Roundtable Perspektiven auf die Kunst
Clemens Schmiedbauer
Roundtable Perspektiven auf die Kunst

Roundtable

„Gegen Schwarz-Weiß-Denken“


Wie blickt der künstlerische Nachwuchs auf die Kunst, die Gesellschaft und seine Möglichkeiten in Zeiten von Pandemie und Krieg? Josepha Edbauer studiert in der Klasse für Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien, Cordula Rieger in der Regieklasse an der Filmakademie Wien und Sebastian Fröhlich besucht die Masterklasse Fotografie des Studiengangs Digital Design an der FH St. Pölten. Mit morgen diskutieren sie über neue Perspektiven auf die Kunst.

morgen: Wir sitzen in der Wiener Postsparkasse, in die das Angewandte Interdisciplinary Lab eingezogen ist. Cordula Rieger, wie wichtig ist das Interdisziplinäre für erweiterte Perspektiven in der Filmbranche?

Cordula Rieger

:

Film an sich ist eine interdisziplinäre Kunstform. Ich selbst habe Film erst über Theater und Schauspiel entdeckt und glaube, dass ich auch aus dieser Erfahrung viel mitnehme. In der Grundausbildung der Filmakademie habe ich alle Bereiche probiert, jetzt möchte ich Regie und Drehbuch, aber auch weiter Schauspiel machen und Formen vermischen. Kollektives Arbeiten ist ein großes Thema, weil immer um die Autor:innenschaft gekämpft wird und meist Regie und Produktion den Anspruch darauf haben. Ich würde mir wünschen, dass man Filme auch als Kollektiv signiert und die künstlerische Arbeit an Bild, Ton und Schnitt mehr anerkannt wird.

Sebastian Fröhlich, auch Sie haben Erfahrungen mit Film. Wie sehen Sie das?

Sebastian Fröhlich

:

Ich habe gern bei Filmproduktionen mitgearbeitet. In der Pandemie merkte ich aber, dass ich eigene Projekte umsetzen will. Deshalb studiere ich jetzt Digital Design mit einem Schwerpunkt auf Fotografie. Trotzdem finde ich interdisziplinäre Arbeit wichtig, man profitiert voneinander. Ich hatte ein Foto-Text-Projekt mit der Schriftstellerin Johanna Schmidt, das war eine schöne Symbiose.

Josepha Edbauer, Sie sind Multimedia-Künstlerin und Teil eines interdisziplinären Kollektivs, wie denken Sie über Mediengrenzen hinaus?

Josepha Edbauer

:

Ich mache immer den Witz, dass wir Student:innen der Transmedialen Kunst uns nicht festlegen können. Aber ich finde, jedes Thema gibt ein Medium vor, und ich versuche möglichst viele davon zu erlernen. Gerade arbeite ich oft mit Metall, aber auch mit 3D, Fotografie, Film. Alles ist fluid. Ich studiere auch Kunstgeschichte. Mein Kollektiv, Room69, ist ein Experimentierfeld ohne zugeteilte Rollen, um nicht festgefahren zu sein. Manchmal kuratiere ich, schreibe Pressetexte, Aufgaben fließen ineinander. Jede:r darf Fähigkeiten einbringen und sich ausprobieren.

Wie wichtig ist es, neue Zugänge und Ausstellungsformate in virtuellen Räumen zu finden? 

Edbauer

:

Für uns ist das Internet selbstverständlich geworden, ein fester Bestandteil des Alltags. Ich finde es vermessen, wenn man den digitalen Bereich abgrenzt, er beeinflusst uns ja, und die Welten verschmelzen. Dementsprechend betrifft das meine Kunst. Wenn ich etwas analog nicht darstellen kann, mache ich es digital. Im Kollektiv verschafften wir uns etwa Zugang zu einem nicht öffentlichen Raum, fertigten 3D-Scans davon an und rekonstruierten ihn digital, dabei erweiterten wir ihn mit unseren Arbeiten. Diese Mischung aus Fiktiv- und Realraum machten wir dann auf Google Maps zugänglich. Als junge:r Künstler:in sucht man immer Möglichkeiten, Arbeiten zu zeigen, da haben wir uns für „Hijacking“ entschieden. Den klassischen White Cube finde ich aber genauso wichtig. Manchmal braucht man die Infrastruktur und Unterstützung einer Institution. Als Künstler:in ist man oft genug eine Ich-AG.

Rieger

:

Das Digitale bietet die Möglichkeit, dass viele Leute in Kontakt mit meinen Filmen kommen. Was mich dabei erschreckt: wie man sich in Bubbles bewegt. Bei Streamingdiensten frage ich mich: Wie kann man über Gesehenes reden? Während der Pandemie gab es wenig Raum für Austausch, ich glaube, das wird jetzt wichtig. Als Kunstschaffende sollten wir viel mehr öffentlichen Raum einnehmen, um dort einen Diskurs entstehen zu lassen.

Ich finde interdisziplinäre Arbeit wichtig.

Wie ist Ihr Blick auf das Digitale generell? 

Fröhlich

:

Meine erste Ausstellung konnte wegen Corona nicht physisch stattfinden, also zeigte ich sie digital auf Instagram. Auch eine zweite Schau war virtuell, meine dritte dann wieder im realen Raum. Das Digitale ermöglicht neue Perspektiven, man kann andere Zielgruppen ansprechen. Aber auch der direkte Austausch ist mir wichtig. Bei sozialen Medien geht die bewusste Auseinandersetzung eher verloren, man richtet sich nach Likes. Die Zeit der Pandemie hat die Kunst verändert, vieles wurde schnelllebiger.

Rieger

:

Am Kino finde ich schön, dass man Zeit zum Betrachten hat. Ich frage mich: Wie findet man diese auch im digitalen Raum? Während der Lockdowns wurde unser Alltag verlangsamt, aber in den Sozialen Medien ging alles schnell weiter. Mich beschäftigt, wie man dem Gefühl, man sei nicht schnell genug, begegnen kann, und wie man auf Onlineplattformen Graustufen sieht statt nur Schwarz-Weiß. Denn ich habe Angst, dass die Gesellschaft nicht diverser, sondern gleicher wird, wenn dort immer derselbe Content rauskommt oder wenn man auf Instagram ein Narrativ kreiert, wie man gesehen werden möchte, und dabei versucht, einander ähnlich zu sein. 

Edbauer

:

Das Internet kann eine schöne Erweiterung sein. Aber Selbstoptimierung kann einen massiv unter Druck setzen. Und nicht alle nutzen Soziale Medien. Diese Leute werden dann außen vor gelassen.

Ist beim Studieren schon der Druck da, sich zu profilieren und Sichtbarkeit zu bekommen?

Rieger

:

Man muss schnell agieren und in die Branche rein, gleichzeitig kommen viele Fragen auf. Was will ich künstlerisch? Was passt zu meinen Werten? Und wie soll ich meine Arbeit präsentieren? Streaming bietet viel Neues, aber große Anbieter nehmen ein Monopol ein. So werden Inhalte auch immer normierter.

Edbauer

:

Die Kunstszene ist eine Gesellschaftsschicht, in der es alles gibt, von alten weißen Männern bis hin zu queeren Personen – und verschiedenste Plattformen. Welche für mich funktionieren, finde ich erst durch die Praxis heraus. Es ist ein ständiges Aushandeln. 

Fröhlich

:

Ich glaube, da ist schon gesellschaftlicher Druck, weil Leute erwarten, dass man liefert, wenn man einen kreativen Beruf macht.

Soll die Kunst in Krisenzeiten politischer sein? 

Rieger

:

Wir müssen uns der Verantwortung, die wir als Künstler:innen haben, bewusst sein. Alles, was wir sehen und hören, beeinflusst uns, mit allem positionieren wir uns. Insofern ist alles politisch. Manchmal handeln meine Filme von einem konkreten politischen Thema. „The Gallery“ etwa, eine Kurzdoku über das intersektionale Kollektiv Femplak Wien, das in einer Aktion Geschichten über sexualisierte Gewalt plakatiert hat. Was ich anstrebe, sind neue Narrative, die gegen Schwarz-Weiß-Denken angehen. Künstler:innen richten ihre Arbeiten oft an ihresgleichen, es fehlt noch an Vielfalt. Mir ist auch wichtig, dass aktuelle Geschehnisse wie Corona in meine Filme miteinfließen.

Edbauer

:

Kunst ist für mich etwas Intimes, ein Ausdruck meiner Gedanken in Material gefasst. Mir ist aber bewusst, dass ich in der Öffentlichkeit stehe und eine Plattform habe, und ich finde es schön, diese nach Möglichkeit weiterzugeben. Zum Beispiel hat meine Klasse während der Pandemie Plakate beim Praterstern bespielt. Dabei habe ich mich mit dem AwA Wien Kollektiv zusammengetan und deren Konzept für Awareness im öffentlichen Raum verbreitet. Das Kollektiv gab mir eine Audiospur, in der es ein einfühlsames Miteinander forderte und sich damit beschäftigte, dass Jugendliche während der Pandemie wegen der stillgelegten Clubkultur ihre Räume und Sichtbarkeit verloren haben. Wir machten daraus einen Kurzfilm, der am Billboard via QR-Code abrufbar war.

Fröhlich

:

Gerade in Krisen brauchen wir Kunst, um die Realität zu verarbeiten. Ich mache gerade eine Fotoserie mit ukrainischen Frauen. Vor dem Krieg wäre das nie ein Thema gewesen, aber das verändert sich natürlich.

Kunst ist für mich etwas Intimes, ein Ausdruck meiner Gedanken in Material gefasst.

Wie verändert der Klimawandel Perspektiven auf die Kunst?

Fröhlich

:

Ich überlege mir, welchen Beitrag ich leisten kann, nicht nur thematisch. Ich habe mich auch mit Materialien auseinandergesetzt: Wo kommt der Rahmen her? Sind die Druckfarben vegan? Ich habe versucht, mit Material aus der Region eine nachhaltige Ausstellung zu machen, aber bin schnell an Grenzen gestoßen. Es war spannend zu sehen, wie wenig Bewusstsein oft da ist. Ich glaube, da muss man dahinter sein.

Edbauer

:

Ich stellte mich der Challenge, nachhaltig und mit so viel Material wie möglich aus dem Müll zu arbeiten, manchmal geht es aber nicht. Ich versuche, eine Balance zu finden.

Rieger

:

Ich finde Green Filming wichtig und hoffe, dass wir Regieneulinge mehr Fragen stellen und versuchen, Produktionen weniger umweltschädlich zu machen. Auch da können neue Narrative Lust machen, etwas zu ändern. Warum nicht eine Szene drehen, in der es cooler ist, den Zigarettenstummel in eine Hülle zu geben, statt auf den Boden zu werfen? 

Zum Schluss ein großer Bogen: Woher kam der Wunsch, Kunst zu machen, und wo soll es hingehen?

Edbauer

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Ich habe versucht, alles außer Kunst zu machen, aber das hat nicht funktioniert. Ich vertraue dem Prozess und bin gespannt, wo es mich hintreibt. Mit Kunst hat man das Privileg, Dinge sichtbar zu machen. Sie verbindet, und man kann Perspektiven tauschen. 

Fröhlich

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Ich finde es inspirierend, wie jede:r auf eigene Weise spannende Arbeiten macht. Für mich selbst ist die Kunst ein Add-on zu meinem Job und eine Form, mich auszudrücken. Gerade passt das gut. Ich will Schönes produzieren und teilen und freue mich, wenn ein Diskurs entsteht. 

Rieger

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Meinen ersten Film machte ich mit 15 Jahren, um selbst darin spielen zu können. Dann wollte ich vom Schauspiel zur Regie, weil ich starke Frauenfiguren kreieren wollte. Mich interessiert es, das Direkte vom Theater und das Intime vom Film zu verbinden, vielleicht interaktive Filme zu machen – ich weiß noch nicht, was das ist. Ich finde es auch schön, wenn Künstler:innen einander unterstützen. Ich sehe Film oder allgemein Kunst als ein Teilen, aber auch als Raum, wo man verletzlich sein kann und Fragen haben darf. ● ○