Schwarz-weiß Bilder: Papier, Hände, Smartphone
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Sommertheater

„Wir gehen ganz intensiv auf die Leute aus der Region zu"


Das Klischee vom Sommertheater als Ort der leichten Muse hat ausgedient. Mit den Festivalleitern Zeno Stanek und Lukas Johne sowie Sommeroper-Intendantin Monika Steiner sprach morgen über Vorteile des Rückzugs, die Avantgarde am Semmering und den Trend, im Sommer aufs Land zu ziehen.

Niederösterreich ist das Land der Sommertheater. Kein anderes Bundesland weist eine so große Dichte an Festivals auf, die höchst unterschiedliche Zugänge zu Kunst und Kultur präsentieren. Sie agieren als Nahversorger der Region, ziehen aber auch viele Gäste aus Wien an. Wie schafft man diesen Spagat zwischen Kunstanspruch und Besuchernähe? Wie integriert man die Einheimischen? Und was bringt Kunst für den Tourismus? Darüber diskutierte morgen mit Zeno Stanek, Gründer des Schrammel.Klang.Festivals sowie des Theaterfestivals Hin & Weg in Litschau, mit dem Schauspieler Lukas Johne, der 2019 das Festival Kultur.Sommerfrische in Puchberg am Schneeberg gegründet hat, sowie mit der Opernregisseurin und Librettistin Monika Steiner vom Musikfestival Retz in Staneks Büro.

morgen: Als Claus Peymann 1986 das Burgtheater übernahm, fuhr das konservative Publikum demonstrativ nach Reichenau, um ihre Burg-Stars ohne lästiges Regietheater zu sehen. Wie viel ist an dem Klischee dran, Sommertheater bediene die leichte Muse?

Zeno Stanek

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Damals hat das wahrscheinlich sogar gestimmt, aber es ist eine Ewigkeit her. Die Sommertheater können es sich gar nicht mehr leisten, nicht am Puls der Zeit zu sein.

Monika Steiner

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Wir machen Uraufführungen von zeitgenössischem Musiktheater. Die Standards sind hoch, wir müssen Qualität abliefern. Das hat nicht mehr viel mit dem klassischen Sommertheater-Vorurteil zu tun.

Lukas Johne

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Es gibt eine große Bandbreite dessen, was im Sommer angeboten wird: von klassischen Nestroy-Spielen über Avantgarde-Musikfestivals bis hin zu experimentellem Theater. Ich finde toll, was alles nebeneinander Platz hat.

Wie wichtig ist die Location?

Stanek

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Wir sitzen dort, wo sich Fuchs und Hase vermeintlich gute Nacht sagen. Als ich 2007 das Schrammel.Klang.Festival in Litschau am Herrensee gegründet habe, meinten alle: Ihr seid ja wahnsinnig! Open Air im Waldviertel, das gehe sicher schief. Der Klimawandel hat uns geholfen. Mittlerweile haben wir aber auch ein Theatergebäude, das wir flexibel nutzen können. Litschau ist ein toller Rückzugsort. Künstlerinnen und Künstler lieben diese Abgeschiedenheit: Dass man am Abend nicht nach Hause fahren muss und wieder in seiner gewohnten Umgebung ist. Dadurch kann man intensiver, konzentrierter proben. Und am Abend springt man in den See.

Steiner

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Diese Unbeschwertheit und Losgelöstheit gibt es im normalen Kunstbetrieb gar nicht mehr. Da haben wir als Festivals eindeutig einen Startvorteil. Die Künstlerinnen und Künstler schätzen sehr, dass man Zeit hat, gemeinsam zu musizieren. Und in einem geschützten Rahmen Dinge ausprobieren kann, die an etablierten Theatern gar nicht möglich wären. Die Arbeit bei uns hat etwas sehr Familiäres. Deshalb haben wir auch viele, die immer wieder gern kommen. Mit Geld können wir die Leute nicht gewinnen, dafür aber mit einer besonderen Atmosphäre.

Johne

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Bei uns gibt es gar keine Bühne. Ich nenne es das Fitzcarraldo-Prinzip, das Opernhaus im Dschungel. Ich sehe ständig Orte, von denen ich denke, dass man gar nicht viel mehr braucht als einen Text und Schauspieler. In Puchberg gibt es eine alte Burgruine, vier Mauern und ein Turm stehen noch, wenn man da Shakespeare oder Aischylos spielt, ist man sofort in einer anderen Welt.

Sie sind dort aufgewachsen?

Johne

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Genau, die Burg ist direkt neben der Volksschule. Ich hatte schon immer im Hinterkopf, dass man sie bespielen müsste. Puchberg ist ein alter Eisenbahnerort und war immer ein wenig die Indie-Alternative zu Sommerfrische-Klassikern wie Reichenau. Die Sommerfrische hat eine lange Tradition, bis in die späten 1980er-Jahre kamen die Gäste von Mai bis Oktober, mein Vater war damals Kurarzt. Ab den 1990er-Jahren war diese Art von Urlaub dann nicht mehr angesagt. Aber durch den Klimawandel kommt sie wieder, diese Liebe zur Semmering-Region, die ja auch von der Verkehrsanbindung bestens erschlossen ist.

Unsere Sängerinnen und Sänger halten erstaunlich viel aus.

Profitiert ihr vom aktuellen Trend, dass junge Leute gern wandern gehen und die Natur mehr schätzen?

Stanek

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Vieles hat natürlich mit Corona zu tun. Andererseits muss man aber auch sagen: Vielleicht haben wir diesen Trend ja auch ein wenig mit ausgelöst. Wenn wir Kunst und Kultur aufs Land bringen, wird eine Region ein Stück lebenswerter. Viele haben gemerkt, da spielt sich etwas ab, da kann man Kultur auf hohem Niveau erleben und hat zugleich eine fantastische Landschaft. Der Tourismus profitiert stark von uns. Einige haben sich ein Wochenendhaus in Litschau gekauft.

Johne

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Es gibt so viel zu entdecken auf dem Land. Neben der Ruine gibt es in Puchberg etwa noch einen alten Eiskeller, ein wunderbarer alter Ziegelbau. Heuer spielen wir im Kurpark, das Publikum sitzt im Pavillon und wir nutzen den Park als Kulisse. Wir zeigen immer ein zeitgenössisches Stück und eine Klassikerbearbeitung. Ich sage immer: Wir sind ein Stück Avantgardetheater, das es aufs Land geweht hat.

Steiner

:

Wir haben in Retz ein grenzüberschreitendes Festival mit dem tschechischen Znojmo. Das war früher ein großer Kulturraum. Es gibt mystische Orte wie alte Kultplätze, aber auch viele Winzer mit ihren Höfen. Wir sind laufend auf der Suche nach neuen Spielorten.

Stanek

:

Es ist interessant, dass wir alle drei neben der Bühne noch andere Spielorte suchen. Wir gehen ganz intensiv auf die Leute aus der Region zu, die im Grunde sehr offen sind für Kunst und Kultur. Wahrscheinlich ist das mit der Zeit gewachsen, sie haben gesehen, dass wir ganz normale Menschen sind. Wir spielen mittlerweile in den Küchen, den Wohnzimmern, in Industriegebäuden, beim Tischler, in der Feuerwehr oder bei der Tankstelle. Unsere Küchenlesungen, bei denen auch gekocht wird, sind sofort ausgebucht.

Wie ist eigentlich das Verhältnis von Publikum aus Wien zu dem aus der Region?

Steiner

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Recht ausgeglichen. Wir haben die sogenannten Kirchenopern, da kommen 70 Prozent von weiter entfernt. Bei der Literatur und den Konzerten ist es umgekehrt, die sind zum Teil maßgeschneidert für die Einheimischen. Ich finde diese Mischung wichtig, und auch, Leute in die Region zu bringen. Wir haben ja großartige Winzer, die brauchen ein kunstaffines Publikum, das ein bisschen mehr Geld ausgibt für guten Wein. Dieses servieren wir ihnen quasi auf dem Tablett.

Johne

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Wir können uns da gar nicht vergleichen, weil wir viel kleiner sind mit unseren 50 Plätzen. Wir haben das Festival erst 2019 aus dem Boden gestampft. Und sind noch am Experimentieren, aber ein Grundsatz steht fest: Wir schenken den Leuten nichts. Im ersten Jahr hatten wir eine Shakes­peare-Performance mit Originaltexten auf Englisch, dazu gab es Subtexte auf Deutsch, in denen es um Themen wie Antisemitismus, Rassismus oder Inzest ging. Da gab es einen Bauern, der nach der Vorstellung meinte: „Ich hab’ zwar nicht alles verstanden, aber ich habe es irgendwie gespürt.“ Letztes Jahr zeigten wir ein Stück über Sappho, darin wurde neben Grillparzer ausschließlich mit Texten von antiken und mittelalterlichen Autorinnen gearbeitet. Ein lesbisches Paar aus Baden ist extra angereist. Ich finde super, wenn queeres Publikum neben Landwirtinnen und Landwirten sitzt und man sich dann über Shakespeare unterhält.

Steiner

:

Du darfst dein Publikum nicht langweilen, musst es emotional erwischen. Es ist eine große Herausforderung, die Leute vor Ort abzuholen, aber auch das Publikum aus Wien, das schon viel gesehen hat, nicht zu unterfordern. Formate zu erfinden, von denen jeder etwas hat.

Stanek

:

Ich erinnere mich gut, als wir vor gut 20 Jahren auf einer Wiese geprobt haben. Jeden Morgen und jeden Abend ist der Bauer mit dem Traktor vorbeigefahren. Eines Tages ist er stehen geblieben. Er wollte uns sagen, dass er beeindruckt ist: „Das ist ja richtige Arbeit, was ihr da macht.“ Ich wollte ihn zur Premiere einladen, aber er bestand darauf zu bezahlen. Es gibt einen großen Respekt der Kunst gegenüber.

Johne

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Das Publikum ist völlig unzynisch. Es interessiert sich für den Inhalt, ist offen für Diskussionen. Die Leute wollen ernst genommen werden.

Braucht man nicht ziemlich gute Nerven, wenn man ständig von gutem Wetter abhängig ist?

Steiner

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Wir sind schon sehr froh, nicht nur draußen, sondern auch in Kirchen spielen zu können. Das macht feines Musizieren erst möglich. Aber eigentlich machen unsere Sängerinnen und Sänger auch Open Air gern mit. Die halten erstaunlich viel aus. In Retz ist es ja auch selten nebelig, eher zu heiß. Mit alten Instrumenten ist es viel schwieriger. Ein Tropfen auf eine historische Geige – und schon ist sie kaputt.

Stanek

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Wir hatten bisher fast immer Glück. Wir haben aber auch Planen parat. Und das Publikum hilft gerne mit, diese schnell aufzubauen.

Wie würdet ihr die Sommertheater-Landschaft in Niederösterreich beschreiben?

Johne

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Wenn ich mit Nestroy gekommen wäre, hätte ich keine Chance gehabt. Ich fand spannend, dass außergewöhnliche Projekte wie unseres nicht nur möglich sind, sondern sogar aktiv gefördert werden.

Stanek

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Anfangs wurde Niederösterreich ja immer als das Land des Sommertheaters belächelt. Mittlerweile ziehen die anderen nach, weil sie erkennen, wie wichtig Kunst für die Region und den Tourismus ist. Es gibt eine große Diversität an Festivals, die Subventionsgeber haben Mut. Auch zu scheitern, was ja eine Voraussetzung von Kunst sein sollte. Das Publikum spürt, wenn man etwas riskiert.

Steiner

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Man ist mit der Kulturpolitik auf Augenhöhe. Der Umgang ist von Sympathie, Wertschätzung und Respekt geprägt. ● ○