Standpunkte

„Wie haben Social Media unser Zusammenleben verändert?“


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage.

Die Benimmregeln haben sich verändert

Social Media sind nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Junge Menschen wie jene der Generation Z wachsen mit digitaler Kommunikation auf. Bei Älteren zeigt sich ein durchmischtes Bild. Doch selbst im hohen Alter lernen manche noch, mit Smartphones umzugehen. Mittlerweile wird die digitale Kommunikation im Kampf gegen die Isolation eingesetzt. Eine Master-Thesis, die ich betreue, beschäftigt sich mit der Frage, wie Seniorinnen und Senioren fit gemacht werden, um digitale Medien und soziale Netzwerke zu benutzen und so wieder am sozialen Leben teilzunehmen.

Für eine andere Master-Thesis wurden Menschen in Restaurants und Verkehrsmitteln beobachtet. Die Interaktion und die Benimm-

regeln haben sich verändert: Wenn ein Gespräch verebbt, greift man zum Smartphone. Durch die sozialen Medien ist die Transparenz viel höher geworden. Die politischen Überzeugungen sowie berufliche und private Hintergründe lassen sich schwer verheimlichen, was sich auf die Jobchancen auswirkt. Jemand, der sich bei einem Automobilkonzern bewirbt und früher auf Facebook dessen CO2-Ausstoß kritisiert hat, wird es schwer haben.

Social Media machen extreme Positionen sichtbar. Wenn sich Personen, die nach Orientierung suchen, radikalen Strömungen anschließen, tragen Social Media natürlich zum Konfliktpotenzial bei. Für viele andere stellen sie jedoch eine vielfältige Informationsbasis für die eigene Meinungsbildung dar.

Jugendliche nervt das Handy

35 Prozent der österreichischen Jugendlichen sagen, dass ihnen das Handy und andere digitale Geräte manchmal zu viel werden. Das ergab eine Studie, die wir von saferinternet.at gemeinsam mit den Internet Service Providers Austria (ispa) beim Institut für Jugendkulturforschung in Auftrag gegeben haben. Demnach nervt es zwei Drittel der Jugendlichen, dass ihre Freunde zu viel aufs Handy schauen – und 55 Prozent nervt dasselbe an sich selbst. Die Erwartungshaltung, auf Nachrichten in Whatsapp & Co sofort eine Antwort zu erhalten und selbst schnell zurückzuschreiben, zählt dabei zu den größten Stressfaktoren, verstärkt durch Gruppen in sozialen Netzwerken. Im Gegensatz zu den Erwachsenen haben Jugendliche Strategien entwickelt, damit umzugehen. Sie invertieren ihr Smartphone, sodass es alles in Schwarz-Weiß anzeigt. Dadurch wird der Drang, darauf zu schauen, kleiner. Oder sie öffnen bestimmte Dienste nur über den Browser, anstatt die App zu installieren.

Der Unterschied zwischen onund offline existiert für Kinder gar nicht mehr. Sie hängen zusammen online ab, und der Trend zu digitalen Spielen wird stärker. Eltern müssen sich damit auseinandersetzen. Die Studie zeigte, dass es schon in 62 Prozent der Familien Regeln zur Nutzung der digitalen Geräte gibt. Am häufigsten werden Handyverbote beim Essen und beim Erledigen der Hausaufgaben sowie Zeitlimits vereinbart. Gleichzeitig soll fast die Hälfte der Befragten ständig für die Familie erreichbar sein.

Leute wollten Rat zu intimen Themen

Wir bekommen jetzt alles mit, was andere Menschen machen. In meinem Leben hat das einen sehr unangenehmen Effekt. Wenn ich Freunde treffe und ihnen etwas erzähle, sagen sie oft: Das habe ich eh schon gelesen. Ich habe mir jetzt vorgenommen, manche Dinge privat zu lassen, damit ich ihnen noch etwas Neues erzählen kann.

Umgekehrt nervt es mich, wenn ich von anderen etwas mitbekomme: Ich habe manchmal einen schlechten Tag, und dann posten die anderen Fotos aus dem Urlaub! Das macht etwas mit mir. Das Leben der anderen scheint so viel interessanter. Aber es gibt eine Gegenbewegung: Viele Leute fangen an, ihr reales Leben zu zeigen. Natürlich haben die sozialen Medien dazu geführt, dass Aufmerksamkeit und

Selbstdarstellung im Internet sehr wichtig geworden sind. Ich merke diesen Druck auch an mir selbst: Mir sagen Leute, dass sie meine Instagram-Storys so gerne mögen. Das ist schön, aber dann habe ich das Gefühl, dass ich ihnen jeden Tag etwas bieten muss. Aber meine Tage sind nicht immer so unterschiedlich. Ich habe manchmal das Gefühl, eh schon alles erzählt zu haben.

Eine Zeitlang bekam ich viele Mails, in denen mich Leute um Rat zu sehr intimen Themen wie Depressionen oder Essstörungen gefragt haben. Ich war offenbar die erste Anlaufstelle, und sie hatten niemanden in ihrem Umfeld, dem sie sich anvertrauen konnten. Die Leute sehen meine Videos seit fünf Jahren und glauben, sie kennen mich. ●○