Sprachbarrieren

Achtung Übertitel!


Lange Zeit redete man auf österreichischen Bühnen ausschließlich deutsch. Das ändert sich gerade: Das Theater wird internationaler, Sprachbarrieren fallen. Aus guten Gründen.

Wir schauen auf Netflix Serien in Originalfassung, gehen zum Vietnamesen essen und buchen unsere Reisen am liebsten online. Das ist ganz selbstverständlich. Nicht nur in der Großstadt ist das Leben internationaler und kosmopolitischer geworden. Allein im Theater scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Hier spricht man deutsch. Aus alter Tradition. Egal, welches Stück auf dem Programm steht, ob Shakespeare, Tolstoi, Goldoni oder gar eine Textcollage, die auf der Probe entstanden ist.

Kulturkampf

Manchmal wird sogar darüber gestritten, welches Deutsch das richtige ist. Als Claus Peymann 1986 als neuer Direktor des Burgtheaters Schauspielstars wie Gert Voss, Ignaz Kirchner oder Kirsten Dene mitbrachte, entbrannte ein heftiger Kulturkampf gegen die „Piefkes“. Es war fast rührend, wie verzweifelt eine Nation um die österreichische Sprachfärbung auf der Bühne rang. Als ginge die Welt unter, wenn am Burgtheater bundesdeutsche Akzente zu hören sind. Kultur war eben in Österreich schon immer mehr als ein Produkt: Sie sollte identitätsstiftend wirken. Was das Burgtheater-Publikum freilich nicht davon abhielt, Voss und andere Deutsche schon bald als ihre neuen Stars zu lieben und zu feiern.

Mehr als 30 Jahre später übernimmt mit Martin Kušej, 1961 in Kärnten geboren, ein Regisseur das Burgtheater, der von einem europäischen Theater träumt, der Regisseure aus Island, Estland und Israel beschäftigt. Erst kürzlich feierte Wajdi Mouawads Stück „Vögel“, das er aufs Programm gesetzt hatte, unter der Regie von Itay Tiran eine umjubelte Premiere. Im Stück spricht man deutsch, hebräisch, arabisch und englisch, begleitet von Übertiteln. „Natürlich wird die Globalisierung auch in unseren Theatern spürbar. Die Regisseure und ihre Teams sind viel mobiler geworden und inszenieren teilweise in ganz Europa“, analysiert Kušej, der eine grundlegende Veränderung anspricht: Städte wie München, Berlin oder Wien werden von ihrer Bewohnerstruktur immer multikultureller, aber das Theater schließt potenzielle Kundschaft aus – nicht zuletzt wegen der Sprachbarriere. Zugleich besuchen Touristinnen und Touristen lieber ein Musical oder die Oper als eine deutschsprachige Inszenierung, bei der sie nichts verstehen. Obwohl ihnen ein prächtiges Theater wie die Burg sicher gefallen würde. Es ist also höchste Zeit, diese künstlichen Grenzen abzubauen, die Häuser zu öffnen für ein Publikum, das diverser und internationaler ist. „Wir dürfen uns in einer Großstadt nicht mehr auf eine einzige Sprache zurückziehen. Da stehen wir noch am Anfang einer Entwicklung, die mir als polyglottem Europäer echt am Herzen liegt“, meint Kušej.

Theaterwelt im Umbruch

Die Theaterwelt befindet sich schon länger im Umbruch. Längst muss man von einem europäischen Theater sprechen: Der Lette Alvis Hermanis inszenierte regelmäßig am Burgtheater, ebenso wie der Tscheche Dušan David Pařízek, der Ungar Árpád Schilling, der Niederländer Johan Simons, der Australier Simon Stone und der Belgier Luk Perceval, der auch regelmäßig am Landestheater Niederösterreich gastiert. Die meisten von ihnen beherrschen die Landessprache mittlerweile perfekt. Stone und Hermanis reden auf der Probe aber trotzdem lieber englisch. Das Absurde daran: Hinter der Bühne ist man multikulturell, auf der Bühne blieb es lange ein Tabu, etwas anderes als deutsch zu sprechen.

Marie Rötzer, Intendantin Landestheater Niederösterreich

Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Bühnen reagieren auf eine sich verändernde Lebenswirklichkeit. Aber auch darauf, dass es für junge Leute nicht mehr selbstverständlich ist, ein Theaterabo zu haben. Während in Österreich das Abo-System noch recht gut funktioniert, sitzt man in Deutschland oft in halbleeren Theaterhäusern, selbst bei gefeierten Inszenierungen. Theater müssen verstärkt darum ringen, attraktiv zu bleiben. Zunehmend stellt sich auch hierzulande die Frage, wie man neue, jüngere Zuschauer anspricht, wie man etwa die türkische Community in einer Stadt erreicht. Der Rückzug in einen künstlerischen Elfenbeinturm wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Auch deshalb wird Mehrsprachigkeit immer wichtiger. Das Stadttheater kann diesbezüglich vom Performance-Bereich lernen, der schon immer internationaler war, nicht zuletzt deshalb, weil die Produktionen sowie Künstlerinnen und Künstler auf Tour gehen. Gut möglich, dass auch Theaterproduktionen in Zukunft verstärkt auf ein Tourneeprinzip setzen müssen, dass internationale Häuser kooperieren, um finanzielle Mittel, die immer knapper werden, zu teilen.

Emotion und Intensität

Die einfachste Lösung in Richtung Internationalität sind Über- und Untertitel: Deutschsprachige Inszenierungen werden mit englischen, französischen oder arabischen Übersetzungen versehen. Oder umgekehrt: Fremdsprachige Szenen werden deutsch übertitelt. Für die italienisch-belgisch-österreichische Koproduktion „Mother Song“, die im Vorjahr am Landestheater in St. Pölten zu sehen war, sprach der irakische Regisseur Mokhallad Rasem mit Frauen in Krisengebieten. Seine Reisen führten ihn von Bagdad bis Damaskus. Zum Teil wurde auf der Bühne auch in diesen Sprachen kommuniziert. „Das Publikum konnte trotz der Übertitel die Emotion und Intensität der Spielerinnen auf sich wirken lassen“, erklärt Marie Rötzer, Intendantin des Landestheaters Niederösterreich. „Oft ist schon der Klang oder der Rhythmus einer fremden Sprache ein ästhetisches Erlebnis.“

Das Festspielhaus in St. Pölten setzt unter Brigitte Fürle auf internationale Tanztheater-Produktionen. In Alain Platels „Requiem pour L.“, aufgeführt im Februar 2019, interpretierten afrikanische und belgische Performerinnen und Performer Mozarts berühmtes Fragment, auch mit Gesang: ein Sprachen- und Klanggewirr, eine Utopie, in der die unterschiedlichsten Welten zusammenfinden. Das kann ein fruchtbarer Austausch sein, wie ein Gastspiel aus Gent beweist, das ab 14. Februar 2020 im Landestheater Niederösterreich zu sehen sein wird: Regisseur Luk Perceval untersucht in „Black“ die Geschichte und Identität Belgiens. Es geht um das koloniale Erbe, um die unglaubliche Brutalität, mit der im Kongo Bodenschätze abgebaut und Menschenrechte verletzt wurden. Gesprochen wird flämisch, englisch und französisch, es gibt deutsche Übertitel.

Kolumbus auf Kroatisch

„Lebendiges, zeitgenössisches Theater muss sich immer einem permanenten Wandel und einer Neuorientierung unterziehen, um sich zukunftsfähig zu machen“, sagt Intendantin Rötzer. Mit „Christoph Kolumbus“ (Premiere: 20. März 2020) steht eine Inszenierung auf dem Programm, die mehrsprachig ist. Der kroatische Regisseur Rene Medvešek hat den Stoff bereits 2014 in Zagreb als formstarkes Musiktheater bearbeitet, nun nimmt er einen neuen Anlauf. Medvešek spricht sehr gut deutsch, er bringt zwei kroatische Schauspieler, seine Bühnenbildnerin und seinen Musiker mit. Auf den Proben wird ebenso wie auf der Bühne deutsch und kroatisch gesprochen werden.

Das Landestheater Niederöster­reich wurde vor 200 Jahren von den Bürgerinnen und Bürgern St. Pöltens gegründet. Rötzer betont, es sei schon immer ein „Theater für alle“ gewesen. „Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, mit einem möglichst vielschichtigen Programm ein möglichst diverses Publikum zu erreichen“, erklärt sie ihr Konzept. Wobei Vielfalt nicht erst auf der Bühne beginnen soll: „Es ist genauso wichtig, auch hinter der Bühne, in den Abteilungen des Hauses, viele Menschen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft zu beschäftigen.“ Die Stadttheater profitieren schließlich davon, wenn nicht nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht repräsentiert wird. Von jeder guten Netflix-Serie erwartet man, dass sie einen in andere Welten entführt. Warum sollte das am Theater anders sein? ● ○