Heidsiek

„Es herrscht Kleinstaaterei“


Birgit Heidsiek ist Expertin für Green Filming. Mit morgen sprach sie über das neuerwachte Interesse an Nachhaltigkeit, die Schwierigkeit, CO2-Werte zu berechnen, und das Outfit von Joaquin Phoenix.

Dank Initiativen wie Fridays for Future wächst das Bewusstsein für die Bedrohung durch den Klimawandel. Die deutsche Filmjournalistin Birgit Heidsiek vermittelt der Filmbranche seit acht Jahren ökologische Nachhaltigkeit. Doch nicht alle Produkte und Lösungsmodelle, die mit grüner Etikettierung auf den Markt kommen, halten ihre Versprechen ein, beobachtet Heidsiek. Die gefragte Expertin hätte Ende März auf einer Veranstaltung bei der Diagonale in Graz sprechen sollen. Das Filmfestival musste allerdings wegen des Coronavirus abgesagt werden. Daher unterhielt sich morgen via Skype mit der Hamburgerin.

morgen: Sie haben sich schon früher als die meisten für nachhaltiges Filmemachen interessiert. Woher kommt das?

Birgit Heidsiek

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Ich war bereits als Jugendliche Vegetarierin und habe mit Körnern aus dem Bioladen mein eigenes Brot gebacken. Als ich in die Filmbranche einstieg, war das allerdings weder cool noch sexy, als Vegetarierin führte ich ein Schattendasein. Bei Empfängen auf Filmfestivals konnte ich am Buffet oft nur die Deko essen, die aus Salatblättern oder Radieschen bestand. Damals war alles noch extrem fleischlastig.

Das war in den 1990er-Jahren?

Ja, allerdings in Deutschland. Als ich Anfang der 90er nach New York zog, war die Situation dort schon etwas anders. Dabei ist die Selbstwahrnehmung der Deutschen, dass wir dank Mülltrennung und Ökostrom immer schon die grünen Weltmeister seien. Doch im Bereich grüner Filmproduktion war man in Amerika und Frankreich schon viel weiter. Die Producers Guild of America entwickelte schon 2008 einen Best-Practice-Guide mit nachhaltigen Maßnahmen für Filmproduktionen. Als Hamburg 2011 zur Europäischen Umwelthauptstadt ernannt wurde, überlegte die Filmförderung, was sie beitragen könne. Daraus ist der „Grüne Drehpass“ entstanden, ein Siegel, das für nachhaltige Produktion vergeben wird.

Was können solche nachhaltigen Maßnahmen sein?

Bei Drehs werden zur Stromerzeugung oft Dieselgeneratoren eingesetzt, die CO2, Feinstaub und Stickoxide emittieren. Inzwischen wurden alternative Lösungen wie beispielsweise Hybridbatterien entwickelt, die aus Festnetzstrom, am besten Ökostrom, gespeist werden können. Der zweite große Faktor ist der Transport, weil viel Equipment von A nach B bewegt werden muss; und Filmteams sind groß und reisen viel. Schauspielerinnen und Schauspieler fliegen zum Vorsprechen, zur Kostümprobe und am Wochenende nach Hause, und das Reisen setzt sich bis in die Postproduktion fort: Wenn ein Film geschnitten oder Effekte produziert werden, entscheiden sich Produzentinnen und Produzenten oft für die günstigste Lösung – wenn sie 3.000 Euro sparen können, fliegen sie zum Schnitt nach Polen. Das rechnet sich finanziell, aber ökologisch ist es eine Katas­trophe. Hier ist viel Spielraum, um Emissionen einzusparen.

Lassen sich auch in anderen Bereichen Maßnahmen umsetzen?

Ja, Kostüme und Ausstattung lassen sich oft wiederverwenden. Catering ist ein stark emotional besetztes Thema, da viele Menschen nicht auf Fleisch verzichten wollen. Die Vermeidung von Einweggeschirr erfordert wiederum organisatorisch aufwändigere Lösungen, etwa einen Geschirrspüler am Set. Auch bei Ausstattung, Deko und Setdesign besteht Nachholbedarf – Materialien werden oft im Baumarkt oder bei Ikea gekauft und nach Drehschluss entsorgt. Es gibt erste Projekte, diese Materialien einzusammeln und zu vermieten oder umsonst an Low-Budget-Produktionen weiterzugeben, aber dafür müssen die einzelnen Requisiten in einer Online-Datenbank erfasst werden, und das ist natürlich ein großer Verwaltungsaufwand. Viele grüne Maßnahmen sparen auch Zeit und Geld, wenn beispielsweise bei einem Dreh alle in Gehweite zum Set untergebracht werden. In anderen Bereichen ist die Infrastruktur noch nicht gut genug: Von Autovermietungen werden noch kaum Transporter mit Elektro- oder Gasantrieb angeboten, und bei stromsparenden Leuchtmitteln wie LED hat es Jahre gedauert, bis die Equipmentverleiher sie ins Sortiment aufgenommen haben, weil die Nachfrage zu gering war. Produzentinnen und Produzenten schauen oft auf jeden Euro und sind nicht bereit, mehr Geld für umweltfreundliche Lösungen auszugeben.

Kann man sie motivieren, indem öffentliche Förderungen von der Einhaltung von Richtlinien abhängig werden?

Die Geldvergabe an bestimmte Auflagen zu knüpfen, ist durchaus eine Möglichkeit. Wenn die Auftragsvergabe bei einem Fernsehsender an die grüne Produktion gekoppelt wäre, hätte sich das Thema schnell erledigt. Aber dieses Bewusstsein zu schaffen, ist mühsam. Die Idee einer nachhaltigen Produktion finden alle interessant, aber es ist ungemein schwierig, sie im alltäglichen Handeln umzusetzen.

Wie betrachten Sie in diesem Zusammenhang die Green-Filming-Initiative der Lower Austrian Film Commission, der LAFC?

Der LAFC ist mit ihrem grünen Engagement in kurzer Zeit ein riesiger Sprung gelungen. Sie gibt den Filmschaffenden mit der digitalen Plattform „Evergreen Prisma“ wichtige Werkzeuge für die grüne Filmproduktion. Neben der Vermittlung von Know-how und Kontakten zu Lieferantinnen und Lieferanten von Produkten und Dienstleistungen für die nachhaltige Filmproduktion spielt die Bildung von Netzwerken auf nationaler und internationaler Ebene eine wichtige Rolle. Die LAFC setzt auf einen intensiven Austausch mit anderen Regionen in ganz Europa, in denen ähnliche Anforderungen an die grüne Produktion gestellt werden, was bei Koproduktionen berücksichtigt werden muss.

Richtlinien wecken oft die Kreativität.

Hat die niederösterreichische Initiative Ihrer Beobachtung nach bereits Wirkung gezeigt?

Dank der Inspiration durch einen LAFC-Workshop setzt eine erste Produktionsfirma bei der Produktion von Shows, Serien und Filmen auf ein umweltfreundliches Konzept: Für die Umsetzung ressourcen- und klimaschonender Maßnahmen bei zwei Drehblöcken der Fernsehkrimi-Reihe „SOKO Kitzbühel“ erhielt die Produktion das Österreichische Umweltzeichen. Zudem wurde bei der Gala des Österreichischen Filmpreises 2020 in Grafenegg erstmals ein Schwerpunkt auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt.

Viele Überzeugungsstrategien und Ausweichargumente klingen vertraut für jene, die sich mit Chancengleichheit befassen: Man weiß, was richtig und gerecht wäre, aber die Umsetzung ist mühsam.

Ich glaube sogar, dass Richtlinien die Kreativität oft erst wecken. Eine gelernte Kostümdesignerin, die seit 20 Jahren in ihrem Bereich arbeitet, weiß am besten, was gebraucht wird. Ist es wirklich erforderlich, von jedem Kostüm fünf komplette Teile zu haben, falls etwas schmutzig wird, oder reichen zwei? Bei der Lichtsetzung wird oft routinemäßig erst einmal ein Set ausgeleuchtet, ohne die Möglichkeit zu prüfen, mit natürlichem Licht oder Reflektoren zu arbeiten. Produktionen stehen unter großem Zeitdruck, da greifen oft Automatismen, und es gibt keine Muße, damit sich Kreativität entwickeln kann.

Durch die Corona-Krise steht in diesem Frühling 2020 nicht nur in der Filmproduktion alles still, auch das Filmfestival in Cannes fällt aus. Was für eine Bedeutung haben Festivals bei der Bewusstseinsarbeit?

Der direkte Erfahrungsaustausch ist zentral. Seit 2015 veranstalte ich auf der Berlinale und in Cannes jedes Jahr eine Paneldiskussion zur grünen Filmproduktion. Als ich letzten November in Riga eine Präsentation zu grüner Filmproduktion hielt, wurde dort auch der erste nachhaltig produzierte Film Lettlands vorgestellt. Die beiden Produzentinnen wurden dazu durch meine erste Berlinale-Veranstaltung 2015 inspiriert; in dem von mir herausgegebenen Magazin Green Film Shooting lasen sie, welche Maßnahmen möglich sind, und beschlossen, das einfach umzusetzen. Dieses Jahr überschlugen sich auf der Berlinale die Veranstaltungen zur Nachhaltigkeit förmlich, das Thema ist mittlerweile en vogue. Das ist fantastisch, aber die Frage ist: Ist das Interesse echt oder springen viele nur auf den Trend auf, um Geld dafür zu kassieren?

Sehen Sie die Gefahr des „Greenwashings“, also dass sich manche nur zu PR-Zwecken das Mäntelchen der Nachhaltigkeit umhängen, ohne ernsthaft hinter der Thematik zu stehen?

Es besteht immer die Gefahr, dass einige nur das Geld dafür einsacken möchten. Nachhaltiger zu arbeiten und zu wirtschaften, setzt jedoch als Erstes voraus, neu denken zu lernen, egal ob wir verreisen, etwas kaufen oder essen. Wo kommt dieses Teil her? Mit welchen Rohstoffen ist es produziert worden und unter welchen Umständen? Wir brauchen eine Energie-, Wärme- und Nahrungsmittelwende, denn es läuft überall ganz viel schief. In der Filmproduktion bildet sich fast das gesamte Leben ab, alles, was wir sonst auch brauchen: Essen, Trinken, Kleidung, Unterkunft, Arbeiten, Dekoration, Transport, Energie, Beleuchtung.

Um Richtlinien einzuhalten, braucht es aber Vergleichswerte, an die sich eine Filmproduktion halten muss.

Aufgrund der großen Komplexität ist es schwierig, seriöse Vergleichswerte zu bekommen. Für Filmproduktionen gibt es verschiedene CO2-Rechner, die in unterschiedlichen Regionen Europas von einzelnen Förderstellen entwickelt worden sind. Diese konkurrieren durch den Standortwettbewerb. Anstatt das Thema gemeinsam anzugehen, herrscht eine Kleinstaaterei, die vor allem bei Koproduktionen kontraproduktiv ist. Die benutzten CO2-Rechner sind oft zu undifferenziert, denn es ist ja ein Unterschied, ob ein gefahrener Auto­kilometer mit einem Smart-Auto oder einem 40-Tonner zurückgelegt wird.

Hat das alles fürs Kinopublikum eine Relevanz?

Mit der grünen Produktion ist es wie mit visuellen Effekten: Wenn sie gut gemacht sind, bleiben sie unsichtbar. Nachhaltige Produktion bedeutet nicht, dass ein Film besser oder schlechter produziert wird. Er muss professionell ausgestattet, ausgeleuchtet und gut gespielt sein, damit das Ergebnis auf der Leinwand optimal aussieht. Das Publikum kann nicht erkennen, ob die Schauspielerinnen und Schauspieler mit dem Bus, dem Fahrrad oder der Limousine zum Set gefahren sind. Für das Publikum hat es auch keine Relevanz, ob das Make-up aus veganen Produkten besteht. Natürlich wird auch versucht, das zu bewerben. Zum Hinweis, dass bei der Produktion keine Tiere gequält wurden, kommt mitunter ein grünes Produktions-Label hinzu, das die Zuschauer jedoch nicht interessiert. Aber Film ist immer sexy, und Stars haben eine Vorbildfunktion. Wenn Natalie Portman bei einer Gala vegane und nachhaltig produzierte Kleidung trägt oder Joaquin Phoenix seine gesamte Award Season mit nur einem Smoking bestreitet, ist das eine Message: Es ist überhaupt keine Schande, seine Sachen noch einmal anzuziehen. Solche Maßnahmen können dazu beitragen, nachhaltiges Handeln stärker in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. ● ○