Donau

Weite und Licht


Mythos, Lebensader, Naturraum, Inspirationsquelle: Die Donau ist Gegenstand von Romanen, Anthologien, Sagen, Theaterinszenierungen, Kunstinstallationen und Filmen. Auf den folgenden Seiten erzählen Kulturschaffende, in deren Arbeit der länderverbindende Fluss eine wichtige Rolle spielt, über ihren Bezug dazu. 

Edit Király, Germanistin

Grenzen werden durch den Fluss verflüssigt: Dieses Bild hat mich fasziniert, als ich Ende der 1990er-Jahre begonnen habe, mich wissenschaftlich mit der Donau zu beschäftigen. In der ungarischen Literatur ist sie ja viel stärker präsent als in der österreichischen. Das Thema ist vielschichtig. Nehmen wir zum Beispiel Brücken. Die Brücke von Štúrovo – in der heutigen Slowakei – wurde im Zweiten Weltkrieg zerbombt und nie wieder aufgebaut. Erst nach der Wende errichtete man die Maria-Valeria-Brücke, die die Stadt heute mit dem ungarischen Esztergom verbindet. Jetzt wird hier jährlich ein Brückenfest gefeiert, das an die Zeiten erinnert, als Verwandte sich nur über das Wasser Botschaften zuschicken konnten. Auch Budapest ist wegen einer Brücke, der 1849 erbauten Kettenbrücke, zur Großstadt geworden, und wegen der Schifffahrt, die einen Zugang zum Meer ermöglichte. Im Gegensatz zu Wien ist bei uns in Budapest das Donauufer wie eine Bühne: Alles Wichtige, Großstädtische wird am Fluss zur Schau gestellt, wie in einem Schaufenster an die Donau herangerückt. Auch das Holocaust-Denkmal „Schuhe am Donauufer“ befindet sich hier. Das ist kein Zufall. In der Donau wurde alles zum Verschwinden gebracht, auch die Leichen. Jetzt erinnern die Schuhe daran.

Heribert Corn

Vor der Wende, 1985, gab es literarische Rundfahrten auf Schiffen. Es wurden kritische Texte vorgelesen. Der Vorteil dabei: Es gab keine Zensur. Auch das war eine Funktion der Donau. Der Fluss ist immer durchlässig, und das Schiff ein Heterotopos, wie Michel Foucault Räume bezeichnet, die in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren. Péter Forgács’ Installation „Donau Exodus – In den Wirbeln des Stroms“ wurde in mehreren europäischen Museen gezeigt. Sie basiert auf Amateurfilmaufnahmen eines Kapitäns, der 1939 mit seinem Schiff jüdische Flüchtlinge von Bratislava zum Schwarzen Meer brachte. Als die Sowjets Bessarabien besetzten, wurden die dort ansässigen Deutschen umgesiedelt, und derselbe Kapitän verhalf ihnen wieder zur Flucht, diesmal donauaufwärts. Péter Forgács hat beide Geschichten nebeneinander gestellt und mit dokumentarischem Material verknüpft. Das übernationale Narrativ, das alle Länder umfasst, und zugleich die vielen lokalen Geschichten – das ist das Spannende am Thema Donau. Die Zugehörigkeit zu etwas Größerem und gleichzeitig die Unterschiedlichkeit der Länder am Strom – das ist es, was der Fluss heute für mich symbolisiert. (I.H.)

Grenzen werden verflüssigt.

Edit Király, Jahrgang 1959, ist Germanistin in Budapest. Sie forscht zum Donaumythos im 19. Jahrhundert und gab gemeinsam mit Olivia Spiridon das Buch „Der Fluss: Eine Donau-Anthologie der anderen Art“ heraus.

Julia Engelmayer, Dramaturgin

Warum ist das Nibelungenlied von Interesse? Es ist ein toller Stoff, der von magischen Welten und menschlichen Tragödien erzählt. Ein großer Teil Europas dient als Schauplatz. Die Handlung spannt einen Bogen von Island bis Ungarn. Nicht nur zur Entstehungszeit im Mittelalter war das ein Gebiet von unglaublicher Größe. Den historischen Kern der Nibelungensage bildet der Untergang der Burgunder im fünften Jahrhundert. Aber die Nibelungen sind ein wahrer Geschichtenkosmos. Dieser ist deshalb erhalten, weil fahrende Sänger politische Ereignisse und Sagenmotive zu faszinierenden Erzählungen verdichtet haben und an den Fürstenhöfen vortrugen. Um 1200 wurde das „Nibelungenlied“ das erste Mal aufgeschrieben. Heute geht man davon aus, dass diese kollektive Erzählung von mehreren geistlichen Schreibern in unterschiedlichen Varianten festgehalten wurde. Im 19. Jahrhundert wurden die Nibelungen zu einem „deutschen“ Mythos. Es gibt aber auch Stimmen, die argumentieren, es sei ein österreichischer Mythos und ein Stück kulturelle Identität Nieder- und Oberösterreichs. Viele Ortsnamen und Beschreibungen beziehen sich auf dieses Gebiet. 

Landestheater Niederösterreich

Interessant sind für mich auch die vielen Zeitschichten. Vom historischen Kern über die mündliche Überlieferung und die Niederschrift bis heute sind eineinhalb Jahrtausende vergangen. Der Regisseur Mathias Spaan wirft nun im Landestheater einen zeitgenössischen Blick auf den Mythos. Seine Fassung geht von Friedrich Hebbels Theaterstück aus, das fast zeitgleich zu Wagners Opern­zyklus entstanden ist und aus den umrisshaften Figuren im „Nibelungenlied“ schillernde psychologische Charaktere formt. Spaans Inszenierung konzentriert sich auf den Anfang: die Helden- und Liebesgeschichten sowie den Betrug an der isländischen Prinzessin Brunhild. In diesem Teil sind die magischen Elemente, die heute noch Bücher, Filme und Videospiele inspirieren, stärker vertreten: der Drache, die Zwerge, die Tarnkappe. Diese rätselhaft-mythischen Aspekte sind in unserer individualistischen Gesellschaft wieder sehr populär. Und selbstverständlich steht das „Nibelungenlied“ auch für europäische Werte. Das Leben am Hof von König Etzel ist als weltoffen und völkerverbindend beschrieben. Das entspricht dem überzeitlichen Geist des Donauraums. Ich denke, gerade in weniger mobilen Zeiten bedeutete das Leben an einem Fluss einen Zugewinn an Zusammenarbeit und Kommunikation. (I.H.)

Das Mythische ist populär.

Julia Engelmayer, geboren 1978, leitet die Dramaturgie am Landestheater St. Pölten und arbeitete an Mathias Spaans Inszenierung „Die Nibelungen“ nach Friedrich Hebbel mit. 

Goran Rebić, Regisseur

Laut Friedrich Hölderlin fließt die Donau aus Finsternis und Enge in Richtung Weite und Licht. Für mich ist sie nicht nur Metapher für einen transnationalen Körper mit mehreren Gliedmaßen, gespeist von vielen Gewässern, Völkern, Sprachen, Kulturen, die sie wie Blutgefäße durchziehen. Sie ist auch ein Mythos, einer antiken Gottheit gleich. Vom Hausberg meiner Geburtsstadt Vršac in Serbien kann man sie sehen, wie vom Leopoldsberg meiner Heimatstadt Wien: Sie fließt in einer großen Schleife vorbei, und vom höchsten Punkt aus tut sich ein Rundblick über die pannonische Weite auf, dazwischen liegen 600 Kilometer. Meine Familie emigrierte vor 50 Jahren aus Titos Jugoslawien, aus einer ehemals deutsch-serbischsprachigen Stadt in der multiethnischen Vojvodina. Zu vielen der neu geschaffenen Länder, die in Krieg, Gewalt und Zerstörung der 1990er-Jahre verwickelt waren, stehe ich in Bezug. Die jugendliche Empörung von damals ist noch in mir, die Überzeugung, dass jeder Kriegstote das Unheil vergrößert und die Genesung des gemeinsamen „Körpers“ hinauszögert.

Exibio

Der Nationalismus hat neue Identitäten geschaffen und die Menschen wieder voneinander getrennt, obwohl sie in diesem geografischen Raum über Jahrhunderte zusammengehörten.

In meinem Spielfilm „Donau, Dunaj, Duna, Dunav, Dunarea“ schildere ich die letzte Fahrt eines Schiffes mit seiner bunten Schicksalsgemeinschaft – von Deutschland, Österreich, der Slowakei und Ungarn über Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien und die Ukraine bis hin zum Schwarzen Meer. 2888 Stromkilometer werden rückwärts gezählt, wie in einem Countdown läuft alles auf Kilometer null zu, wo sich das Meerwasser mit dem Donauwasser vermengt. Die Donau ist Hauptfigur und Erzählerin im Film. Der Unterschied zwischen Wasser und Fluss ist der, dass der Fluss eine Erinnerung hat, eine Vergangenheit, eine Geschichte. Wenn der Fluss die Geschichten der Menschen mitschwemmt, sie auf unbestimmte Zeit in dunkle Tiefen absinken lässt, um sie dann eines Tages unerwartet wieder an seine Ufer zu spülen, dann muss das Schiff, das auf dem Fluss fährt, eine Zeitmaschine sein, mit der die Passagiere durch ihre Erinnerung reisen können (I.H.)

Der Fluss hat eine Erinnerung.

Goran Rebić, geb. 1968, lebt als Regisseur und Drehbuchautor in Wien und Berlin. 2003 drehte er den Film „Donau, Dunaj, Duna, Dunav, Dunarea“ mit Otto Sander und Robert Stadlober.

Dominik Heher, Kurator

Ich bin Mittelalterforscher und habe an den beiden großen Byzanz-Ausstellungen der Schallaburg mitgewirkt. Als ich nun die Schau „Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“ kuratiert habe, musste ich mich an der Nase nehmen, damit nicht jedes Thema ins Mittelalter gerät, sondern verschiedenste Aspekte von der Jungsteinzeit bis heute abgedeckt werden. Die Ausstellung ist als Reise von Etappe zu Etappe konzipiert – und zwar gegen den Strom: vom Donaudelta flussaufwärts bis in die Wachau. Wir wollten den Blick wenden und so dem Gefühl eines Abstiegs in die Peripherie samt Wirtschafts- und Wohlstandsgefälle entgegenwirken. 

Im Mündungsgebiet des Donaudeltas hat mich die unglaubliche landschaftliche Vielfalt von Waldgebieten, Seen oder Sümpfen erstaunt. Beim Hinausfahren mit dem Boot sieht man tausende Vögel, rund 300 Arten, darunter auch Pelikane. Der Lebensraum dort ist zum Teil noch unberührt, obwohl die Donau über Jahrhunderte der wichtigste Verkehrsweg durch Europa war. 

Monika Saulich

Einen Quantensprung für das Transportwesen bedeutete die Dampfschifffahrt. Dafür wurde die Donau im 19. Jahrhundert stark reguliert. Wir zeigen ein Gemälde, das die Jungfernfahrt des ersten Dampfschiffs Maria Anna 1837 verewigt hat. Gleichzeitig sind darauf auch Wracks der traditionellen Schiffe zu sehen. Innerhalb von wenigen Jahren verwandelte sich die Donaufahrt damals von einer anstrengenden, auch gefährlichen Reise zu einer nach Fahrplan getakteten Touristenattraktion. 

Aus dem Mittelalter zeigen wir nur ein Kapitel. Es handelt sich um fantastische Funde aus einer Palastanlage im ungarischen Visegrád, die vom Königshaus als Machtdemonstration direkt ans Wasser gebaut worden ist. Bei den Ausgrabungen wurden alle Arten von Gebrauchs- und Luxus­artikeln gefunden, Importe aus aller Welt – von Syrien bis Venedig –, aber auch einfache Tontöpfe, die damals massenweise aus Österreich kamen. Sie zeigen, wie schon vor Jahrhunderten Handelsware günstig auf der Donau transportiert wurde.

Seit einigen Jahren wohne ich selbst direkt an der Donau. Von meinem Homeoffice in Ybbs schaue ich täglich auf das Wasser hinaus. Die Arbeit an der Ausstellung hat meinen Blick stark gewandelt. Ich achte jetzt etwa auf die Fahnen der Schiffe und schaue, wo sie herkommen. Bei unseren Reisen nach Belgrad oder Russe habe ich mich meinem Heimatort näher gefühlt als anderswo. Wenn ich am Ufer immer weitergehen würde, so der Gedanke, käme ich wieder zurück zu meinem Haus. (N.Sch.)

Wir wollten den Blick wenden.

Dominik Heher, Jahrgang 1984, studierte Byzantinistik, Geschichte und Italianistik. Er arbeitet als freiberuflicher Ausstellungskurator und gestaltete die Schau „Donau – Menschen, Schätze & Kulturen“ auf der Schallaburg.

Carola Dertnig, Künstlerin

Ich liebe das Wasser und bin eine begeisterte Schwimmerin. Seit zehn Jahren haben wir beim Strombad Kritzendorf ein Stelzenhaus. Die Architektur dort ist speziell, das Gebiet war schon in den 1920er-Jahren bei Kunstschaffenden sehr beliebt, auch eine jüdische Community gab es. Nach einem Generationenwechsel hat sich Kritzendorf in den letzten Jahren wieder zu einem Künstlertreff entwickelt. Für meine Ausstellung „Donauspuren“ in der Landesgalerie Niederösterreich in Krems habe ich auf  archäologische Funde zurückgegriffen, die 2016/17 überraschend in der Baugrube des Museums aufgetaucht sind. Durch einen Baustopp konnten Archäologen dort Reste einer mittelalterlichen Hafenanlage ausgraben, etwa einen Mühlstein und einen Bootshaken, ebenso Vasen und Münzen. Zur Vorbereitung der Schau habe ich das MAMUZ Museum für Ur-, Frühgeschichte und Mittelalter in Asparn besucht, von dessen Freigelände ich sehr beeindruckt war. Dort lagerten in einem Schuppen die uralten Hafenhölzer aus Krems. Diese Pfähle wurden als Schaustücke zum Ausgangspunkt meiner Ausstellung. Mit Skulpturen, Malerei und einem Video führe ich das Publikum von Krems über Kritzendorf zu Neubauten in die Wiener Donaustadt. 

eSel/Lorenz Seidler

An den Wänden der Landesgalerie habe ich Uferzeichen der Donau installiert. Diese Zahlen von 0 bis 9 dienen der Schiffsnavigation. Es ist interessant, dass diese Tafeln von der Mündung zum Ursprung des Flusses zurückzählen. Für mich haben diese Zahlen etwas Beruhigendes, eine Art Rhythmus, der mich an modernen Tanz erinnert. Am Kritzendorfer Donauufer verabreden wir uns bei Uferzeichen, etwa zum Schwimmen beim „Zweier“ oder zum Lagerfeuer beim „Vierer“. 

In unserem Garten dort ist das zehn Meter lange Bild „The room has the size of my garden“ für die Ausstellung entstanden. In meinem Atelier hätte ich gar keinen Platz für eine so große Arbeit. Ich habe dafür eine lange Leinwand wie eine Art Yoga­matte verwendet. Während der Übungen hielt ich Pinsel in den Händen und hinterließ damit Farbspuren auf dem weißen Grund. Die so entstandenen Farbstriche lassen an Wellen denken. (N.Sch.)

Kritzendorf ist ein Künstlertreff.

Carola Dertnig, Jahrgang 1963, ist Künstlerin und leitet den Fachbereich Performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihre Ausstellung „Carola Dertnig. Donauspuren“ in der Landesgalerie Nieder­österreich läuft bis 24. Mai.