Katrin Vohland
Rita Newman
Katrin Vohland

Vohland

"Menschen wollen sich stärker beteiligen"


Katrin Vohland, die neue Direktorin des Wiener Naturhistorischen Museums und eine Hauptreferentin am 31. Österreichischen Museumstag in Krems, sprach mit morgen über die Wirksamkeit konkreter Zahlen, die Mühsal von Zoom-Meetings und Citizen Science – die Beteiligung von Laien an wissenschaftlicher Forschung, jenes Gebiet, auf dem sie federführend ist.

morgen: In den vergangenen Monaten, seit die Corona-Krise uns in Atem hält, traten vermehrt Expertinnen und Experten aus den Naturwissenschaften an die Öffentlichkeit. Wurde nun sichtbarer, welche Bedeutung diese für die Gesellschaft haben?

Katrin Vohland

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Die Forschung insgesamt wurde sichtbarer, in erster Linie die Naturwissenschaften – schließlich handelt es sich bei SARS-CoV-2 um ein Virus, das vom Tier auf den Menschen übersprang. Aber es kamen auch die Epidemiologie, die Bildungs-, die Sozialwissenschaften und viele andere Disziplinen zu Wort, um über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu sprechen. Auch die Prozesse, die hinter der Forschung stecken, wurden sichtbarer. Man bekam mit, dass sich Erkenntnisse und Empfehlungen weiterentwickeln und konnte hautnah verfolgen, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Man sah, wie mühsam der Fortschritt war, aber auch, wie viele Forscherinnen weltweit daran beteiligt waren und wie intensiv der Austausch war.

Seit der Corona-Krise hat sich das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft gewandelt; die Wissenschaft wird offenbar ernster genommen. Wird sich das beim Klimawandel fortsetzen? Oder ist das ein zu frommer Wunsch?

Vohland

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Der Dialog zwischen Klimaforschung und Politik ist deutlich älter als die Corona-Krise. Der Politik ist bekannt, welche Folgen der Einsatz fossiler Brennstoffe hat. Aber der Klimawandel hat eine andere Zeitdimension als Corona. Daher ist dieser schwer zu greifen. Die Menschen im globalen Süden sind viel stärker von den Auswirkungen betroffen, auch wenn wir sie im alpinen Bereich ebenfalls spüren. Zudem ist das Klimasystem unglaublich komplex. Verbreitungswege eines Virus einzudämmen und Medikamente oder Impfungen dagegen zu entwickeln: Das ist einfacher, als den Klimawandel aufzuhalten. Da geht es um weitaus längere Zeiträume; außerdem agieren einzelne Länder völlig unterschiedlich. Der Physiker und Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gründete, setzte in einem schlauen Schachzug das Zwei-Grad-Ziel in die Welt. Dieses lässt sich mit sehr konkreten CO2-Verbrauchswerten verbinden.

Ich schaue mir lieber reale Objekte an.

Braucht es mehr konkrete Zahlen, um klimapolitische Maßnahmen zu forcieren?

Vohland

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Offenbar. Damit kann die Politik leichter umgehen als mit qualitativen Angaben. Aber es braucht auch das Empfinden, dass man selbst betroffen ist. 

Sie traten Ihr Amt am 1. Juni an, als die meisten Museen nach dem Lockdown gerade wieder aufsperrten. Wie nahmen Sie deren Aktivitäten in der Schließzeit wahr, vor allem in Hinblick auf digitale Strategien? Haben Sie für das Naturhistorische Museum etwas daraus gelernt?

Vohland

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Das Naturhistorische Museum stellte jeden Tag Social-Media- und Blogbeiträge online. Videos wurden mit der Wissenschaftsvermittlung im Haus entwickelt. Da gab es teilweise experimentelle Angebote – was man sonst in Führungen durch das Haus erzählt hat, verlegte man nun nach draußen oder in die vier Wände des Publikums, unter #nhmwienfromhome. Der Lockdown machte deutlich, dass man stärker in die digitale Infrastruktur investieren und anders mit Homeoffice umgehen muss. Wir hatten Zoom-Meetings, die machen mir nicht wirklich Spaß, da fehlt mir die Kreativität. Ich sah auch virtuelle Ausstellungen von anderen Museen an, da gab es teilweise spannende Sachen. Doch ich schaue mir lieber reale Objekte an.

Da geht es vielen ähnlich. Wird die Digitalisierung vielleicht überschätzt?

Vohland

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So pauschal kann man das nicht sagen. Das Feld ist ja weit. Wenn ich über Digitalisierung im Kontext der Sammlung spreche, habe ich ja auch die wissenschaftliche Zielgruppe im Blick. Die Sammlungen hier sind von internationaler Bedeutung. Sie zu digitalisieren bedeutet, überhaupt erst mal zu wissen, was vorhanden ist. Darüber hinaus werden Objekte in 3-D eingescannt und Forschungsergebnisse digitalisiert. Das ist für den internationalen Austausch relevant. Das kann dann weitergehen. Ich bin eine große Anhängerin von Open Access: Forschungen, die aus Steuern finanziert sind, sollen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen – und das global: Unsere Publikationen sollen auch Interessierte beispielsweise in Lateinamerika oder Afrika lesen können. Open Science heißt darüber hinaus, dass nicht nur Endergebnisse, sondern auch Forschungsprozesse offener gestaltet werden. Wobei Vorsicht angebracht ist: Wer etwa gerade erst ein Doktorat macht, muss nicht sofort alles publizieren. Es gibt auch andere Dinge, die nicht unbedingt in der Öffentlichkeit sein sollten: zum Beispiel die Information, wo genau sich der letzte geschützte Ort einer Orchidee befindet. Darüber hinaus müssen wir uns über Lizenzen Gedanken machen: Wenn wir ein schönes Objekt oder Bild anbieten, müssen wir die Quelle nennen und definieren, ob es kommerziell genutzt werden darf oder nicht. Wir wollen nicht nur Publikationen online stellen, sondern auch Datensätze. Das kann eine Anerkennung für ehrenamtliche Forscherinnen und Forscher sein, deren Leistung auf diese Weise sichtbar wird.

Sie sprechen damit Citizen Science an, also die Forschung mithilfe von Laien – ein Gebiet, auf dem Sie seit Langem federführend tätig sind. Nun gibt es Citizen Science ja schon lange; eigentlich schon länger als die akademischen Wissenschaften. Die jüngeren technologischen Entwicklungen scheinen ihr aber einen Boom beschert zu haben. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Vohland

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Die technologische Entwicklung spielt sicher eine wichtige Rolle. Digitale Medien helfen enorm bei der Kommunikation, und sie erleichtern die Qualitätskontrolle in vielen Bereichen. Wenn zum Beispiel jemand eine Tier- oder Pflanzenart in eine Datenbank stellt, dann entspinnen sich Diskussionen: Handelt es sich tatsächlich um die angegebene Spezies? Lebt sie wirklich an diesem Ort? Oder könnte sie eingewandert sein? Am Smartphone gibt es Apps, um Vogelstimmen zu hören, Sterne zu bestimmen oder Skripten zu digitalisieren – all das läuft auch unter dem Begriff Crowdsourcing. Die Technologie hat viel zum verstärkten Interesse an Citizen Science beigetragen, ist aber nur ein Grund dafür. Was die Entwicklung ebenfalls befördert, ist, dass Menschen sich stärker an der Wissenschaft beteiligen wollen. 

Welche Bedeutung hat das Feld bisher im Naturhistorischen Museum? 

Vohland

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Es gibt eine kleine Gruppe an Personen, die schon vor mehreren Jahren eine Citizen-Science-Strategie für das Haus geschrieben haben. Mit dem Deck 50 eröffnen wir im November einen Bereich, wo wir die Betreuung Interessierter intensivieren wollen. Das ist mit viel Kommunikationsleistung verbunden. 

Mancherorts ist zu lesen, professionelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden auf Augenhöhe mit Citizen Scientists arbeiten. Kann das wirklich funktionieren?

Vohland

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Es kann nicht überall funktionieren. Auf der einen Seite gibt es Expertinnen und Experten, zum Beispiel in der Taxonomie, deren Leistungen den von angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um nichts nachstehen. Aber viele Laien fordern das auch gar nicht ein, sondern wollen in ihrer Freizeit etwas Schönes machen, spannende Menschen treffen und freuen sich, wenn sie zur Forschung beitragen können. Natürlich gibt es bei der wissenschaftlichen Expertise ein Gefälle, vor allem, was die Zugänglichkeit betrifft – zu Literatur und finanziellen Ressourcen. Das wird manchmal unterschlagen. Theoretisch können sich dennoch alle beteiligen, wobei das zu relativieren ist: Zumeist handelt es sich um Menschen mit akademischem Hintergrund, die genügend Zeit für ehrenamtliche Forschung haben. Mit dem Deck 50 möchte ich auch den Menschen Zugang zu Forschung und Wissenschaft ermöglichen, die diesen nicht von Haus aus mitbringen. Da muss man andere Angebote machen und stärker auf Menschen zugehen – auch zum Beispiel über Kindergärten, Schulen und Horte. 

Welche konkreten Pläne haben Sie für das Deck 50?

Vohland

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Wir wollen Forschungsprojekte öffentlich diskutieren; dafür wird es feste Gruppen geben, die wir betreuen – vor allem Schulen. Neben den Laboren, die diese nützen können, gibt es ein Science-Theater sowie einen Bereich mit offeneren Angeboten, die stark im digitalen Raum verankert sind. Da kann das Publikum virtuell Dinos füttern – wie genau das geht, darauf bin ich schon gespannt. Und über den Wolf debattieren: Wie geht man damit um, dass dessen natürliches Vorkommen in unseren Ländern einerseits wünschenswert ist, es andererseits deshalb zu Konflikten kommt, mit der Bevölkerung, mit Schäfern? Die Statements des Publikums werden dann zurückgespielt zur Wolfsforschung.

Citizen Science muss auch organisiert und begleitet werden. Müssen wissenschaftliche Institutionen und ihr Personal umdenken? Wie werden Ressourcen dafür frei?

Vohland

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Man muss unterschiedliche Ebenen angehen. Im Naturhistorischen Museum sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Forschung, im Ausstellungsgeschehen und in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Dieser Dreiklang hier ist etwas Außergewöhnliches. Wir können die Wertschätzung der Citizen Science erhöhen, indem wir diese im politischen Evaluierungsprozess stärken. Dennoch: Die Betreuung von Datenbanken, die Entwicklung von Apps und Infrastruktur müssen wir finanzieren – da werden wir sicher auch Drittmittel einwerben müssen. 

Das Publikum kann virtuell Dinos füttern.

Sie sind erst seit Kurzem in Österreich. Sind Ihnen hier bereits bestimmte Museen aufgefallen, die sich im Bereich der Citizen Science hervorgetan haben? 

Vohland

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Ganz großartig ist die Universität für Bodenkultur. Da gibt es eine Citizen-Science-Plattform, die aus Eigeninitiative aufgebaut wurde und mit der wir in Deutschland eng zusammenarbeiteten. Bemerkenswert war auch das Projekt „Sparkling Science“, finanziert vom Forschungsministerium, da konnten sich Schulen beteiligen. Das läuft zwar aktuell nicht mehr, aber da war Österreich Vorreiter. Mit einzelnen Museen habe ich mich noch nicht im Detail befasst. Aber gerade kleine Museen basieren sehr stark auf ehrenamtlicher Arbeit. Egal, wie groß oder klein ein Museum ist: Diejenigen, die es betreiben, müssen sich wissenschaftlich mit der Präsentation von Objekten oder der Recherche von Quellen beschäftigen. Das würde man vielleicht nicht als Citizen Science bezeichnen, aber eigentlich ist es das. In diesem Punkt hat Österreich ein reiches Angebot. ● ○