Kunstmeile Krems / Faruk Pinjo

Landesgalerie

Gehen wir aufs Ganze!


„Wenn ich Kunst sage meine ich das Ganze“ – dieses interpunktionslose Zitat des Künstlers Leo Zogmayer steht auf einer Wand neben der Landesgalerie. Das Ganze: Umfasst das die materiellen Zutaten eines Kunstwerks? Die Inspirationen, die Quellen, die Ideen, die seiner Produktion vorangingen? Die gemeinsamen Anstrengungen, die zu dessen Präsentation unternommen werden? Oder das, was ein Kunstobjekt an Neuem hervorbringt: andere Werke, literarische Texte, Theorien oder ein Theaterstück? Fest steht: Kunst existiert nicht für sich allein, sondern immer im Kontext ihrer Produktion und Rezeption.

Ein Museum speichert dieses „Ganze“ – und gibt es wieder frei. Das lässt sich besonders gut beobachten, wenn ein Haus neu eröffnet. Die Landesgalerie, ein spektakulärer, gedrehter Kubus des Büros Marte.Marte Architekten, ist der jüngste Neuzugang der Kunstmeile Krems. Auf fünf Ebenen mit insgesamt 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt das Museum die reichhaltigen künstlerischen Bestände der Landessammlungen gemeinsam mit bedeutenden privaten Kollektionen in Soloshows und thematischen Ausstellungen. Museumsdirektor Christian Bauer sagt: „Den Blick von heute ins Zentrum zu stellen und Niederösterreich in einem europäischen Zusammenhang zu sehen, sind zentrale Gedanken der Programmentwicklung. Werke unterschiedlicher Epochen treten in einen thematischen Dialog und bieten damit Möglichkeiten, die Welt von heute besser zu verstehen.“

Unser aktueller Schwerpunkt beleuchtet die neu eröffnete Landesgalerie. Auf den folgenden Seiten blicken wir hinter die Kulissen der „Tänzerin aus Krems“ (Bauer), nehmen Nachlässe in den Blick und Ausstellungen zum Anlass, um über Selfie-Kultur, Feminismus und Künstlerfamilien nachzudenken. Auf nach Krems! Gehen wir aufs Ganze.

Teamwork

Wir sind Landesgalerie


Die Landesgalerie in Krems: ein ultramoderner Bau von Marte.Marte Architekten, dessen Fassade aussieht wie ein gedrehter Würfel. Obwohl das Gebäude von außen geschlossen wirkt, ist es innen lichtdurchflutet. Die Leute, die darin werken, lieben es schon jetzt. Vier Menschen, die seit Monaten auf die Eröffnung hinfieberten, erzählten morgen, wie es sich im „Kremser Würfel“ so arbeitet. Warum die Gäste hier, mitten in der Wachau, keine Marillenmarmelade kaufen können. Wie man ein Gespräch mit dem Publikum in Gang bringt. Welche Aufregung entsteht, bevor ein Katalog erscheint. Und was Familien mit Kindern am besten vor dem Ausstellungsbesuch unternehmen.

Markus Lehmerhofer, Haustechniker

Ich bin gelernter Elektriker. Früher hatte ich auf Baustellen zu tun. Da gab es höchstens eine Handvoll Handwerker, mit denen ich kommuniziert hab. Seit März 2017 bin ich bei der Kunstmeile – und mag es sehr, dass ich jetzt mit so vielen verschiedenen Personen zu tun habe. 

Die Landesgalerie sah ich von Anfang an aus der Baugrube herauswachsen. Jetzt bin ich hier verantwortlich für die Elektrik, die Beleuchtung und die Regeltechnik. Regeltechnik heißt: Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Beide sind ganz wichtig für die Kunstwerke: 21,5 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Inzwischen kenne ich jeden Winkel. Das müssen wir Haustechniker auch, schließlich fällt die Brandschutzsicherheit in unseren Bereich. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Fluchtwege frei sind, alle Feuerlöscher in Ordnung und die Brandschutztüren sich öffnen lassen. 

Die Museen sind vernetzt. Der Leitstand, bei dem alles zusammenläuft, ist hier in der Landesgalerie. Der ist 24 Stunden besetzt. Ich komme zwischen acht und halb neun und arbeite ungefähr bis halb sechs. Wochenenddienste mache ich auch, vor allem als Bereitschaftsdienst. Wenn zum Beispiel die Heizkreispumpe ausfällt, ein Lift steckt oder ein Bewegungsmelder in der Nacht ausschlägt, ruft man mich an. Das passiert aber selten. Die Fehlalarme der letzten Jahre kann ich an einer Hand abzählen. Echten Alarm hab ich überhaupt noch keinen erlebt.

Markus Lehmerhofer, Haustechniker
Monika Saulich
Markus Lehmerhofer, Haustechniker

Ein bissl gestresst war ich schon.

Unlängst war ich das erste Mal mit meiner Familie hier: Meine Kinder sind dreieinhalb und eineinhalb Jahre alt, und ein bissl gestresst war ich schon. Die Kleinen wollen mit dem Lift fahren, jeden Knopf drücken und natürlich sofort zur Kunst. Ich empfehle Familien mit kleinen Kindern, vor der Ausstellung zum Spielplatz bei der Schiffsanlegestelle zu gehen. Der ist super! Meine Kinder kennen die Landesgalerie schon von Weitem. Wenn wir mit dem Auto vorbei fahren, rufen sie: „Do arbeit’ der Papa.“

Elisabeth Kainberger, Katalogredakteurin

Ich arbeite in der Abteilung für Produktion und bin dadurch sehr nah an den Ausstellungen. Gemeinsam mit einer Kollegin mache ich die Ausstellungskataloge. Dabei arbeite ich mit Autoren, Grafikern, Lektoren, Übersetzern, Druckereien zusammen, organisiere das Bildmaterial, kläre die Rechte ab. Mein Platz ist drüben in der Kunsthalle. 

Dort sitzen wir zu sechst im Büro, und wir sind ein tolles Team. Wenn mal was nicht so gut läuft, gibt es immer aufbauende Worte. Manchmal, wenn die Kolleginnen wegen der Ausstellungsvorbereitungen wenig im Büro sind, versuchen wir wenigstens eine gemeinsame Kaffeepause einzulegen. Die ist wichtig, um zwischendurch mal runterzukommen. Mein Lieblingsplatz war immer der Durchgang zwischen Landesgalerie und Karikatur-­Museum. Der wird in der Sonne auch in der kalten Jahreszeit schön warm. Und ich liebe die Terrasse oben in der Landesgalerie, die beeindruckt mich jedes Mal, wenn ich hinunterschaue. 

Bevor ich 2018 hier angefangen habe, habe ich Kunstgeschichte und Germanistik studiert. Die klassische Moderne hat mich immer interessiert, aber auch die Gotik. Mittlerweile bewegt sich mein Interesse mehr in Richtung internationaler zeitgenössischer Kunst. Früher war ich in einem Verlag, wollte aber eigentlich wieder mehr mit Kunst zu tun haben. Und dabei ahnte ich bei meiner Bewerbung noch nicht einmal, wie eng ich mit den Kuratoren und Künstlern tatsächlich zusammenarbeiten werde.

Elisabeth Kainberger, Katalogredakteurin
Monika Saulich
Elisabeth Kainberger, Katalogredakteurin

Klar bin ich aufgeregt.

Jetzt kommt mein erster Katalog zur Landesgalerie heraus. Klar bin ich ein bisschen aufgeregt. Ob nicht doch ein Fehler durchgerutscht ist? Am Titelblatt wäre das schon blöd. Aber das wird nicht passieren. Auf meine Lektoren kann ich mich verlassen. Vor allem freut mich das Wissen, dass die Kataloge am Ende das sind, was von einer Ausstellung bleibt. Vielleicht bin ich altmodisch. Aber ich mag das Haptische des Papiers, wie es sich anfühlt beim Blättern.

Lisa Saahs, Kunstvermittlerin

„Kunstvermittlerin“: Ich mag das Wort nicht so. Ich beschreibe ja nicht im klassischen Sinn Werke oder bete nur Fakten herunter. Ich sehe meine Arbeit eher als Begegnung mit den Besucherinnen und Besuchern, bei der im besten Fall tolle Gespräche entstehen. Um diese in Gang zu bringen, stelle ich selbst viele Fragen. Am Ende tritt ja doch jeder einem Kunstwerk als er selbst gegenüber und muss eine eigene Haltung dazu entwickeln. 

Wie ich zur Arbeit hier komme? Eigentlich bin ich der Liebe wegen da. Mein Mann kommt aus Krems. Nach unserer Studienzeit in Innsbruck zogen wir hierher. Mittlerweile haben wir ein Haus gebaut und zwei Kinder. Bei der Kunstmeile bin ich seit einem Jahr. Meine Arbeit als Kunstvermittlerin macht mir großen Spaß, weil ich gerne mit Menschen zu tun hab. Vor allem mit ganz unterschiedlichen Menschen, die in die unterschiedlichen Museen kommen, Erwachsene und Kinder.  

Im neuen Gebäude der Landesgalerie habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt. Moderne Architektur fasziniert mich. Ich habe meine Diplomarbeit über Frank Gehry und sein Schaffen in Europa geschrieben. Daher ist es für mich etwas Besonderes, jetzt in diesen Räumen von Marte.Marte zu arbeiten. Bernhard Marte, einen der Architekten, habe ich persönlich kennen gelernt. Im Moment schreibe ich gerade das Architektur-Vermittlungskonzept für die Landesgalerie. Das gehört auch zu meinen Aufgaben. Und das Gebäude ist ja selbst ein Kunstwerk! Am besten gefällt mir der große Ausstellungsraum im Erdgeschoss. In den geht man hinein, und er öffnet sich so wunderbar mit seinen Fensterfronten. Drinnen ist es ganz ruhig, und trotzdem bekommt man alles mit, was draußen vor sich geht.

Lisa Saahs, Kunstvermittlerin
Monika Saulich
Lisa Saahs, Kunstvermittlerin

Ich bete ja nicht nur Fakten herunter.

Übrigens kann ich die Kunstgalerie von meinem eigenen Haus aus sehen. Das steht drüben auf der anderen Donauseite am Berg. Am liebsten fahre ich die Strecke mit dem Rad. Als erstes begegne ich dann den Kolleginnen an der Kassa. Einige sind richtige Freundinnen geworden – ich kenne sie von den anderen Häusern der Kunstmeile. Das ist meine Arbeit: eine Reihe von Begegnungen. ●○

Teamwork

Familienbande


Franz Hauer und seine Enkelin Christa zogen die Kunstschaffenden ihrer Zeit magnetisch an. Sortenreinheit war ihnen dabei zuwider: Ungleich und Ungleich gesellte sich gern um sie. Ausstellungen und Forschungsprojekte rollen nun die aufregende Geschichte der rührigen Sammler- und Künstlerfamilie neu auf.

Was müssen die Fetzen geflogen sein, wenn Christa Hauer mit ihrem Vater stritt! Wer die energische und schlagfertige Künstlerin jemals kennenlernen durfte, kann sich die Heftigkeit derartiger Streitigkeiten ausmalen. Und zwar in Farben, die so bunt sind wie jene in ihren Gemälden. Die ihren Altvorderen enorm verstört haben müssen. „Als meine Bilder immer bunter wurden, war er entsetzt“, berichtete Christa Hauer einmal. „Und als ich mich ganz der ‚Moderne‘ zuwenden wollte, gab’s endlose Diskussionen – und schreckliche Kämpfe.“ Vater Leopold, seinerseits ein zu Lebzeiten hoch geachteter Maler, hatte folgende Einstellung: „Für mich gibt es in Bezug auf die Kunst kaum ein Wort, das ich mehr hasse als das Wort ‚modern‘.“ Wahre Kunst stehe „außer Raum und Zeit“. Das schrieb er 1962 in seiner „Selbstbiographie“.

Die Hauers waren eine illustre Familie: Großvater Franz (1867–1914), „Selfmademan und Kunstsammler der Gegenwart“, wie ihn Landesgalerie-Direktor Christian Bauer nennt. Vater Leopold (1896–1984), Maler und Gründer des Künstlerhaus-­Kinos in Wien. Und schließlich Christa (1925–2013): Künstlerin, Netzwerkerin, Kuratorin, Galeriebetreiberin, Feministin. Vor allem Franz und Enkeltochter Christa schufen magnetische Felder des Kunst­lebens ihrer Zeit. 

Arrivierte Maler interessierten ihn nicht. Er suchte neue Talente.

Anlässlich der Ausstellung in der Landesgalerie (siehe Info auf S. 45) recherchierte Christian Bauer in jüngster Zeit intensiv zu Franz Hauer. „Was mich am allermeisten fasziniert an ihm: dass er keine ordentliche Schulbildung hatte, keine kulturelle Prägung durch das Elternhaus, keine Sprache im Umgang mit der Kunst – sich all das aber innerhalb kurzer Zeit aneignete.“ Aufgewachsen als Sohn eines Briefträgers in Weißenkirchen, stieg Hauer zu einem der bedeutendsten Gastronomen Wiens auf. In seinem Griechenbeisl verkehrten Promis wie Mark Twain und Karl May. Wie Susanne Claudine Pils und Andreas Weigl im Ausstellungskatalog vorrechnen, brachte ihm das Lokal das Fünffache eines Sektionschefs ein. Das ermöglichte ihm, die Kunst seiner Zeit fast manisch zu sammeln. Und so zeigt die Schau Werke von Albin Egger-Lienz, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Anton Kolig und vielen mehr. Viele Künstler in Hauers Sammlung waren damals allerdings unbekannt. Sohn Leopold erinnerte sich: „Arrivierte Maler interessierten ihn nicht. Ständig war er auf der Suche nach neuen Talen­ten.“ Landesgalerie-Chef Bauer sagt: „Er kaufte ambitioniert, hatte großes Interesse an den Künstlern selbst und besuchte sie im Atelier. Ihn interessierte der Entstehungsprozess von Kunst.“ Das kam gut an. Auch bei den Künstlern. Egon Schiele schrieb 1913, nachdem er Hauer einmal in seinem kleinen Museum besucht hatte: „Der Herr Hauer gieng (sic) etwas essen, während ich drei Räume verzehrte.“ In den fast 80 Quadratmeter umfassenden Räumlichkeiten soll sogar Kokoschka dem Wiener Publikum neue Werke vorgestellt haben. So erzählt es zumindest die Familien­legende.

Dabei beinhaltete die Sammlung völlig gegensätzliche Stilrichtungen, frei von Dogmen. Das verbindet Hauer mit seiner Enkelin: seine Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ansätzen. Die Kuratorin und Kunsthistorikerin Alexandra Schantl arbeitet gerade an einer Ausstellung über Christa Hauer in der Landesgalerie, die deren kulturpolitisches Engagement, Galerie und Netzwerk beleuchten wird. Sie erzählt: „Christa Hauer war für viele künstlerische Richtungen offen. Sie stellte in der Galerie im Griechenbeisl konzeptuell arbeitende Künstler wie Hermann Painitz oder Richard Kriesche aus, aber auch jemanden wie Christian Ludwig Attersee.“

Für die Schau, die in der Landesgalerie gezeigt wird, greift Schantl auf die Sammlung des Landes Nieder­österreich zurück, der die Künstlerin viele Werke hinterließ (siehe auch Interview S. 41). Die Schenkung auf den Todesfall umfasste 130 Objekte, die meisten davon in Zusammenhang mit der Galerie im Griechenbeisl: Kunst der von Schantl erwähnten Künstler ebenso wie von Josef Bauer, Hildegard Joos, Martha Jungwirth und vielen anderen. Auch Zeichnungen von Egon Schiele und Gustav Klimt sind darunter.

Christa Hauer erlebte ihren Großvater nicht mehr, doch sie scheint mit ihm mehr gemein gehabt zu haben als mit ihrem Vater. Dieser war in seiner Zeit zwar hoch respektiert; Arthur Roessler, Schiele-Förderer und seinerseits eine Instanz, schrieb über ihn, er sei „endlich wieder einmal einer, der nicht bloß Maler, der als Maler Künstler ist.“ Im Rückblick erscheinen seine Bilder von Stadtansichten und Uferpromenaden, Sonnenblumen und Fischerbooten jedoch eher rückständig. „Leopold Hauer war stockkonservativ“, so Schantl unumwunden. „Christa Hauer brach richtiggehend aus. Sie ging in die usa und setzte sich dort mit aktuellen Kunstströmungen auseinander.“ Nachsatz: „Aber auch wenn sie zu ihrem Vater ein eher schwieriges Verhältnis hatte, so unterstützte dieser sie.“ Erst durch seine Hilfe konnte die Galerie im Griechenbeisl eröffnen, dieser so wichtige Ort für die österreichische Kunstszene. 

Die Galerie, die Christa gemeinsam mit ihrem Mann, dem Künstler Johann Fruhmann, führte, positionierte sich als Alternative zur eingeschworenen Herrenrunde der Galerie Nächst St. Stephan und wagte den Blick über den Tellerrand. Schantl: „In den usa sah Christa Hauer, wie man Galerien und Ausstellungen gestalten konnte: neu und anders, als man es bis dahin in Wien gewohnt war. Daran nahm sie sich ein Vorbild.“ Mit der IntAkt gründete sie zudem die erste Künstlerinnengruppe Österreichs mit feministisch-kulturpolitischer Stoßrichtung. Sie bemühte sich massiv darum, dass Frauen an den Kunstakademien Professuren bekamen. So ist es unter anderem ihr zu verdanken, dass die Malerin Maria Lassnig 1980 als erste Professorin an die Hochschule für Angewandte Kunst bestellt wurde. Und im Schloss Lengenfeld bei Krems bauten die Hauer-Fruhmanns einen Kunst-Hotspot auf, mit verrückten Festen aller Art, wo Teilnehmerinnen und Teilnehmer Lein­tücher durch die Gegend trugen und künstlerisch gestaltete Vogelscheuchen in den Boden rammten. Wie in Opas Mini-­Museum war auch hier das Motto: Ungleich und Ungleich gesellt sich gern. Florian Reither, Mitglied der Künstlergruppe Gelatin, in Krems aufgewachsen, war oft Gast bei diesen Festen und erzählte 2004: „Ob du jetzt ein Linksliberaler oder ÖVP-Bürgermeister oder überzeugter Kommunist oder Industrieller bist, das ist total egal, wir können alle dort gemeinsam an einem Tisch sitzen.“

Heute erscheint das Vermächtnis der Hauers wegweisend. Christa stellte mit der IntAkt Forderungen, die erst heute nach und nach erfüllt werden. Gerade in jüngster Zeit entdecken Museen verstärkt Künstlerinnen, die in der IntAkt aktiv waren: Linda Christanell, Margot Pilz, Renate Bertlmann, die dieses Jahr den Österreich-­Pavillon auf der Biennale Venedig bespielt und in der Landesgalerie ausstellt (siehe dazu Beitrag auf S. 44). Ebenso zeigt sich der visionäre Blick des Großvaters: Werke aus seiner Sammlung hängen in den großen Häusern der Welt, vom Boston Museum of Fine Arts über die Prager Nationalgalerie bis hin zum Museum Ostwall in Dortmund. Denn 1914, als der Gastronom und Kunstliebhaber starb, wurden große Teile seines Nachlasses versteigert und in alle Winde zerstreut. Kokoschka schrieb an Franz Hauer einmal, dass er ihn für einen „Vorkämpfer“ in Sachen Kunst halte. Und: „Ihr Typus ist in Wien für mich sehr vereinzelt.“ Mehr „Typen“ wie die Hauers – die würde man sich noch heute wünschen. ● ○

Familie Hauer

„Wir bilden den Zeitgeist ab“


Armin Laussegger ist Herr über sechs Millionen Objekte: Er leitet die Sammlungen des Landes Niederösterreich. morgen sprach mit ihm über die internationale Relevanz der Sammlung Hauer, über Schenkungen und darüber, warum er nicht jede Schachtel annehmen kann.

Armin Laussegger ist Herr über sechs Millionen Objekte: Er leitet die Sammlungen des Landes Niederösterreich. morgen sprach mit ihm über die internationale Relevanz der Sammlung Hauer, über Schenkungen und darüber, warum er nicht jede Schachtel annehmen kann.

morgen: Wesentliche Teile der Landessammlungen Niederösterreich bestehen aus Schenkungen, Vor- und Nachlässen, darunter etwa die Sammlung von Christa Hauer-Fruhmann. Wie entscheiden Sie, was Sie annehmen?

Armin Laussegger:

:

Wir haben mit der Sammlungsstrategie 2014 Leitlinien entwickelt. Es ist wichtig, auf Basis einheitlicher Kriterien zu entscheiden, was das Land sammelt. Vordringlich ist für uns der Niederösterreichbezug. Bei den Vor- und Nachlässen gibt es einen Trend: Es wird wichtiger, auch Dokumentarisches über Künstlerinnen und Künstler zu sammeln. So kann man einen neuen Blick auf deren Persönlichkeit werfen. Zur Zeit entwickeln wir eine Vor- und Nachlassstrategie – denn wir können nicht jede Schachtel mit Archivalien übernehmen, die uns angeboten wird.

Bekommen Sie oft etwas angeboten, das qualitativ nicht den Kriterien entspricht?

Es kommt vor, doch die Sammlungsstrategie und die Diskussionen mit Experten helfen, die Entscheidung bestmöglich zu objektivieren. Da gilt es aufzuklären: Wir bearbeiten Objekte auch wissenschaftlich und stellen sie der Forschung bereit. Das können wir nur für eine Auswahl leisten.

Die Landesgalerie Niederösterreich bestreitet ihre Ausstellungen unter anderem aus der Sammlung von Christa Hauer und dem Nachlass von Leo Navratil. Diese strahlen über Österreich hinaus. Ist es wichtig, dass Objekte überregional relevant sind?

Auf jeden Fall. Die Landessammlungen können in unterschiedlichen Bereichen international mithalten. Bei der Sammlung Hauer sind es große Namen wie Egon Schiele, Gustav Klimt, Albin Egger-Lienz und andere Künstler der Moderne. Und durch Christa Hauers Tätigkeit bildet sich die österreichische Avantgarde ab.

Gibt es auch Objekte, die Sie heute nicht mehr annehmen würden?

Kustoden prägen im Laufe der Jahrzehnte die Sammlungen. Und sie bilden einen Zeitgeschmack ab. Die Landessammlungen haben zum Beispiel viele Bauernkästen aus Niederösterreich. Heute würden wir diese nicht in solchem Ausmaß sammeln. Aber auch wir bilden den Zeitgeist ab und müssen beim Sammeln bereits an die Zukunft denken. ●○

Selfies

Die Welt als Wille und Verstellung


Eine Ausstellung in der Landesgalerie zeigt, wie Kunstschaffende das eigene Image stilisieren. Bilder wie jene von Gottfried Helnwein finden in den digitalen Spiegelwelten der Gegenwart ein spätes Echo. Was bedeutet das für die virtuelle Gemeinschaft?

Es ist eines jener Bilder, die sich in die kollektive Netzhaut der vergangenen Jahrzehnte eingraviert haben: Der mit Verbandsmaterial weiß bandagierte Kopf eines Mannes bricht durch eine splitternde Glasscheibe, sein weit aufgerissener Mund formt einen geradezu Munch’schen Schrei, der in dröhnender Stille zu verhallen scheint. Die Augen des Mannes werden von gabelförmigen chirurgischen Gerätschaften, die an Folterinstrumente denken lassen, verdeckt – alles in allem ein visuelles Emblem, in dem Wut, Verzweiflung, Schmerz und katalytische Befreiungsenergie eine irritierende Verbindung eingehen.

Das 1982 im Stil des Hyperrealismus gemalte Bild von Gottfried Helnwein – die Ausstellung „Ich bin alles zugleich“ in der Landesgalerie (siehe S. 45) zeigt einige Werke des Künstlers – wurde unter dem Namen „Selbstporträt (Blackout)“ bekannt. Es diente auch als Coverabbildung für eine LP der Metalband Scorpions – was maßgeblich zu seiner Zirkulation im öffentlichen Raum der visuellen Kommunika­tion jenseits der Museums- und Galerienszene beitrug. In „Selbstporträt (Blackout)“ fielen Selbstporträt und Hyper­stilisierung des eigenen Images zusammen. Das Publikum konnte daraus, je nach Geschmack, individuelle Befindlichkeit oder eine fatale Epochendiagnose herauslesen: 1982 war das Jahr des nato-­Doppelbeschlusses, der die Gefahr eines Atomkrieges plötzlich wieder als gespenstische Projektion am Horizont auftauchen ließ.

Im Rückblick zeigt sich, dass Gottfried Helnwein ein Avantgardist der Selbstvermarktung in prädigitalen Zeiten war. Und zwar durch die Verbreitung seines Bildes im doppelten Sinn. Zum einen wurde das Gemälde auf dem unorthodoxen Wege der Schallplattenhülle zu einem visuellen Stimulus, der eine breite Öffentlichkeit erreichte. Zum anderen schuf er auf diese Weise ein Bild von sich, das mehr war als ein Selbstporträt; nämlich eine demiurgische Deutung seiner Persönlichkeit mit den Mitteln einer quasi-surrealistischen Überformung, Vermummung und Verzerrung des eigenen Antlitzes.

Was vor 37 Jahren noch als künstlerische Gestaltungslust und provokante Attitüde gelten konnte, mit der man in behäbigen und saturierten Bilderwelten auffällig wurde, ist in Zeiten von Smartphones, Twitter, Facebook und Instagram Common Practice geworden: Jeder stellt heute schräge Bilder von sich und seinen Freunden her, die dann in den sozialen Netzwerken gepostet werden und Retweets, Likes oder andere Formen der empathischen Reaktion erzwingen sollen. Schon Anfang der 1990er-Jahre sprachen Theoretiker wie W. J. T. Mitchell und Gottfried Boehm vom Pictorial oder Iconic Turn: der Wende von einer Schrift- zu einer Bildkultur. Diese wurde mit der Durchsetzung visueller Fetische und Tauschobjekte unter gegenwärtigen Kommunikationsbedingungen endgültig Realität. Erstmals in der Kulturgeschichte lassen sich in jedem Moment Nachrichten, Meinungen und Gefühle über versendete visuelle Signale austauschen.

Zwar wird auch heute noch brav geschrieben. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um Kurznachrichten in den dafür vorgesehenen Kanälen; ein Großteil der Kommunikation läuft über Bilder wie Memes und Emojis. Und die gesellschaftliche Wirkmacht des Visuellen hat sich radikal geändert. In seinem jüngsten Buch „Selfies“ schreibt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich: „Ein Selfie zu machen, heißt, ein Bild von sich zu machen, auf dem man sich selbst zum Bild gemacht hat.“ 

Dies kann man durchaus als Weiterführung des Projektes von Gottfried Helnwein verstehen, wenn auch unter völlig veränderten medialen und kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten. Was seinerzeit eine elitäre künstlerische Haltung war, wurde zum Gesellschaftsspiel, an dem fast alle teilhaben. Das Bild, das man von sich und seinem Milieu in den sozialen Netzwerken präsentiert, entspricht längst nicht mehr einer dokumentarischen Tradition der Fotografie, sondern ist eine Form von Design, mit dem man sein Selbst neu entwirft und um sich selbst und die Habitate, in denen man sich wohlzufühlen glaubt, kreisen lässt. Die Welt wird zum Zaubergarten, in dem Wille und Verstellung regieren.  

Und man verwendet virtuelle Masken, um diese Welt zu erschaffen. Filter überformen und verfremden das fotografische Bild oder überschreiben es mit grafischen Elementen: Menschen bekommen ein Katzenschnäuzchen, ein Clownsgesicht oder mutieren zu skelettierten Zombies – durchaus übrigens im Sinne des 18. Jahrhunderts, wo sich die Angehörigen der höheren Stände mit Schminke, Perücken und exzentrischer Kleidung als öffentliche Figuren entwarfen. Nur dass man heute das Haus gar nicht mehr verlassen muss, um als Idealtypus seiner selbst in Erscheinung zu treten, sondern all dies am Rechner erledigen kann.

In der „Tyrannei der Intimität“, die Richard Sennett noch für das 19. und 20. Jahrhundert diagnostizierte, ging diese Form der Öffentlichkeit verloren. Der zeitgenössische Bildertaumel befördert sie wieder; allerdings findet sie nicht mehr auf dem Marktplatz der Stadt statt, sondern in den Datenschluchten
des globalen Dorfes, das keine physische Nähe mehr erforderlich macht, um ein kommunikatives Austauschverhältnis in Gang zu halten. Kulturpessimisten, vor allem aus dem Sektor der Kunsttheorie, sehen in der Selfie-Kultur allerdings eher ein Indiz für Kulturverfall und einen Authentizitätsverlust: Vielfach seien die Bilder etwa von jenen ewig-fröhlichen Party People, die man in Instagram-Feeds und ähnlichem sehen kann und die eigentlich nur das visuelle Substrat eines lustvoll gelebten Lebens sein sollten, Inszenierungen. Diese stünden für sich selbst und seien gar nicht mehr auf biografische Ereignisse und ekstatische Kollektiv­erlebnisse rückzuführen. Überspitzt formuliert: Die visuellen Zeugnisse, die eigentlich das Leben dokumentieren sollten, verweisen auf etwas, das so nie existiert hat. Sie schaffen einen virtuellen Raum der Wünsche, Sehnsüchte und Projektionen ohne existenzielle Bedeutsamkeit. Wir erreichen damit einen Nullpunkt des Seins.

Diese Argumentation hat etwas für sich, muss allerdings im Kontext der jeweiligen Authentizitätsvorstellungen gewertet werden: Nicht zwingend muss man die höchste Steigerungsstufe der „Echtheit“ des Lebens in der kuhwarmen Intimität des psycho­physischen Austausches sehen. Die digitale Bildkultur stellt sich ganz anders und viel positiver dar, wenn man in der vermeintlichen Künstlichkeit eine Möglichkeit sieht, den öffentlichen Austausch einander fremder Menschen zu regulieren. Schließlich definiert das „Maskenhafte“ immer auch Standards, auf die alle Beteiligten zurückgreifen können.  „Wer Bildtypen wie Selfies diskreditiert und als trivial und dilettantisch entlarven möchte“, schreibt Ullrich, „der wird auch die Demokratisierung geringschätzen, die es bedeutet, dass erstmals eine Mehrheit der Menschen Bilder produziert und – vor allem – publizieren kann.“ In diesem Sinne finden Gottfried Helnweins visuelle Appelle an eine Kommunikationskultur zwischen Realität und Phantasma, zwischen Kunst und Hypostasierung des Selbst in den digitalen Spiegelwelten der Gegenwart ein spätes Echo. ●○

Kunstmeile Krems / Claudia Rohrauer

Landesgalerie

„Ausgestellt, aber unsichtbar“


Filmemacherin Christiana Perschon über ein Werk von Renate Bertlmann, zu dem sie einen besonderen Bezug hat. Die „Urnenwand“ ist Teil der Ausstellung Bertlmanns in der Landesgalerie.

Das erste Mal begegnete ich der „Urnenwand“, als ich Renate Bertlmann für meinen Film interviewte. Die Idee zu der Installation hatte sie schon lange. Sie ist Teil ihres Werkkomplexes „Utopie“. Die Utopie begreift Renate aber nicht als Zukunftsvision, sondern als „Übungen im Sterben“. In den 1970er-Jahren stieß sie auf die trans­zendentale Meditation, die für ihre schöpferische Arbeit wichtig war. Als sie mir davon erzählte, schlug sie einen Bogen zu ihrem frauenpolitischen Engagement: Meditation und Demonstration sind kein Widerspruch bei ihr, sondern bedingen einander. Später bat Renate Bekannte, darunter auch mich, ihr eine persönliche Urnenbeigabe in einem Kuvert zu schicken. Diese Beigabe sollte eingerollt und in einem Urnenzylinder in einer Nische platziert werden. Dafür hatte ich gleich ein Objekt bei der Hand, das ich ihr zukommen ließ. Wobei ich nicht weiß, ob es nun wirklich Teil der Urnenwand ist. Es ist schön, dass die Künstlerin diese nicht nur mit eigenen Erfahrungen füllt, sondern auch mit denen anderer. So entstand ein persönliches biografisches Archiv, in dem alle verbunden sind, die etwas beigesteuert haben. Renate Bertlmann ist die wohlmeinende Hüterin dieser kostbaren persönlichen Objekte. Die Beigaben werden ausgestellt, sind aber unsichtbar. Gerade heute, wo sich alle in den Social Media exponieren, finde ich das sehr reizvoll: etwas zu teilen, aber es nicht zu zeigen, den Blick darauf total zu verweigern. 

Ich lernte Renate durch meinen Film „Sie ist der andere Blick“ kennen. Dafür suchte ich Künstlerinnen, die sich in der Frauenbewegung der 1970er-Jahre engagierten. Mich interessierte es, Vorbilder zu sammeln für mich und mein Lebenskonzept. Renates Arbeiten sprachen mich sehr an. Ich schlug ihr dann vor, ihre „Häute“ in meinem Atelier zu installieren. Einer der schönsten Momente für mich war, als Renate das Fenster öffnete und ein Luftzug hereinkam: Da begannen die Häute zu tanzen. ●○

Aktuelle Ausstellungen in der Landesgalerie

andesgalerie NÖ / C. Fuchs; H. Cibulka / Bildrecht

Heinz Cibulka. Bin ich schon ein Bild?

Heinz Cibulkas „Bildgedichte“, die seit den 1970er-Jahren entstehen, vereinen atmosphärische Aufnahmen aus seiner niederösterreichische Wahlheimat, etwa vom Kreuz im Herrgottswinkel, vom Heurigentisch, von der Fußgängerzone einer Kleinstadt. Seit Mitte der 1990er-Jahre schafft der Fotokünstler digitale Bildcollagen; eine davon, „Geschichtes Gedicht“, begleitet von Texten des Schriftstellers Hanno Millesi, wird für die Ausstellung neu bearbeitet und in einer Augmented-Reality-Erweiterung von Bobby Rajesh Maholtra präsentiert.

29.9.2019
Landessammlungen NÖ

Sehnsuchtsräume. Berührte Natur und besetzte Landschaften

Vom Stimmungsimpressionismus bis zur Gegenwart: Die Ausstellung, kuratiert von Günther Oberhollenzer, zeigt, wie Kunstschaffende die Kulturlandschaft reflektieren. Ist der Blick darauf ein romantischer? Wie wird Natur benutzerfreundlich gemacht? Wo entlarvt sich die Idylle als Konstrukt? Mit Kunst von Marie Egner, Emil Jakob Schindler, Michael Goldgruber, Margherita Spiluttini, Ekaterina Sevrouk (Foto) sowie Iris Andraschek und Hubert Lobnig.

20.8.2019 19.4.2020
Landessammlungen NÖ

Franz Hauer. Selfmademan und Kunstsammler der Gegenwart

Mit zahlreichen Werken von Egon Schiele, u. a. „Agonie“, „Zwei Nonnen“, „Porträt Franz Hauer“ sowie der Zeichnung „Wally“ (Bild), Albin Egger-Lienz, Oskar Kokoschka, Anton Faistauer, Anton Kolig und Josef Engelhart.

16.2.2020
Landessammlungen NÖ / Bildrecht

Renate Bertlmann. Hier ruht meine Zärtlichkeit

Die erste museale Einzelausstellung der Künstlerin zeigt zentrale Werke aus den 70ern sowie neue Arbeiten und wird von ihr selbst kuratiert.

29.9.2019
Landessammlungen NÖ / R. Newman / Bildrecht

„Ich bin alles zugleich“ – Selbstdarstellung von Schiele bis heute

Mit Werken von Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Richard Gerstl, Irene Andessner, Renate Bertlmann, Adolf Frohner, Gelatin, Gottfried Helnwein, Birgit Jürgensen, Elke Krystufek, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer, Oswald Tschirtner, August Walla und Erwin Wurm (Bild). Kurator: Christian Bauer.

16.8.2019

Landesgalerie Niederösterreich
Museumsplatz 1
3500 Krems an der Donau
Telefon: 02732/90 80 10
Öffnungszeiten: täglich außer Montag, 10 bis 18 Uhr.