Sebastian Fasthuber
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Sebastian Fasthuber

Netzkunst

Wie die Kunst lernte, das Netz zu lieben


Kultur verursacht viele Flugmeilen. Es geht auch klimaschonender, wie die Corona-Krise zeigt. Zum Glück haben wir das Internet.

Wir wissen noch nicht, wann es so weit sein wird, aber wir werden in absehbarer Zukunft wieder reisen. Wenn die Corona-Pandemie ausgestanden ist, werden wir es gar nicht erwarten können, in den Flieger zu steigen und irgendwo weit weg von zu Hause Urlaub zu machen. Oder ein Filmfestival zu besuchen. Eine Kunstmesse. Und dieses eine Museum, das schon seit Ewigkeiten auf unserer Liste steht. Es wird vermutlich nicht sehr lange dauern, und vieles wird wieder seinen gewohnten Lauf nehmen. Inklusive Auswirkungen auf den ökologischen Fußabdruck.

Aber es muss nicht so sein. Unsere Erfahrungen während der Selbstisolation zeigten, dass es auch anders gehen könnte. Krisenzeiten machen erfinderisch. Im ersten Moment, als alle Kulturveranstaltungen abgesagt wurden, war von betroffenen Institutionen und Kunstschaffenden unisono ein Stöhnen über ausbleibende Einnahmen zu hören. Viele traf Corona hart, und es wird lange dauern, bis es zu einer Erholung kommt.

Es hat sich allerdings auch erwiesen, dass einiges, wofür wir bislang weite Wege in Kauf nahmen, von der häuslichen Couch aus ebenfalls gut funktioniert. Stichwort Home­office: Meetings sind zwar im Kaffeehaus fraglos angenehmer, aber wir wissen jetzt, dass man sich auch via Konferenzschaltung mit dem Becher zuprosten kann – von Laptopkamera zu Laptopkamera.

Freilich wird sich nicht alles etablieren, was in den vergangenen Monaten an Online-Formaten versucht wurde. Das gilt besonders für die Musik, wo Streaming-Lösungen und teils durchaus charmante „Hausmusik“-Abende aus Wohnzimmern nur ein unzureichender Ersatz für das echte Live-Konzerterlebnis sind. Vielleicht werden wir nach wochenlangem Dauer-Streaming öfter ins Kino gehen.

15 Minuten Ruhm

Und doch: Kunst und Netz passen gut zusammen. Einige Museen reagierten schnell auf die Ausnahmesituation und stellten auf Online-Modus um. Sie laden dazu ein, ihre aktuellen Ausstellungen virtuell zu besichtigen und bieten über ihre Websites oder via Facebook Touren und Podcasts an. Häuser, die sich schon länger mit digitalen Formen von Kulturvermittlung beschäftigen und entsprechende Infrastrukturen aufgebaut haben, sind dabei im Vorteil.

Gute Improvisation ist auch eine Möglichkeit. Eines der ältesten Museen der Welt erweist sich in der Krise als äußerst zeitgemäß und setzt auf Social Media: Unter dem Hashtag #uffizidecameron starteten die Uffizien in Florenz eine Insta­gram-Offensive. Der Titel bezieht sich auf Giovanni Boccaccios Novellensammlung aus dem 14. Jahrhundert, in der eine Gruppe junger Florentiner vor der Pest in ein Landhaus flieht. Dort vertreibt man sich die Zeit, indem man sich jeden Tag eine Geschichte erzählt. Analog dazu wird auf Instagram täglich ein neues Werk aus dem Museum veröffentlicht, versehen mit einem Kommentar in italienischer und englischer Sprache. Diese Art von Besichtigung unterscheidet sich freilich fundamental von einem Museumsrundgang. Wo man sich da auf einzelne Kunstwerke konzentriert und viele andere im Vorbeigehen gar nicht wahrnimmt, bekommen nun auch übersehene Werke ihre „15 Minuten Ruhm“: Angesichts einer Büste, die den griechischen Dichter Homer zeigt, fragte etwa ein Betrachter verwundert, ob diese tatsächlich in den Uffizien zu sehen sei. Offenbar ist er bei seinen bisherigen Besuchen immer daran vorbeigelaufen.

Home-Entertainment

Im Wiener Belvedere findet jeweils um 15 Uhr per Livestream eine Mini-Führung zu einem Werk statt. Auch die Häuser der Kunstmeile Krems setzen auf Home-Entertainment. In der Landesgalerie Niederösterreich hätte Ende März die Schau „Schiele – Rainer – Kokoschka. Der Welt (m)eine Ordnung geben“ mit Werken aus der Sammlung von Ernst Ploil eröffnet werden sollen. Dieser erläutert nun stattdessen seine Kunstschätze und Sammelleidenschaft in drei Video-Interviews.

Der Kunstmarkt ist wegen der Corona-Krise ebenfalls ins Netz ausgewichen. Die Kunstmesse Art Basel Hongkong, eine Tochter der Schweizer Messe, fand heuer nur im Internet statt. Immerhin 90 Prozent der Galerien, die vor Ort teilnehmen wollten, entschieden sich dafür, online präsent zu sein. Jede von ihnen stellte in ihrem Viewing Room zehn Werke aus. Die Umsetzung war nicht aufregend, aber das Geschäft lief überraschend gut. Der österreichische Galerist Thaddaeus Ropac verkaufte bereits eine Stunde nach der VIP-Eröffnung eine Arbeit von Jules de Balincourt zu einem Preis von 140.000 Dollar. Und es blieb nicht bei dem einen Abschluss. Die virtuelle Besichtigung wird die reale Betrachtung eines Kunstwerkes vor dem Kauf zwar nie ersetzen. Aber sie kann eine interessante Alternative für Sammlerinnen und Sammler sein, die auf den Klimaschutz achten und daher nicht mehr von Messe zu Messe reisen wollen. Online-Messen ziehen zum Teil auch eine andere Klientel an. Rund 40 Prozent der Verkaufsanfragen kamen von neuen Kundinnen und Kunden, berichteten Galerien.

Das Internet ist nicht zuletzt für all jene eine wunderbare Erfindung, die den realen Kontakt zur Außenwelt lieber minimal halten. Im Kulturbetrieb spielt Netzwerken zwar eine extrem wichtige Rolle. Umso faszinierender sind jedoch die Ausnahmen, die sich dem System entziehen: Einsiedler und öffentlichkeitsscheue Künstlerinnen, die nirgendwo auftreten, sondern nur über ihre Werke mit der Außenwelt kommunizieren – oder eben übers Internet. Eine Pionierin war hierzulande Elfriede Jelinek. Auf ihrer Website publiziert sie seit 1999 eine unglaubliche Fülle an Texten – über Österreich, Kunst, Musik –, aber auch umfangreiche Erzählwerke. 2007 und 2008 veröffentlichte Jelinek im Netz den Roman „Neid“. In gedruckter Form würde es sich um ein 900-Seiten-Buch handeln, aber auf Wunsch der Literaturnobelpreisträgerin blieb es bis heute bei der kostenlos abrufbaren Online-Fassung: das Internet als Ort, an dem Kunstschaffende ihr Werk nach ihren eigenen Spielregeln zugänglich machen können.

Das unsichere Gefühl derzeit hat viele Autorinnen und Autoren bewogen, ihre Gedanken und Empfindungen zur Krise im Netz zu veröffentlichen. Besonders in den ersten Wochen mit strengeren Ausgangsbeschränkungen boomten diese Formate. Das Literaturhaus Graz lud alle, die im Frühjahr 2020 dort gelesen hätten, zum Führen eines Tagebuchs ein. Die entstandenen Texte sind Zeitdokumente. Sie werden später dabei helfen, uns an das Leben im Ausnahmezustand zu erinnern.

Wie sehr die neuen Kunstformate im Internet dazu beitragen können, das Klima zu schonen: Das wird sich freilich erst zeigen müssen. ● ○