Ronald Lintner
Monika Saulich
Ronald Lintner

Ronald Lintner

"Klimaschutz ist nicht verhandelbar"


Ronald Lintner hätte längst seine Ausstellung „Klima & Ich“ im St. Pöltner Haus für Natur eröffnen sollen, die erste von ihm als wissenschaftlichem Leiter verantwortete. Wie fast alles in diesen Monaten wurde das Projekt verschoben. Mit morgen sprach er dennoch über Publikumsbeteiligung im Museum, bedrohte Tierarten im unmittelbaren Umfeld seines Museums und den Wert von naturkundlichen Sammlungen.

Auf einer Terrasse im St. Pöltner Regierungsviertel stehen seit geraumer Zeit Hanfpalmen, fast wie am Mittelmeer. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im ausklingenden Winter hätten die subtropischen Pflanzen vor 30 Jahren hier traurig ihre Wedel hängen lassen. Morgenfrost mit Eis und Schnee wären ihnen tief in die Wurzeln gekrochen, im Frühjahr reif für den Kompost. 2020 thronen die fünf Palmen nun auf der Terrasse. Die Durchschnittstemperaturen im Februar sind in den letzten drei Jahrzehnten um rund fünf Grad gestiegen; die milden Winter können dem Gewächs nicht viel anhaben. Wie Mahnmale im Blumentopf wiegen die Palmen ihre Zweige und sie erinnern uns: an den Klimawandel.

Die Terrasse, auf der jetzt Hanfpalmen stehen, gehört zum Museum Niederösterreich, genauer: zum Haus für Natur. Während dieser Text entsteht, ist es geschlossen. In der Ausstellung „Klima & Ich“ stehen ein Monat nach dem geplanten Eröffnungsdatum noch Leitern. Die Website verkündet in weißen Lettern auf tintenblauem Untergrund, dass die Ausstellung verschoben ist. Statt wie geplant im März läuft sie nun ab 1. Juli.

Es ist die erste Schau, die Ronald Lintner als wissenschaftlicher Leiter des Hauses verantwortet. Und auch wenn die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung noch warten müssen: Über ihr Thema kann Lintner, der auch den Fachbereich Naturkunde in der Sammlung des Landes Niederösterreich leitet, trotz verschlossener Türen einiges erzählen.

morgen: Herr Lintner, Sie sind seit Februar als wissenschaftlicher Leiter im Haus für Natur in St. Pölten tätig. Die Eröffnung der ersten Sonderausstellung in Ihrer neuen Funktion musste verschoben werden. Sie hätten sich Ihren Start in den Job wohl anders vorgestellt?

Ronald Lintner

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Gewünscht hätte ich ihn mir anders. Aber ich kann auch von zu Hause aus ganz gut arbeiten und Dinge, die wir in der Ausstellung zeigen wollen, direkt umsetzen. Diese Zeit ist eine gute Gelegenheit, das eigene Konsumverhalten zu überdenken.

Denkanstöße wie diese würden Sie den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung auch gerne mitgeben?

Lintner

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Ja. Auch wenn die Corona-Krise eindringlicher vorführt, wie eng in der Ökologie alles zusammenhängt, als es eine Ausstellung vermutlich könnte. Sie zeigt uns: Menschen sind dazu bereit, Einschränkungen hinzunehmen und Verhaltensweisen zu ändern, wenn kein anderer Ausweg bleibt. Wichtig wäre es, hier langfristig ein Gleichgewicht entstehen zu lassen zwischen Mensch, Natur und Ökosystem. Das technische Wissen und die wissenschaftliche Expertise, die dieses Gleichgewicht zustande bringen könnten, haben wir. Das Bewusstsein fehlt an manchen Enden noch, und hier ist es wichtig, klarzustellen: Klimaschutz ist nicht verhandelbar.

Extreme Wetterphänomene hat es immer gegeben. Kälteeinbrüche, Hitzeperioden, zu viel Regen und zu wenig, Hagelschäden oder Stürme. Das Klima beeinflusste nie nur die meteorologische, sondern immer auch die gesellschaftspolitische Wetterlage, wie Augenzeugenberichte belegen. Im Paris des Jahres 1788 etwa ließen Dürre, Hagel, Starkregen und ein viel zu kalter Winter nach einem viel zu heißen Sommer die Preise für Weizen um über zwei Drittel stiegen. Die Franzosen hungerten, soziale Spannungen spitzten sich zu und endeten im Sturm auf die Bastille, in der Hinrichtung des Königspaares und damit in der Französischen Revolution.

„Menschen sind bereit, Einschränkungen hinzunehmen.“

Welchen Beitrag kann ein Museum wie das Haus für Natur dazu leisten, das Bewusstsein für den Klimawandel und dessen Folgen zu fördern?

Lintner

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Unser Beitrag besteht darin, das Thema sachlich fundiert aufzugreifen, Fakten und geschichtliche Hintergründe zu vermitteln und interaktiv begreifbar zu machen, was der Klimawandel für jeden Einzelnen von uns bedeutet. Das Herzstück der Ausstellung „Klima & Ich“ ist ein CO2-Labor, in dem anhand von sechs Stationen veranschaulicht wird, welche Auswirkungen unsere täglichen Verhaltensmuster und Entscheidungen haben: welchen ökologischen Fußabdruck wir mit Flugreisen hinterlassen zum Beispiel.

In Österreich ist der Verkehr für ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich. 100 Kilometer Bahnfahren verursachen ein Kilogramm CO2, 100 Kilometer Autofahren hingegen 22. Wie positiv sich die stark eingeschränkte Mobilität der letzten Monate auf das Klima auswirkt, zeigt eine Studie des norwegischen Forschungsinstitutes Rystad Energy: Die CO2-Emissionen könnten 2020 um 2,5 Milliarden Tonnen sinken. Ein Rückgang, der hauptsächlich auf die starke Reduktion des Flugverkehrs zurückzuführen sei, so das Institut. Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen ist auf ein historisches Tief gefallen.

Die Ausstellung geht sehr konkret auf die Situation in Niederösterreich ein. Im CO2-Labor, das Sie eben erwähnt haben, zeigt ein Liveticker, wie viel erneuerbare Energie im gesamten Bundesland aus Wasser, Biomasse, Wind und Sonne generiert wird. Wie spürt das Bundesland den Klimawandel?

Lintner

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Die Auswirkungen sind in vielen Bereichen bemerkbar, aber wenn wir auf die Natur eingehen: Viele Tiere und Pflanzen, die vor einigen Jahren nicht oder nur in Ausnahmefällen in Österreich heimisch waren, haben sich mittlerweile hier angesiedelt. Der Admiral zum Beispiel, ein klassischer Wanderfalter, ist üblicherweise jedes Jahr im Mai aus dem Mittelmeerraum neu zu uns eingewandert. Mittlerweile überwintern die Falter bei uns. Andererseits bedroht der Temperaturanstieg viele unserer Tierarten massiv – Alpenschneehuhn oder Schneehase zum Beispiel, aber auch Fische wie die Bachforelle oder die Europäische Äsche. Wechselwarme Lebewesen, die besonders sensibel auf Temperaturveränderungen reagieren, weil unter anderem ihre Fortpflanzung und das Wachstum von Temperaturen beeinflusst werden. Verrücken sich die Regionen um 70 Höhenmeter, bedeutet das für diese Fische eine Verschiebung ihres Lebensraums um 30 Kilometer flussaufwärts.

Das Haus für Natur im Museum Niederösterreich ist der einzige Zoo Österreichs, der ausschließlich heimische Tierarten beherbergt. Fische, wie die oben erwähnten, sind vor Ort in Aquarien zu sehen. Der Bereich Naturkunde der Landessammlungen umfasst rund 600.000 Objekte. Im Depot des Museums, tief unten im St. Pöltner Regierungsviertel, finden sich bei konstanten sieben bis neun Grad Celsius Zigtausende Schmetterlinge und Käfer sowie Pflanzenbelege. Viele von ihnen dokumentieren als Zeitzeugen den Klimawandel.

Großer Verlierer des Klimawandels ist die Biodiversität. Klimasensible Arten, die sich an die neuen Temperaturen nicht anpassen können, werden verschwinden. Welche Funktion erfüllt in diesem Zusammenhang eine naturkundliche Sammlung wie jene des Landes Niederösterreich?

Lintner

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Die Sammlung ist ein wertvolles Archiv der Artenvielfalt. Im Rahmen unserer Sonderausstellungen ist es uns wichtig, die Vielfältigkeit dieser Sammlung zu zeigen, und was die aktuelle Ausstellung betrifft: Da ist es uns ein besonderes Anliegen, nicht nur unseren Besucherinnen und Besuchern den Weg zu einem nachhaltigen Lebensstil zu erleichtern, sondern auch, die Bemühungen des Museums kritisch zu hinterfragen.

Welche Museumsbereiche sollen nach diesem Prozess des Hinterfragens neu organisiert werden?

Lintner

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Unter anderem der Museumsgarten. Wir wollen nur noch Regionales pflanzen, mit geringerem Wasserverbrauch, und das in torffreier Erde ohne chemischen Dünger. Kleine Schritte im eigenen Wirkungsbereich, die auch positive Effekte erzielen. Wir haben die Möglichkeit, Dinge zu verändern – und nur einen Planeten. ● ○