in Florenz als auch die apokalyptischen Dominikaner oder die Protestanten im Norden. Sie alle setzten auf Propaganda mittels neuer Medien; am berühmtesten wurde Martin Luther.

Wie erfolgreich war die Zensur?

Der Medienkrieg der Reformation führte zu einer Gegenreaktion der Katholiken. Es entstanden die ersten systematischen und zentralisierten Zensurpraktiken, die vorher gar nicht nötig gewesen waren. Vorher ging es um Einzelfälle, wie besonders repressive Agitatoren oder ein ausnehmend unanständiges Werk. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts reagierte die katholische Kirche auf Luther und die Folgen: 1559 erschien der erste „Index der verbotenen Bücher“. Es ist heute ein geflügeltes Wort, wenn wir zum Beispiel davon sprechen, Sachen seien indiziert – dabei heißt „Index“ einfach nur „Liste“. Dieser Index drohte mit rechtlichen Konsequenzen und verband ein ganzes Spektrum von Verboten in sich. Es wurden jetzt nicht nur einzelne Bücher, sondern auch Autoren, wie zum Beispiel Erasmus von Rotterdam, und sogar ganze Verlage oder Druckereien komplett verboten. Damit fielen selbst Bücher, die noch gar nicht erschienen waren, dem Gesinnungskampf und der Zensur zum Opfer.

Was können wir lernen?

Die Vergangenheit existiert nur in unserer Gegenwart, weil wir sie lebendig machen. Was uns die Renaissance auf jeden Fall mitgeben kann, ist ihre Hochschätzung der Bildung. Es wurde positiv gesehen, wenn sich Machthaber für Wissenschaft, Kunst und Kultur interessierten. Hohe Bildung wurde bewundert. Und, vielleicht genauso wichtig: Mangelnde Bildung wurde – auch und vor allem bei einem Herrscher – verachtet. Bilder der Vergangenheit zeigen uns, wozu der Mensch fähig ist und wie er sich entscheidet. Es reicht aber nicht, alte Texte zu lesen und sich ein Rezept zu versprechen, denn so genau wiederholt sich die Geschichte nicht. Das wussten die Menschen damals auch. Es braucht Bildung, Erfahrung und Unterscheidungsvermögen, um an den Beispielen der Geschichte die gegenwärtige Spontaneität zu schulen, mit Werten zu festigen, von Ballast zu entlasten. Darin und für die Vermittlung der Geschichte sind auch die Künste und die Schönheit der Sprache so wichtig, weil sie auf das emotive Potenzial des Menschen eingehen. Anderseits könnten wir lernen, unserer selbst nicht zu sicher und nicht so selbstverliebt zu sein, dass wir zum Fanatismus neigen. Die Kriege der Renaissance um Konfessionen und Dynastien sind Schreckbilder für alle Zeit.

Die „Schönheit der Sprache“ ist in Zeiten digitaler Sprachmodelle eher in Gefahr, oder?

Für mich als Literaten ist sie wesentlich. Jede Sorgfalt, die wir in sie investieren, ist gut investiert. Was können wir also tun? Der erste Schritt wäre Verlangsamung: Ich antworte langsamer auf eine Nachricht, wenn ich mir Mühe gebe, dass die Antwort schön ist. Da dient die Renaissance eher zur Abschreckung: Damals begannen die Wachstums-, Eroberungs- und Beschleunigungstendenzen, die uns heute noch stressen. Das allein zu wissen, könnte schon hilfreich sein für unsere Gegenwart. Und nicht zuletzt ist der Enthusiasmus der Humanisten, von dem erfüllt sie mit ihrer jüngeren Vergangenheit Schluss machen, ansteckend und begeisternd: Wie sie ihre katastrophen- und krisenüberlastete Zeit durchqueren, in Gedanken bei der Antike, mit Sturheit und Neugier, voller Zuversicht in den Menschen, der mit und durch Sprache lebt. ● ○

© KHM-Museumsverband
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Statements

Haarmenschen und Himmelskonstellationen


Drei Häuser, drei Ausstellungen, drei Exponate: Welche besonderen Schätze gibt es im Renaissancejahr auf der Schallaburg, im Schloss Ambras und im Kunsthistorischen Museum zu sehen? Wir fragten nach.

Wer „Renaissance“ hört, denkt an Italien und die Blüte der Künste und Wissenschaften unter südlicher Sonne. Weniger oft gerät die Wiedergeburt der Antike nördlich der Alpen in den Blick. Doch 2024 widmen sich Ausstellungen auf der Schallaburg, im Innsbrucker Schloss Ambras und im Kunsthistorischen Museum Wien der Renaissance auch außerhalb Italiens.

Die Erfindung des Buchdrucks und die Reformation beflügelten die Künste, das Individuum rückte in den Fokus. Städte wie Augsburg besannen sich auf ihre römischen Wurzeln, in Niederösterreich ließ humanistisches Gedankengut Bildungsinstitutionen entstehen, und Wunderkammern zeugten von einem neuen Interesse an der Welt.

Welche Exponate sind für die Verantwortlichen der Ausstellungen von besonderer Bedeutung? morgen sprach mit Guido Messling, Veronika Sandbichler und Robert Gander über das Aufleben der Porträtkunst, Haarfamilien und eine ganz besondere astronomische Karte. ● ○

Guido Messling, Kurator im Kunsthistorischen Museum

„Hohe Sensibilität“

Aus dem frisch restaurierten ‚Bildnis eines jungen Mannes‘ spricht die hohe Sensibilität des Künstlers Hans Burgkmair. Wie der Augsburger Maler die Linie pflegt, der Figur sanfte Umrisse verleiht und ihre Haare ordnet, erinnert nicht zufällig an die starke Stimmungshaftigkeit italienischer Renaissancemalerei. Er verleiht dem 1506 entstandenen Porträt einen melancholischen Grundzug. Wie Albrecht Dürer schuf auch Burgkmair zahlreiche Selbstporträts. Aber er übertrifft ihn gewissermaßen, geht der Augsburger doch noch reflektierter an die Sache heran als der Nürnberger. Eine der Zeichnungen zeigt ihn etwa versunken malend an der Staffelei, während ihm Kaiser Maximilian höchstpersönlich über die Schulter schaut. Das Kunsthistorische Museum versammelt dieses spezielle und andere Selbstbildnisse ab März in der Ausstellung ‚Holbein. Burgkmair. Dürer. Renaissance im Norden‘.

Augsburg wandelt sich in der frühen Neuzeit zu einer Handelsmetropole und einem Zentrum des Kunstschaffens, von dem viele wichtige Impulse ausgehen. Warum entsteht in der bayrischen Stadt damals so viel Besonderes? Ein Grund ist ihre wichtige Lage zwischen Nord und Süd, an alten Handelsrouten und Alpenpässen. In Augsburg finden die Reichs­tage statt, und bei diesen Anlässen kommen nicht nur Regenten und Fürsten, sondern auch Künstler zusammen. Am Ende des 15. Jahrhunderts beflügeln die Entdeckungsreisen nach Übersee den Handel. Reiche Kaufmannsfamilien wie die Fugger wirken in ihrem Streben nach Prestige als kultureller Motor. Mit der Fuggerkapelle entsteht einer der ersten reinen Renaissancebauten nördlich der Alpen, an dem sich führende Künstler beteiligen. Zudem besinnt sich Augsburg um 1500 auf seine eigene römische Vergangenheit. In anderen nordischen Renaissancestädten wie Brügge oder Gent gab es das nicht. In Augsburg werden damals antike Funde wie zum Beispiel Grabsteine freigelegt. Der in Bologna studierte Jurist und humanistische Gelehrte Konrad Peutinger sammelt altertümliche Inschriften und gibt sie als Buch heraus. Als kaiserlicher Rat vergab er künstlerische Aufträge. Auch im Stadtbild schlägt sich der Stolz auf die antike Vergangenheit nieder: So muss eine Statue des Heiligen Ulrich dem Neptunbrunnen weichen, der von einer Bronze des nackten römischen Meeresgottes dominiert wird. Der reformatorische Bildersturm auf die Heiligenfiguren der katholischen Kirche kündigt sich bereits an. In Augsburg verknüpfen Künstler wie Hans Holbein der Ältere und Burgkmair niederländische und italienische Einflüsse und formen so eine spezifisch nordische Renaissance.“ ● ○

Hans Burgkmair d. Ä., „Bildnis eines jungen Mannes“, 1506, Kunsthistorisches Museum Wien

© KHM-Museumsverband
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Veronika Sandbichler, Direktorin von Schloss Ambras

„Mensch rückte ins Zentrum des Interesses“

„Das Porträt des ‚Haarmensch Petrus Gonsalvus‘ stammt aus der Kunst- und Wunderkammer von Schloss Ambras in Innsbruck. Die Ganzkörperbehaarung des Dargestellten war auf Hypertrichose zurückzuführen, einen Gendefekt, der später aufgrund dieses Bildnisses auch als ‚Ambras-Syndrom‘ bezeichnet wurde. Gonsalvus stammte von den Ureinwohnern der Kanareninsel Teneriffa ab. Vermutlich verschleppten ihn spanische Eroberer als Kind nach Europa und er gelangte an den Hof des französischen Königs Heinrich II. Erstaunlicherweise wurde Gonsalvus dort nicht als ‚Wilder‘ vorgeführt, sondern vielmehr höfisch erzogen und auch in Latein und Griechisch unterrichtet. Später trat er in den Dienst des Königs und heiratete eine Hofdame. Zusätzliche Porträts ihrer Kinder machten die Gonsalvus als ‚Haarfamilie‘ bekannt.

In der Renaissance entstanden die ersten Kunst- und Wunderkammern. Sie spiegelten die humanistische Neugierde und das Staunen über die Vielfalt der Welt. Diese enzyklopädischen Sammlungen sollten die Schöpfung in ihrer Gesamtheit abbilden und so auch die Macht des Herrschers als Kreator demonstrieren. Der Theoretiker Samuel Quicchelberg befasste sich damals bereits mit der Frage ‚Was ist eine Kunst- und Wunderkammer?‘ und zeigte die Vielfalt von Natur und Kunst auf. So finden wir in derartigen Sammlungen etwa einen unbehandelten Korallenstamm gleichwertig neben einer Goldschmiedearbeit. Ähnlich verhält es sich mit den Porträtsammlungen, die im 16. Jahrhundert von Italien aus aufkamen. Der Mensch rückte ins Zentrum des Interesses, und zwar in seinem ganzen Spektrum. Erzherzog Ferdinand II. trug auf Ambras rund 1.000 Bildnisse von Persönlichkeiten zusammen, die aufgrund ihrer Individualität, Besonderheit oder Leistung im Sinn der Zeit als sammelwürdig galten. Dazu zählten auch politische Gegner wie Angehörige des französischen Königshauses ebenso wie der osmanische Herrscher Süleyman I. oder aber auch Graf Dracula. Und eben jene in ihrem Aussehen jenseits der Norm stehenden Personen wie die ‚Haarfamilie‘, ‚Hofzwerge‘ und ‚-riesen‘ oder Menschen mit Behinderung.

Diese zum Teil bis heute auf Schloss Ambras Innsbruck erhaltenen Porträts kontextualisieren wir ab Juni in der Sonderausstellung ‚Schauen erlaubt? Vielfalt Mensch vom 16. bis 18. Jahrhundert‘ auf zeitgemäße Weise. Sie erzählt die individuellen Geschichten hinter Bildern, die Gefahr laufen, für bloße Kuriositäten gehalten zu werden. Für das hochsensible Thema arbeiten wir mit einer Referenzgruppe zusammen. Die zentrale Erkenntnis daraus ist, dass Menschen das Angeschaut-Werden als sehr voyeuristisch empfinden. Als Konsequenz zieht unsere Ausstellungsgestaltung das Publikum aktiv mit ein, sodass es auf Fragen stößt wie ‚Darf ich hinschauen?‘, ‚Was passiert, wenn ich hinsehe?‘ und ‚Wie erlebe ich es selbst, betrachtet zu werden?‘“ ● ○

„Haarmensch Petrus Gonsalvus“, um 1580 (anonym, deutschsprachiger Raum)

© KHM-Museumsverband
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Robert Gander, Kunsthistoriker und Co-Kurator der Schallaburg-Ausstellung

„Letzte Darstellung des geozentrischen Weltbilds“

„Die Renaissance wird heute oft als Epoche des Bildes wahrgenommen, aber sie war auch ein Zeitalter des Buches. Noch vor den Künstlern entdeckten Gelehrte die Antike über die Schriften des Altertums wieder. In der Renaissance kommen auch die Naturwissenschaften auf. Das Astronomicum Caesareum ist ein Höhepunkt der Buchkunst des 16. Jahrhunderts und gleichzeitig ein wissenschaftliches Instrument. Es bildete um 1540 das astronomische Wissen seiner Zeit ab. Auf runden Scheiben aus Papier werden Sterne und Planeten in kolorierten Holzschnitten dargestellt. Diese sogenannten ‚Volvellen‘ sind übereinander montiert und drehbar, um Himmelskonstellationen abzulesen. Die neuen Erkenntnisse flossen in der Renaissance mit magischem Denken zusammen. So verwendeten etwa Ärzte und Heilkundige astronomische Kenntnisse, um durch die Stellung der Sterne den besten Zeitpunkt für medizinische Eingriffe zu finden. Das Astronomicum Caesareum gilt als die letzte Darstellung des geozentrischen Weltbilds, in dem die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet. 1543 kam dann mit Johannes Kepler der Nachweis des heliozentrischen Weltbilds. Das von den Kaisern Karl V. und Ferdinand I. in Auftrag gegegebene Astronomicum Caesareum war also bereits nach drei Jahren veraltet, behielt jedoch seinen Wert als Prunkinstrument.

Der prächtige Foliant ist ab April in der Ausstellung ‚Renaissance: einst, jetzt & hier‘ auf der Schallaburg zu sehen. Die Leihgabe aus der Stiftsbibliothek Zwettl wird in einem Raum über die Hohe Schule Loosdorf gezeigt. Das war ein protestantisches Gymnasium, das die Herren von Losenstein gründeten. Christoph II. von Losenstein und sein Sohn Hans Wilhelm bauten die Schallaburg im 16. Jahrhundert von einer mittelalterlichen Festung zu einem Renaissanceschloss aus. Sie bewegten sich in einem geistigen Milieu mit bildungshumanistischen Ambitionen. Die vier Klassen ihrer Schule standen Schülern aller Schichten offen, der Unterricht erfolgte nach den neuesten Lehren des Reformators Martin Luther.

Als das Land Niederösterreich die Schallaburg 1968 erwarb, war sie stark verfallen. Nach der großen Renovierung eröffnete das neue Besucherzentrum 1974 mit der Ausstellung ‚Die Renaissance in Österreich‘. Heutzutage ist der Zugang differenzierter, man spricht vielmehr von unterschiedlichen ‚Renaissancen‘, die sich ausgehend von Italien nördlich der Alpen ausgebreitet haben. Die diesjährige Jubiläumsschau stellt die Schallaburg selbst ins Zentrum. Aus ihrer überbordend-prunkvollen Ausstattung spricht der Repräsentationsdrang der Losensteiner. In den letzten Jahren erbrachten historische Dokumente neue Erkenntnisse. So ergab ein Schätzgutachten von 1650, dass im Garten einst ein Ballhaus stand. Dort wurde das Jeu de Paume gespielt, eine Frühform des Tennis und die Trendsportart zu jener Zeit.“● ○

Astronomicum Caesareum, 1540 (Leihgabe: Zisterzienserstift Zwettl)

© Schallaburg
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