Alien Productions

Early Adopters


Wer über Kunst und KI spricht, kommt an Alien Productions nicht vorbei. Das Medienkunsttrio kollaboriert seit 1997. Wenn eine Technologie breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhält, haben Martin Breindl, Norbert Math und Andrea Sodomka höchstwahrscheinlich schon damit gearbeitet. So erstaunt es nicht, dass diese Early Adopters lang vor der großen KI-Debatte an ihrer AI-Oper „Performing Utopia“ zu arbeiten begannen – ein hochspannendes Unterfangen, dessen Ergebnisse Alien Productions der Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung stellen. 2019 erhielten sie den Würdigungspreis für Medienkunst des Landes Niederösterreich; ihr „Klangatoll“ in Paasdorf (Weinviertel) wurde kürzlich nach einer Sanierung wieder eröffnet. Grund genug, der international umtriebigen Gruppe ein Special zu widmen.

© Philipp Horak
© Philipp Horak

Atelierbesuch

Andere Intelligenzen


Schon vor Jahren komponierte das Medienkunsttrio Alien Productions eine AI-Oper. Auch sonst sind die drei Kunstschaffenden ihrer Zeit oft voraus. morgen besuchte sie in ihrem Atelier, um mit ihnen über Kunst, Technologie und Standmixer zu sprechen. Und darüber, warum sie am liebsten mit schlecht trainierter KI arbeiten.

Wie Graupapageien wohl die Welt wahrnehmen? Können sie sich zum Beispiel über dieses oder jenes amüsieren? Betrachtet man die Videoaufnahmen des Projekts „Metamusic“ des Medienkunsttrios Alien Productions, scheint es so. Zumindest jenes Tier, das auf eine klingende Platte peckt und auf ihr herumhüpft, hat offenbar einen ziemlichen Spaß dabei. Ein anderer Grau­papagei verbeißt sich in eine winzige Geige ohne Saiten. Ein weiterer bearbeitet eines dieser schauerlichen Elternfolterinstrumente, die so etwas Ähnliches wie eine Gitarre darstellen sollen. Ein bisschen wirkt es so, als würden die Tiere mit nahezu wissenschaftlichem Interesse die Instrumente erkunden. Wobei: Das ist klarerweise eine reine Projektion.

Die Graupapageien spielen die Hauptrolle im Langzeitprojekt „Metamusic“, das die Kreativität und Musikalität von Tieren erkundete. Es entstand zwischen 2012 und 2017 als Projekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und in Kooperation mit dem Verein ARGE Papageienschutz.

Zerhackte Kartonklaviere

Es ist eines der scheinbar zahllosen Vorhaben, die Alien Productions umsetzten, seit sie sich 1997, damals noch mit ihrem Kollegen August Black, als Kollektiv gründeten. Martin Breindl, Norbert Math und Andrea Sodomka, allesamt in den frühen 1960er-Jahren geboren, arbeiten gemeinsam an den Schnittstellen von Musik, bildender Kunst, Technologie und Theorieproduktion – Kategorien, die sie allerdings konsequent und permanent überschreiten. Das intermediale Denken und Arbeiten ist typisch für die drei. 2019 erhielten sie dafür den Würdigungspreis für Medienkunst des Landes Niederösterreich.

Doch nicht nur für ihre eigene Kunstproduktion sind sie bekannt: Darüber hinaus kuratieren sie, vor allem für Fluss – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, die im Schloss Wolkersdorf angesiedelt ist. Martin Breindl betreibt zudem gemeinsam mit Künstlerin Ksenia Yurkova ein internationales Artist-in-Residence-Programm in Hollabrunn.

Alien Productions empfangen morgen in ihrem Studio im siebten Wiener Bezirk, das mehr wie ein Büro aussieht: drei Arbeitsplätze an Schreibtischen, dazwischen Pflanzen. In Schachteln lagern Rahmen mit Teilen von zerhackten Mini-Kartonklavieren, elektronische Gerätschaften aller Art verteilen sich im großzügigen Raum, auf Bildschirmen laufen Zahlenreihen auf schwarzem Hintergrund. An den Wänden hängen Zettel mit einzelnen Wörtern und Sprachspielen.

Es ist nicht einfach, die vielen Arbeiten von Alien Productions zu fassen. Sie können zurückblicken auf: zahlreiche Netzprojekte, darunter ihrer eigenen Aussage zufolge das erste interaktive weltweit, Lichtarbeiten, Radiokunstprojekte, Performances, Installationen, Fotografien, eine KI-Oper, Soundprojekte und vieles mehr. In Paasdorf im Weinviertel schufen Breindl und Sodomka 1996 – beauftragt von der Stelle für Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich – ein „Klangatoll“, das kürzlich renoviert und neu eröffnet wurde. Im Grazer Kaufhaus Kastner und Öhler simulierten sie 1997 eine „Installation für den vernetzten Haushalt“ und steuerten Haushaltsgeräte per Computer. Für eine Reihe von Standmixern programmierten sie später eine „Gesamtkomposition aus Betriebsgeräuschen und verfremdeter Sprache“, wie sie in ihrem Katalog „Alien Productions. In State of Transmission“ ausführten. Dort fragten sie auch: „Was wäre, hätten unsere Haushaltsgeräte ihre geheime Intelligenz längst entdeckt und würden sie auch nutzen – und zwar […] für ihre eigenen Zwecke?“

Was können diese Dinge, die für die Imitation von Menschen programmiert sind, sonst noch?

Ob sie damals schon ahnten, wie visionär ihre Arbeit war? Heute zählt die Frage, ob künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein besitzen, zu den heiß diskutierten Punkten in der Debatte um jene Technologie, deren Fortschritt in den vergangenen fünf Jahren rasant verlief.

An einem Tisch in ihrem Studio haben die drei Platz genommen, um über ihre Arbeit zu sprechen. Sie sind – kein Wunder bei ihrer langjährigen Kollaboration – eingespielt, ergänzen einander, witzeln, knüpfen Gedankengänge aneinander und fallen einander dabei kaum je ins Wort. Einmal streiten sie ein bisschen darüber, ob sie nun viel oder wenig streiten. Die nächsten drei Stunden werden sie erzählen und philosophieren, die großen Fragen der Technologie und die kleinen des alltäglichen Produzierens besprechen.

Komponierende Papageien

Trotz der Vielfalt der Medien, mit denen Alien Productions arbeiten, ziehen sich doch bestimmte grundsätzliche Gedanken durch ihr Werk. Immer wieder kommen Utopien vor, ebenso die Überlegung, ob es neben dem Menschen auch andere Intelligenzen gibt – wie sich schon in ihrer Grazer Installation zeigte. Das heute viel diskutierte Ende des Anthropozäns haben sie schon lange im Fokus. Auf den ersten Blick mag eine Oper, die von einer KI komponiert wurde, wenig zu tun haben mit den Graupapageien. Doch tatsächlich sind es zwei Perspektiven auf dasselbe Thema. Andrea Sodomka drückt es so aus: „Uns interessiert die alien intelligence.“ Martin Breindl sagt: „Wir beschäftigen uns allgemein mit Intelligenzen und versuchen, die anthropomorphe Weltsicht aufzubrechen.“

Zum Beispiel bei den Graupapageien. Sodomka: „Unsere Frage war: Können die Papageien komponieren?“ Ihre Antwort: „Natürlich können sie das!“ Sie seien „extrem musikalisch“ und hätten selbst Tonvariationen erfunden. Das fanden sie in einem sehr langen Prozess heraus, bei dem sie „die Ausdrucksform der Graupapageien lernen mussten“, wie sich Sodomka erinnert. Sie bauten Mikrofonsensoren in die Volieren ein, legten Mini-Instrumente hinein und klebten bunte Latten auf E-Pianotastaturen, sodass die Papageien sie bedienen konnten.

Angesichts der Tatsache, dass Alien Productions bereits in den 1990er-Jahren mit interaktiven Internetprojekten die Welt vernetzten, verwundert es nicht, dass sie sich auch schon vor Jahren mit künstlicher Intelligenz befasst haben – noch bevor der Hype um ChatGPT die Welt erfasste. „Wir greifen gern dann ein, wenn die Dinge noch relativ jung sind. Weil wir das Gefühl haben, zu diesem Zeitpunkt etwas verändern zu können. Und weil wir einen freieren Umgang damit haben“, sagt Breindl.

Ihre „Radiooper“, wie sie es nennen, trägt den Titel „Performing Utopia“ und lief 2021 auf Ö1. Heute steht sie auf der Website von Alien Productions zur Verfügung, ebenso wie das Libretto sowie Einblicke in eine Bühnenperformance, die Alien Productions später entwickelten und beim MusAIc Festival in Stockholm 2022 uraufführten.

Schlecht trainiert

Die Oper ist in fünf Zyklen – eine Ouvertüre und vier Akte – gegliedert. Jeder davon entspricht einem bestimmten Zeitalter. Um das Li­bretto zu gestalten, trainierten Alien Productions ein Computerprogramm mit Texten zum Thema Utopie und gaben ihm den Auftrag, in ähnlicher Manier weiterzuschreiben. Norbert Math erklärt das Vorgehen so: „Üblicherweise wird AI anhand großer Mengen an Material trainiert, damit sie Muster erkennt. Wenn wenig davon vorhanden ist, tut sich die AI entsprechend schwer.“ Wenn künstliche Intelligenzen Dinge nachahmen sollen – man kennt das von jenen Bildern, für deren Generierung User beispielsweise Porträts im Stil von Gustav Klimt bestellt haben – dann funktioniert das nur, wenn sie zuvor sehr viel verarbeitet, gewissermaßen „gesehen“ haben. Doch was geschieht, wenn die KIs nur wenig davon kennen? Norbert Math erzählt: „Wenn wir zehn Trainingsdurchläufe machen, kommt ein ziemliches Kauderwelsch heraus, wenn wir dann einen Text erstellen lassen. Bei 90 davon ist dieser schon recht nah am Trainingsmaterial.“ Die entscheidende Frage sei: „Bei welchem Durchgang wird es am spannendsten?“ Nicht das Perfekte, sondern das Gegenteil davon ist für Alien Productions das Erstrebenswerte, gemäß dem Stichwort des „misuse of technology“, wie es Ars-Electronica-Chef Gerfried Stocker einmal nannte. „Was können diese Dinge, die für die Imitation von Menschen programmiert sind, sonst noch?“, fragt Sodomka.

Bei der Komposition für „Performing Utopia“, die später von einer Sängerin und einem Sänger eingesungen wurde (siehe dazu auch das Interview mit Loré Lixenberg auf Seite 38 und 39) verfuhren sie ähnlich. Darüber hinaus entwickelten Alien Productions Bilder, die bei der Aufführung in Stockholm projiziert wurden. Dafür jagten sie Zitate aus dem Libretto durch eine Bild-KI mit dem Auftrag, dieses im Stil bestimmter Künstler oder Kunstrichtungen zu interpretieren.

Liest man das – englischsprachige – Libretto von „Performing Utopia“, so ist man zunächst irritiert ob gewisser Wörter. Schämt sich als Nicht-Native-Speakerin ob vermeintlich schlechter Sprachkenntnisse, zieht das Wörterbuch zurate – um dann zu entdecken, dass viele der Begriffe gar nicht existieren. Und dennoch wohnt manchen von ihnen eine gewisse Poesie inne. Rätselhaftes ist dabei, wie die Wortkreationen „agruints“, „madallations“, ebenso kommenneu erfundene Kofferwörter vor wie „sunsation“ – eine Mischung aus „sun“ und „sensation“. Oder, als Hauptwort gebraucht: „sincerest“ – eine Kombination aus „sincere“ (aufrichtig) und „interest“. Anderswo ist die Rede vom „gleeply approach of a language” – dem „schlafenden Ansatz einer Sprache“. Steckt in der KI eine ungeahnte Weisheit? Das treibt auch Math um, der überlegt: „Ist da ein Bewusstsein am Entstehen oder nicht? Man ist geneigt, eine Parallelität zum Menschlichen hineinzuinterpretieren.“

Der extreme Individualismus ist eine große Gefahr.

Wie funktioniert eine so langjährige Zusammenarbeit wie die von Alien Productions? Martin Breindl studierte Kunst, Norbert Math Musik, Andrea Sodomka beides. Doch irgendwie machen alle alles. „Unsere Kompetenzen sind fluide“, sagt Sodomka.

Das kollaborative Arbeiten sei für sie etwas ganz Natürliches, so Breindl. „Aber es ist auch ein Statement zu der Zeit, in der wir leben. Gemeinschaftliches Tun und Handeln bringt die Gesellschaft weiter. Der extreme neoliberale Individualismus dagegen ist eine große Gefahr.“ Ähnlich sieht er ihre kuratorische Arbeit: „Man hat Ressourcen, die man gern mit anderen teilt.“

Eine Wortkreation in „Performing Utopia“ lautet „distributive intelligence“: „verteilende Intelligenz“ – was könnte das sein? Intelligenz, die verteilt? Und was? Sich selbst? Ihre Erkenntnisse? Vielleicht machen Alien Productions genau das: Intelligenz verteilen. ● ○

Loré Lixenberg

„Ich hatte das Gefühl, mit der KI verbunden zu sein“


Mezzosopranistin Loré Lixenberg sang in „Performing Utopia“ AI-generierte Musik. morgen sprach mit ihr über neue Technologien, Programmierkurse und die Oper als Spiegel ihrer Zeit.

Loré Lixenberg ist die weibliche Stimme von „Performing Utopia“, der KI-Oper des Medienkunsttrios Alien Productions. Die klassisch ausgebildete britische Mezzosopranistin, die heute in Wien lebt, beschäftigt sich fast ausschließlich mit experimenteller Musik und Avantgarde. Ihre Arbeit umfasst Installationen und Gesangsperformances sowie Konzertabende mit Stimme, Instrumenten und Elek­tronik; sie kollaboriert mit Kunstschaffenden und schreibt experimentelle Stücke für die Stimme. Lixenberg ist auch politisch aktiv: Als Protest gegen Boris Johnson gründete sie die Partei The Voice Party und trat damit bei den britischen Parlamentswahlen 2019 an. Nach dem Brexit verließ sie England und zog nach Berlin, wo sie in Neukölln einen experimentellen Kunstraum betreibt. Darüber hinaus experimentiert sie mit neuen Opernformaten, verwandelt Stimmen in NFTs, erfand eine Kryptowährung namens Vox Coin und entwickelt die Dating-App Singlr, bei der sich Menschen über ihre Stimme kennenlernen. In ihrem neuen Projekt verbindet Lixenberg Franz Schuberts „Erlkönig“ mit künstlicher Intelligenz, Gesang und Tanz.

Haben Sie sich schon immer für neue Technologien interessiert?

Loré Lixenberg

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Ich habe mich immer für Neues interessiert: neue Musik, neue Komponisten, neue Arten zu singen. Mit neuen Technologien beschäftige ich mich noch nicht so lange. Mein Vater war Radaringenieur bei der Zivilluftfahrtbehörde. Um sich fortzubilden, besuchte er einen Kurs in Programmieren. Ich kann mich noch erinnern, wie kompliziert die Sprachen waren, die er lernen musste. Mittlerweile ist alles sehr benutzerfreundlich. Man muss kein Computernerd mehr sein, um damit arbeiten zu können.

Was fasziniert Sie an „Performing Utopia“, der KI-Oper von Alien Productions?

Wie die digitale und die analoge Welt interagieren. Sängerinnen und Sänger aus Fleisch und Blut interpretieren ein Werk, das von einer künstlichen Intelligenz geschaffen wurde. Die Musik, die wir hören, sollte einen Bezug zu unserer Lebensrealität haben. Die letzten Opern, die ihre Zeit spiegelten, entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts: „Pierrot Lunaire“ von Arnold Schönberg und „Lulu“ von Alban Berg. Die Oper hat als kommunikatives Medium so viel Potenzial. Es gibt mittlerweile unendlich viele Möglichkeiten, mit Klängen und Bildern zu experimentieren. Ich arbeite fast ausschließlich mit elektronischen Klängen, weil ich mich damit freier bewegen kann als mit analogen Instrumenten.

Was sehen Sie in dieser Oper?

Die Botschaft ist, dass es keine Botschaft gibt. Ich finde, dass das Stück vielmehr eine gewisse Atmosphäre erzeugt, die dazu einlädt, sich in eine Zukunftsutopie hineinzuversetzen. Man könnte den Titel „Performing Utopia“ auch mit einem Augenzwinkern betrachten: Vielleicht ist das gar keine Utopie, sondern vielmehr die Zukunft, auf die wir zusteuern. Was den Einsatz von künstlichen Intelligenzen betrifft, erwarte ich nichts Gutes. Künstliche Intelligenz wurde von Menschen geschaffen, also läuft es letztendlich darauf hinaus, damit Geld zu verdienen oder Kriege zu führen.

Kann das Werk einer künstlichen Intelligenz Emotionen auslösen?

Beim Wort „Emotion“ bin ich immer vorsichtig, weil es überall so viele falsche Emotionen gibt, auch in der Musik. Wenn Menschen Musik machen, entsteht, glaube ich, immer ein Gefühl von Empathie zwischen dem Künstler und dem Publikum. Für mich ist es wichtig, berührt zu werden. Bei „Performing Utopia“ hatte ich das seltsame Gefühl, mit der künstlichen Intelligenz verbunden zu sein. Das hat mich irgendwie berührt. Wir neigen dazu, alles zu vermenschlichen. Im Zusammenhang mit Maschinen kann das gefährlich sein.. ● ○