© Luiza Puiu
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Ausstellung „Kind Sein“

Ausstellung „Kind Sein“


Riesenaction
Die Irritation ist perfekt – zumindest für Erwachsene: Gleich zu Beginn der Ausstellung „Kind Sein“ auf der Schallaburg (noch bis 5. November) baut sich vor einem ein riesiger Körper auf. So in etwa waren die Größenverhältnisse zu den Großen, seinerzeit, als man noch ein Zwerg war. Die Schau wartet mit einer Fülle an Kunstwerken und anderen Artefakten auf – Highlights: der antike Sarkophag, die Schummelzettelsammlung, die Kinderporträts des 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus wirft sie auch Fragen dazu auf, was es bedeutet, ein Kind zu sein – mit vielen interaktiven Stationen. Besonders zu empfehlen ist zudem das Buch zur Schau, in dem nicht nur Kinder zu Wort kommen, sondern auch Schriftsteller und Schriftstellerinnen Essays beisteuerten. Für unser Special befragten wir Publikum und Vermittlung zu ihren Lieblingsexponaten ebenso wie Kurator Dominik Heher über seine Überlegungen zur Schau. Mehr dazu: schallaburg.at.

© Luiza Puiu
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Statements

Eintritt lebensgefährlich


Die Ausstellung „Kind Sein“ ist nicht nur samstags und sonntags, sondern auch unter der Woche gut besucht.
Dann kommen viele Schulkinder, die vom Vermittlungsteam der Schallaburg begleitet werden. Welche Exponate ziehen das kindliche und das erwachsene Publikum besonders an, von welchen erzählen jene Personen, die die Ausstellung täglich den Besucherinnen und Besuchern näherbringen? Und was haben diese mit ihrem eigenen Leben zu tun? Wir fragten nach – und erfuhren mehr über einen Schummel­zettelkasten, riesige Figuren, ein uraltes Puppenhaus, einen Film sowie eine sehr spezielle Tür.

Beim Reingehen in den Raum dachte ich mir: Boah, ist das cool! Ich kann mich nämlich noch daran erinnern, wie das als ganz kleines Kind zu Hause alles ausgeschaut hat. Meine Eltern, der Esstisch, der Fernseher, die Küchenkastln – alles ist mir so riesig vorgekommen. Ich habe mich damals aber nicht davor gefürchtet, obwohl ich ja so klein war. Ich kann mich auch noch erinnern, wie es ist, wenn man zu klein ist, um Dinge zu erreichen. Man muss um Hilfe fragen, oder man klettert wo rauf, um sich zum Beispiel ein Glas zu holen. Cool finde ich in dem Raum auch diese riesige Steckdose. Da müsste auch das Handy dazu riesig sein. Das wäre aber unpraktisch. Handy habe ich bis jetzt noch keines. Aber bald. In den Ferien bekomme ich eines. Wie weit meine Erinnerungen zurückgehen?

Boah, ist das cool!

Ich weiß noch Sachen, da war ich ungefähr ein, zwei Jahre alt. Das Früheste ist: Ich bin im Kinderwagen gesessen und mein Papa ist mit mir spazieren gegangen. Heute bin ich natürlich schon viel größer, aber ich kann mir das trotzdem noch nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn ich richtig groß bin. Vielleicht werde ich so wie mein Papa. Der misst 1,73 Meter. Als Kind geht es mir gut. Nur Autofahren darf ich leider noch nicht. Am meisten freue ich mich beim Erwachsensein darauf, dass ich dann ein Auto haben werde. Und wenn man groß ist, darf einem niemand mehr was anschaffen.

Es ist unglaublich, wie sich das Spielzeug entwickelt hat und mit welch einfachen Mitteln Kinder sich früher beschäftigten. Heute glaubt man, es braucht unheimlich viel und überschüttet die Kinder damit. Dieses Exponat, ein Film, zeigt für mich auf faszinierende Weise die Veränderung in diesem Bereich. Kinder müssen sich vor 200 oder 300 Jahren ganz anders gefühlt haben. Wäre ich damals gerne Kind gewesen? Wenn, dann bitte ein adeliges. Ich glaube, die Zeiten waren ziemlich hart. Als Mutter kaufte ich natürlich schon einiges an Spielzeug. Mein Sohn hatte vor allem Lego. Er war immer schon sehr kreativ. Damals war es üblich, dass andere Kinder zum Spielen kamen. Fast jeden Tag waren sechs davon aus der ganzen Nachbarschaft im Haus. Bei uns war der Treffpunkt. Sie haben auch noch viel draußen gespielt. Mein Sohn ist Jahrgang 1984 und war noch kein Computerkind, das ist bei uns erst später gekommen. Bei meinen Enkelkindern ist es heute ganz anders. Ich musste bei meinem Sohn nicht mitspielen, bei ihnen ist es schon so. Sie spielen auch wenig gemeinsam. Ich selbst bin mit fünf Geschwistern am Land aufgewachsen und war im Winter von der Früh bis zum Abend Schlitten fahren.

Die Zeiten waren ziemlich hart.

Ein Maurerbock war mein Pferd. Ich muss aber zugeben: Als Oma bin ich mitschuldig, dass meine Enkelkinder wahnsinnig viel Spielzeug haben. Meinem Sohn gefällt das gar nicht. Da bin ich gerade in einer Lernphase. Man schenkt heute anders. Zum Beispiel dürfen die Kinder ein paar Tage zu den Großeltern kommen oder wir machen einen Ausflug mit ihnen.

Ich finde dieses Objekt großartig: Ein Lehrer der HTL Saalfelden hat von den 1980er-Jahren an alle Zettel von Schülern aufgehoben, die er beim Schummeln erwischt hat. Seine gerahmte Sammlung hängt sonst dort in der Schule – wahrscheinlich im Lehrerzimmer – und ist derzeit als Leihgabe in unserer Ausstellung. Beeindruckend finde ich, wie professionell und kreativ die Kinder und Jugendlichen vorgehen. Auch Schummeln will gelernt sein. Das sind extrem detaillierte Sachen, in winziger Schrift zu Papier gebracht. Teilweise könnte man sie wahrscheinlich als Schularbeit abgeben. Neben Zetteln sind auch Schummeleien auf Taschentüchern, Linealen, Mineralwasserflaschen und Schlapfen enthalten. Bei Führungen sage ich den Kindern, dass ich als Schülerin auch geschummelt habe. Allerdings brauchte ich die Zettel bei den Schularbeiten und Tests meist gar nicht mehr, weil die Dinge durch das Aufschreiben bereits in meinem Kopf waren. Ich glaube, für viele ist es eine Absicherung, um im Fall eines Blackouts etwas in der Hand zu haben. Dann kann man darauf zurückgreifen. Wirklich alle erwachsenen Besucher, die vorbeigehen, schmunzeln darüber.

Schummeln will gelernt sein.

Erinnerungen an die eigene Schulzeit kommen hoch, und die Leute beginnen zu erzählen. Letztens hatte ich einen Lehrer in der Führung. Er erzählte, dass er nach einem Test ein Experiment machte. Er hat sich umgedreht und wollte, dass die Schüler ehrlich alle Schummelzettel auf den Tisch legen. Anonym, ohne Konsequenzen. Ein Berg voller Zettel ist auf seinem Tisch gelandet. Es wird also immer noch geschummelt.

Dieses Puppenhaus ist über 100 Jahre alt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es damals war. Mit so einem Haus hätte ich auch gerne gespielt, wobei manche Figuren schon ein bisschen gruselig sind. Es schaut ganz anders aus als Puppenhäuser heute. Vielleicht hatte meine Oma so etwas zum Spielen. Was mich daran fasziniert? Ich finde es einfach cool, weil es so alt ist. Und trotzdem gibt es das noch. Heute werden viele Sachen einfach weggeschmissen, wenn sie alt oder kaputt sind. Ich spiele in meiner Freizeit viel und gehe auch gerne raus. Die meisten in meiner Klasse haben schon ein eigenes Handy, ich noch nicht. Aber bald bekomme ich eines. Ich glaube aber, dass ich auch dann noch mit anderen Sachen spielen werde. Das Schönste am Kindsein ist für mich, dass man alles sagen kann, was man denkt. Als Erwachsener ist das nicht mehr so leicht. Zum Beispiel darf man als Kind sagen, wenn einem etwas nicht gefällt. Viele Erwachsene trauen sich das nicht mehr, sonst sind die anderen Erwachsenen beleidigt.

Manche Figuren sind ein bisschen gruselig.

Sehr gut gefallen hat mir in der Ausstellung auch der Raum, in dem alles so riesig ist. Da fühlt man sich wieder ein bisschen wie ein Kleinkind. Ich erinnere mich noch daran, als meine kleine Schwester auf die Welt gekommen ist und ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Das ist meine allererste Erinnerung.

Ich bin auf der Burg Clam aufgewachsen und habe 1971, ungefähr im Alter von 13 Jahren, diese Tür bemalt. Das kam so: Ich habe eine Zwillingsschwester. Zuerst hatten wir zusammen ein Kinderzimmer. Als wir größer geworden sind, bekam jeder sein eigenes Jugendzimmer. Das ehemalige Kinderzimmer – ein großer Raum in der Burg – verwendeten wir von da an zum Spielen. Die Eltern schauten immer nach, was uns sehr gestört hat. Darum habe ich eines Tages den Spruch „Eintritt lebensgefährlich“ darauf geschrieben. Später war das unser erster Partyraum. Die Eltern hielten sich übrigens daran und kamen nicht mehr rein. Auch als Kind braucht man eine Tabuzone. Einen Platz, wo man in Ruhe gelassen wird. Ähnliche Zeichnungen und Schriftzüge findet man oft. Der Kurator der Ausstellung war einmal mit mir auf der Burg Clam, sah die Tür und sagte, dass er sie unbedingt für „Kind sein“ haben will. Es handelt sich übrigens um eine Renaissancetür. Sie symbolisiert den Übergang von der Kindheit zur frühen Jugend. In dem Raum sind heute noch lustige Malereien und Sprüche aus der Zeit erhalten: „Make Love, Not War“ und „Peace!“

Ich habe diese Tür bemalt

Das war eben Anfang der 1970er-Jahre, würde heute aber auch wieder passen. Für mich ist es bei Führungen lustig, wenn ich am Ende des Rundgangs vor meinem eigenen Kunstwerk stehe. Es ist ein beliebtes Fotomotiv. Als Kulturvermittler ist es besonders schön, mit Kindern zu arbeiten. Es ist immer was los. Wirbel! Ich mag das.

© Rupert Pessl
© Rupert Pessl

Dominik Heher

„Oft nur ein Lippenbekenntnis"


In einer Welt voller Verantwortung und Komplexität erweist sich die Kindheit für viele Erwachsene in der Rückschau als Oase ungezähmter Fantasie, grenzenloser Neugier und ungefilterter Freude. Die Kindheit webt einen Teppich aus Erinnerungen, die unser Wesen prägen. Aber ist als Kind wirklich alles eitel Sonnenschein? Die Ausstellung „Kind Sein“ stellt grundlegende Fragen zu dieser wichtigen Lebensphase. Mit ihrem Kurator Dominik Heher sprach morgen über verklärte Kindheitsbilder, klischeehafte Darstellungen und die Herausforderung, eine Ausstellung zu gestalten, die ein Publikum vom Kind bis zur Greisin anspricht.

Können Sie mir etwas über die Inspiration zur Ausstellung „Kind Sein“ erzählen? Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem speziellen Thema auseinander zu setzen?

Dominik Heher

:

Seit Längerem ist das Thema herumgeschwirrt. Gerade durch die Pandemie hatte jede:r mehr Kontakt zu Kindern, waren die Lebenswelten der Kinder und Eltern plötzlich massiv miteinander verschränkt. Gleichzeitig bemerkten wir, dass die Wertschätzung der Gesellschaft Kindern gegenüber oft nicht mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Viele Maßnahmen, die getroffen werden, auch die während der Pandemie, haben oft nicht viel mit dem Kindeswohl zu tun: Kinder haben keine Lobby. Es ist kein Zufall, dass es bisher keine vergleichbare Ausstellung dazu gab – der gesamtheitliche und multiperspektivische Zugang jedenfalls ist neu.

Wie bestimmen Erwachsene, wer überhaupt Kind sein darf?

Was verrät die Ausstellung über den universellen Charakter und die Erfahrung des Kindseins?

Heher

:

Die Ausstellung spielt mit dem Konzept der Zeitlosigkeit, das das Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern prägte. Im Subtext der Ausstellung kommt auch das asymmetrische Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern vor. Wie bestimmen Erwachsene, wer überhaupt Kind sein darf? Als Historiker hat mich überrascht, wie sehr man über das Bild des Kindes verhandelt und wie uneinig man in den einzelnen Epochen über die Phase des Kindseins ist. Es unterscheidet sich von Familie zu Familie je nach sozialem und ökonomischem Umfeld, den Erfahrungen der Eltern und dem gesellschaftlichen Druck. Während des Übergangs von der Aufklärung zur Romantik entsteht ein Kinderbild, das sehr verklärend ist. Kinder sind rein und unschuldig geboren und erst durch die Erwachsenen wird ihnen „das Böse“ beigebracht. Man darf hier nur nicht philosophische Bilder mit der Realität verwechseln, denn während Kinder des Bürgertums zum freien Denken erzogen wurden, schufteten Kinder der unteren sozialen Schichten in den Fabriken. Da versuchten wir als Kurationsteam, in der Kindheit diesen Punkt Null zu erwischen: Was prägt uns? Welche Einflüsse wirken auf uns seit Beginn unserer eigenen Existenz? Sind wir wirklich unverdorben geboren? Das waren Fragen, die uns beschäftigten.

Wie kann Kunst diese universelle Erfahrung transportieren?

Schwierige Frage! Es ist interessant, wie sich die Darstellung des Kindes im Laufe der Geschichte entwickelt hat. Wir haben in der griechischen und römischen Antike sehr wenige Darstellungen von Kindern. Aus der römischen Zeit zeigen wir etwa einen prächtigen Kindersarkophag des Kunsthistorischen Museums. Auf Sarkophagen wie diesem sind Kinder oft beim Spiel mit Nüssen abgebildet. Es ist eine sehr klischeehafte Darstellung. In der christlichen Kunst tragen Heilige oft schon im Kindesalter Züge von Erwachsenen. Es gab in der Vormoderne keine vergleichbare Würdigung der Kindheit als wertvolle Lebensphase. Erst im 18. Jahrhundert rückte das Kind in den Blick von Wissenschaft, Philosophie und auch in jenen der Kunst. Plötzlich wurden Kinder für die Künstler:innen interessant. Erst im 19. Jahrhundert porträtierte man wirklich das Kind als Kind – nicht nur in naturnahen Abbildungen, sondern man wollte auch das Wesen der Kinder einfangen.

Was waren Ihre Überlegungen zum Ausstellungsdesign?

Wir haben uns gefragt, wie eine solche Ausstellung Erwachsene wie Kinder gleichermaßen ansprechen kann. Man muss darauf achten, so manche Vitrine und so manches Gemälde ein gutes Stück niedriger zu positionieren. Das mag für Erwachsene am Anfang ungewohnt sein, aber es war uns wichtig, Kindern als Besucher:innen auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist definitiv eine Illusion, zu glauben, dass man alle Inhalte für alle Besucher:innen gleichermaßen aufbereiten kann. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, bestimmte Botschaften zu vermitteln – und das kann auf ganz verschiedenen Kanälen passieren. Die unmittelbarsten Emotionen werden durch die Räumlichkeit und die Farben, Grafik, Typografie, vielleicht sogar Texte und Raumaufteilung hervorgerufen. Die Gestaltung fällt durch einen sehr lebhaften und skizzenhaften Stil auf – sehr passend für ein Thema rund ums Wachsen, ums Ausprobieren und ums Verschwimmen von Grenzen. In diesem Setting werden hochkarätige Exponate gleich viel nahbarer. Nicht das Kunstwerk als solches soll zelebriert werden, sondern das, was es bei den Besucher:innen evoziert.● ○