Teamwork

Familienbande


Franz Hauer und seine Enkelin Christa zogen die Kunstschaffenden ihrer Zeit magnetisch an. Sortenreinheit war ihnen dabei zuwider: Ungleich und Ungleich gesellte sich gern um sie. Ausstellungen und Forschungsprojekte rollen nun die aufregende Geschichte der rührigen Sammler- und Künstlerfamilie neu auf.

Was müssen die Fetzen geflogen sein, wenn Christa Hauer mit ihrem Vater stritt! Wer die energische und schlagfertige Künstlerin jemals kennenlernen durfte, kann sich die Heftigkeit derartiger Streitigkeiten ausmalen. Und zwar in Farben, die so bunt sind wie jene in ihren Gemälden. Die ihren Altvorderen enorm verstört haben müssen. „Als meine Bilder immer bunter wurden, war er entsetzt“, berichtete Christa Hauer einmal. „Und als ich mich ganz der ‚Moderne‘ zuwenden wollte, gab’s endlose Diskussionen – und schreckliche Kämpfe.“ Vater Leopold, seinerseits ein zu Lebzeiten hoch geachteter Maler, hatte folgende Einstellung: „Für mich gibt es in Bezug auf die Kunst kaum ein Wort, das ich mehr hasse als das Wort ‚modern‘.“ Wahre Kunst stehe „außer Raum und Zeit“. Das schrieb er 1962 in seiner „Selbstbiographie“.

Die Hauers waren eine illustre Familie: Großvater Franz (1867–1914), „Selfmademan und Kunstsammler der Gegenwart“, wie ihn Landesgalerie-Direktor Christian Bauer nennt. Vater Leopold (1896–1984), Maler und Gründer des Künstlerhaus-­Kinos in Wien. Und schließlich Christa (1925–2013): Künstlerin, Netzwerkerin, Kuratorin, Galeriebetreiberin, Feministin. Vor allem Franz und Enkeltochter Christa schufen magnetische Felder des Kunst­lebens ihrer Zeit. 

Arrivierte Maler interessierten ihn nicht. Er suchte neue Talente.

Anlässlich der Ausstellung in der Landesgalerie (siehe Info auf S. 45) recherchierte Christian Bauer in jüngster Zeit intensiv zu Franz Hauer. „Was mich am allermeisten fasziniert an ihm: dass er keine ordentliche Schulbildung hatte, keine kulturelle Prägung durch das Elternhaus, keine Sprache im Umgang mit der Kunst – sich all das aber innerhalb kurzer Zeit aneignete.“ Aufgewachsen als Sohn eines Briefträgers in Weißenkirchen, stieg Hauer zu einem der bedeutendsten Gastronomen Wiens auf. In seinem Griechenbeisl verkehrten Promis wie Mark Twain und Karl May. Wie Susanne Claudine Pils und Andreas Weigl im Ausstellungskatalog vorrechnen, brachte ihm das Lokal das Fünffache eines Sektionschefs ein. Das ermöglichte ihm, die Kunst seiner Zeit fast manisch zu sammeln. Und so zeigt die Schau Werke von Albin Egger-Lienz, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Anton Kolig und vielen mehr. Viele Künstler in Hauers Sammlung waren damals allerdings unbekannt. Sohn Leopold erinnerte sich: „Arrivierte Maler interessierten ihn nicht. Ständig war er auf der Suche nach neuen Talen­ten.“ Landesgalerie-Chef Bauer sagt: „Er kaufte ambitioniert, hatte großes Interesse an den Künstlern selbst und besuchte sie im Atelier. Ihn interessierte der Entstehungsprozess von Kunst.“ Das kam gut an. Auch bei den Künstlern. Egon Schiele schrieb 1913, nachdem er Hauer einmal in seinem kleinen Museum besucht hatte: „Der Herr Hauer gieng (sic) etwas essen, während ich drei Räume verzehrte.“ In den fast 80 Quadratmeter umfassenden Räumlichkeiten soll sogar Kokoschka dem Wiener Publikum neue Werke vorgestellt haben. So erzählt es zumindest die Familien­legende.

Dabei beinhaltete die Sammlung völlig gegensätzliche Stilrichtungen, frei von Dogmen. Das verbindet Hauer mit seiner Enkelin: seine Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ansätzen. Die Kuratorin und Kunsthistorikerin Alexandra Schantl arbeitet gerade an einer Ausstellung über Christa Hauer in der Landesgalerie, die deren kulturpolitisches Engagement, Galerie und Netzwerk beleuchten wird. Sie erzählt: „Christa Hauer war für viele künstlerische Richtungen offen. Sie stellte in der Galerie im Griechenbeisl konzeptuell arbeitende Künstler wie Hermann Painitz oder Richard Kriesche aus, aber auch jemanden wie Christian Ludwig Attersee.“

Für die Schau, die in der Landesgalerie gezeigt wird, greift Schantl auf die Sammlung des Landes Nieder­österreich zurück, der die Künstlerin viele Werke hinterließ (siehe auch Interview S. 41). Die Schenkung auf den Todesfall umfasste 130 Objekte, die meisten davon in Zusammenhang mit der Galerie im Griechenbeisl: Kunst der von Schantl erwähnten Künstler ebenso wie von Josef Bauer, Hildegard Joos, Martha Jungwirth und vielen anderen. Auch Zeichnungen von Egon Schiele und Gustav Klimt sind darunter.

Christa Hauer erlebte ihren Großvater nicht mehr, doch sie scheint mit ihm mehr gemein gehabt zu haben als mit ihrem Vater. Dieser war in seiner Zeit zwar hoch respektiert; Arthur Roessler, Schiele-Förderer und seinerseits eine Instanz, schrieb über ihn, er sei „endlich wieder einmal einer, der nicht bloß Maler, der als Maler Künstler ist.“ Im Rückblick erscheinen seine Bilder von Stadtansichten und Uferpromenaden, Sonnenblumen und Fischerbooten jedoch eher rückständig. „Leopold Hauer war stockkonservativ“, so Schantl unumwunden. „Christa Hauer brach richtiggehend aus. Sie ging in die usa und setzte sich dort mit aktuellen Kunstströmungen auseinander.“ Nachsatz: „Aber auch wenn sie zu ihrem Vater ein eher schwieriges Verhältnis hatte, so unterstützte dieser sie.“ Erst durch seine Hilfe konnte die Galerie im Griechenbeisl eröffnen, dieser so wichtige Ort für die österreichische Kunstszene. 

Die Galerie, die Christa gemeinsam mit ihrem Mann, dem Künstler Johann Fruhmann, führte, positionierte sich als Alternative zur eingeschworenen Herrenrunde der Galerie Nächst St. Stephan und wagte den Blick über den Tellerrand. Schantl: „In den usa sah Christa Hauer, wie man Galerien und Ausstellungen gestalten konnte: neu und anders, als man es bis dahin in Wien gewohnt war. Daran nahm sie sich ein Vorbild.“ Mit der IntAkt gründete sie zudem die erste Künstlerinnengruppe Österreichs mit feministisch-kulturpolitischer Stoßrichtung. Sie bemühte sich massiv darum, dass Frauen an den Kunstakademien Professuren bekamen. So ist es unter anderem ihr zu verdanken, dass die Malerin Maria Lassnig 1980 als erste Professorin an die Hochschule für Angewandte Kunst bestellt wurde. Und im Schloss Lengenfeld bei Krems bauten die Hauer-Fruhmanns einen Kunst-Hotspot auf, mit verrückten Festen aller Art, wo Teilnehmerinnen und Teilnehmer Lein­tücher durch die Gegend trugen und künstlerisch gestaltete Vogelscheuchen in den Boden rammten. Wie in Opas Mini-­Museum war auch hier das Motto: Ungleich und Ungleich gesellt sich gern. Florian Reither, Mitglied der Künstlergruppe Gelatin, in Krems aufgewachsen, war oft Gast bei diesen Festen und erzählte 2004: „Ob du jetzt ein Linksliberaler oder ÖVP-Bürgermeister oder überzeugter Kommunist oder Industrieller bist, das ist total egal, wir können alle dort gemeinsam an einem Tisch sitzen.“

Heute erscheint das Vermächtnis der Hauers wegweisend. Christa stellte mit der IntAkt Forderungen, die erst heute nach und nach erfüllt werden. Gerade in jüngster Zeit entdecken Museen verstärkt Künstlerinnen, die in der IntAkt aktiv waren: Linda Christanell, Margot Pilz, Renate Bertlmann, die dieses Jahr den Österreich-­Pavillon auf der Biennale Venedig bespielt und in der Landesgalerie ausstellt (siehe dazu Beitrag auf S. 44). Ebenso zeigt sich der visionäre Blick des Großvaters: Werke aus seiner Sammlung hängen in den großen Häusern der Welt, vom Boston Museum of Fine Arts über die Prager Nationalgalerie bis hin zum Museum Ostwall in Dortmund. Denn 1914, als der Gastronom und Kunstliebhaber starb, wurden große Teile seines Nachlasses versteigert und in alle Winde zerstreut. Kokoschka schrieb an Franz Hauer einmal, dass er ihn für einen „Vorkämpfer“ in Sachen Kunst halte. Und: „Ihr Typus ist in Wien für mich sehr vereinzelt.“ Mehr „Typen“ wie die Hauers – die würde man sich noch heute wünschen. ● ○